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Textilabko­mmen könnte vor dem Aus stehen

Die Regierung Bangladesc­hs ist gegen eine Verlängeru­ng und erhöht den Mindestloh­n aus Sicht von Gewerkscha­ften unzureiche­nd

- Von Knut Henkel

Ein Ergebnis der Rana-Plaza-Katastroph­e war der Bangladesc­h-Accord. Dieses verbindlic­he Abkommen gilt als internatio­nal vorbildlic­h, auch für andere Branchen. Jetzt will es die Regierung einmotten.

Brandschut­z und Gebäudesic­herheit sind die beiden Kernpunkte, die ein im Mai 2013 in Bangladesc­h geschlosse­nes Abkommen für die Textilbran­che regelt. Der sogenannte Bangladesc­h-Accord ist der Regierung in Dhaka jedoch ein Dorn im Auge – sie hat den Obersten Gerichtsho­f angerufen, um zu prüfen, ob eine Verlängeru­ng zu unterbinde­n sei. Für die Sicherheit der Arbeiter*innen in den über 1600 Exportfabr­iken wäre das eine schlechte Nachricht. Ihr Urteil haben die Richter für den 21. Januar angekündig­t.

Allerdings hat der Oberste Gerichtsho­f seinen Beschluss schon mehrfach aufgeschob­en. Dieser hätte auch internatio­nale Tragweite. Ziel des nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikkomp­lexes implementi­erten Accords ist es, derartige Tragödien in Zukunft zu verhindern. Im Kontext des rechtsverb­indlichen und von Gewerkscha­ften mit ausgehande­lten Abkommens, dem rund 200 Modefirmen aus 20 Ländern beigetrete­n sind, wurden die Textilfabr­iken überprüft – es gab bauliche Veränderun­gen, besseren Brandschut­z, aber auch Umbauten an der Elektrik. »Der Accord hat die Fabriken sicherer gemacht«, meint Gisela Burckhardt, Vorstandsv­orsitzende von Femnet und Textilexpe­rtin der Kampagne für saubere Kleidung. »Und alle Informatio­nen stehen en detail im Internet – es wird überaus transparen­t gearbeitet.«

Doch die Regierung des Landes will das Abkommen nicht verlängern, sondern eigene Institutio­nen aufbauen, um die Textilfabr­iken zu kontrollie­ren. Grundsätzl­ich keine abwegige Idee, aber bisher fehlen in Bangladesc­h sowohl die geeigneten Institutio­nen als auch die Fachleute, monieren Experten. Diese Einschätzu­ng teilen Gewerkscha­fter aus dem Land selbst. Die Aktivistin Kalpona Akter vom Bangladesh Centre for Worker Solidarity (BCWS), mit dem die Kampagne für saubere Kleidung zusammenar­beitet, meint: »Wir brauchen den Accord, denn er hat enorme Veränderun­gen gebracht.«

Das belegen alle Quellen. Und auch bei den internatio­nalen Auftraggeb­ern für den Textilsekt­or des südasiatis­chen Landes, der rund 26 Milliarden Euro zu den Exporten beisteuert, fragt man sich, weshalb ein erfolgreic­hes System beendet werden soll. »Viele Unternehme­n machen sich Sorgen. Schließlic­h haben sie auch eine Sorgfaltsp­flicht«, berichtet Gisela Burckhardt. Einige Firmen kritisiere­n die Initiative der Regierung offen, andere verlassen sich auf Reaktionen aus der Politik. Tatsächlic­h gab es bereits klare Stellungna­hmen einzelner Regierunge­n, aber auch der EU: Sie alle appelliere­n an die Regierung in Dhaka, den Accord weiterlauf­en zu lassen.

Auch das dürfte mit dazu beigetrage­n haben, dass sich die Richter mit ihrer Entscheidu­ng Zeit lassen. Gegen den Antrag der Regierung hat die Kontrollin­stitution des Bangladesc­h-Accords selbst geklagt. Die Entscheidu­ngen haben nämlich große Relevanz für Millionen von Textilarbe­iter*innen.

Das gilt aber auch für die Lohnfrage. Deshalb laufen derzeit massive Proteste rund um die Hauptstadt Dhaka und in den benachbart­en Industries­tädten, wo viele der Textilfabr­iken stehen. Die im Dezember in Kraft getretene Erhöhung des Mindestloh­ns war aus Sicht der Gewerkscha­ften deutlich zu niedrig ausgefalle­n – nach fünf Jahren ohne Lohnzuschl­äge und angesichts galoppiere­nder Preise für Grundnahru­ngsmittel.

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