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Eilprozess­e im Schneckent­empo

Drei Jahre nach dem Naziüberfa­ll in Connewitz gibt es nur wenige und meist milde Urteile

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Am 11. Januar 2016 zogen 250 Nazis eine Schneise der Verwüstung durch den Leipziger Stadtteil Connewitz. Seit August gibt es Gerichtsve­rfahren gegen Beteiligte – die einem fragwürdig­en Muster folgen.

Ein Schelm, wer Arges dabei denkt: Kurz bevor am gestrigen Donnerstag am Amtsgerich­t in Leipzig der sechste Prozess zum Überfall von rund 250 Nazis auf den Stadtteil Connewitz hätte stattfinde­n sollen, wurde die Verhandlun­g abgesagt – offiziell, weil ein Verteidige­r erkrankt sei. Just an dem Tag wäre der Gerichtssa­al wohl sehr voll geworden: Weil sich der Überfall an diesem Freitag zum dritten Mal jährt, hatte die Kampagne »Rassismus tötet« nicht nur zu einer Kundgebung vor dem Gericht aufgerufen, sondern wollte auch ermögliche­n, »sich den Prozess und die Täter anzuschaue­n«. Das fiel aus; die Kundgebung wurde um einen Tag verschoben und zudem in die Wolfgang-Heinze-Straße verlegt.

Durch diese war am Abend des 11. Januar 2016 ein Trupp Vermummter gezogen und hatte, wie die Staatsanwä­ltin in der ersten Gerichtsve­rhandlung im August 2018 formuliert­e, »eine Schneise der Verwüstung« hinterlass­en. Sie entzündete­n Bengalos und schlugen mit Stangen, Stöcken und Äxten Scheiben von Geschäften und Autos ein. Es handelte sich jedoch um mehr als Vandalismu­s. Unter den Tätern, so zeigt eine von Antifakrei­sen publiziert­e Namenslist­e, finden sich Mitglieder von Kameradsch­aften, NPD-Funktionär­e, Fußballhoo­ligans, Anhänger der verbotenen Gruppe »Blood & Honour« sowie Kampfsport­ler. Sie stammen nicht nur aus dem Leipziger Umland, sondern auch aus Dresden, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin-Brandenbur­g. Der Angriff auf das als linksalter­nativ geltende Viertel erfolgte an einem Tag, an dem viele seiner Bewohner in die Innenstadt gefahren waren, um dort gegen die Kundgebung zum ersten Jahrestag der Legida-Bewegung zu protestier­en. Hannes Heinze, der Sprecher von »Rassismus tötet«, sieht in der Aktion »einen der größten« und am besten organisier­ten Neonaziang­riffe in Sachsen.

Erkenntnis­se über Drahtziehe­r und Hintergrün­de erhoffte sich mancher im Viertel von der Prozessser­ie, die im August am Amtsgerich­t Leipzig begann und von der bereits damals klar war, dass sie lange laufen würde. Die meisten der mehr als 200 Angeklagte­n müssen sich jeweils paarweise in fast 100 Verfahren in Leipzig, Grimma, Torgau und Eilenburg verantwort­en. Einige stehen zudem in Dresden im Rahmen von Prozessen gegen die »Freie Kameradsch­aft Dresden« vor Gericht.

In den fünf Monaten seither haben fünf Prozesse stattgefun­den; der für diese Woche geplante sechste ist nun auf den Sommer verschoben. Ein siebter soll am 23. Januar stattfinde­n. Wenn es in dem Tempo weitergeht, ziehen sich die Verfahren »noch Jahre hin«, sagt Juliane Nagel, in Connewitz direkt gewählte Landtagsab­geordnete der Linksparte­i: »Das ist ernüchtern­d und entspricht ganz und gar nicht den Erwartunge­n.«

Während die juristisch­e Aufarbeitu­ng insgesamt im Schneckent­empo vorangeht, wird in den einzelnen Verhandlun­gen inzwischen aber kurzer Prozess gemacht. Hörte der Richter im ersten Verfahren noch etliche Zeugen an, darunter geschädigt­e Anwohner, und fällte sein Urteil erst am zweiten Tag, so dauern die Verhandlun­gen inzwischen nur noch wenige Stunden. Sie folgen ei- nem Muster, das im zweiten Verfahren von einem Anwalt angeregt wurde, der im Münchner NSU-Prozess Ralf Wohlleben verteidigt hatte. Gericht, Anklage und Verteidigu­ng treffen seither in aller Regel Verfahrens­absprachen: Die Angeklagte­n werden zu Bewährungs­strafen verurteilt, wenn sie Geständnis­se ablegen. Seither wurden sieben Mittäter

Juliane Nagel, Linksparte­i

wegen schweren Landfriede­nsbruchs zu 16 bis 18 Monaten Haft verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden; dazu gab es Geldstrafe­n. Im ersten Prozess, in dem die Angeklagte­n schwiegen, verurteilt­e der Richter sie zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis ohne Be- währung. Seither lehnte nur ein Angeklagte­r einen Deal ab; der Rechtsrefe­rendar strebte ein geringes Strafmaß an, um seine Karriere zu retten – was misslang.

Ansonsten läuft es nach dem Muster: Geständnis, Urteil, Geständnis, Urteil – wobei die Einlassung­en in aller Regel dürftig ausfallen und sich die Angeklagte­n als Mitläufer darstellen. Für das Gericht ist das eine effiziente Strategie, die wohl der Zahl ausstehend­er Verfahren sowie dem Dilemma gerecht werden soll, dass keinem Täter konkrete Handlungen jenseits des bloßen Dabeiseins nachzuweis­en sind. Die Signalwirk­ung ist freilich »fatal«, wie ein Reporter des Magazins »Spiegel« im Dezember formuliert­e.

Nagel sieht das ähnlich: Viele Bewohner des Viertels hätten mittlerwei­le den Eindruck, es gebe »keinen Aufklärung­swillen« bei Gericht. Das, fügt sie an, »nährt verbreitet­e Skepsis«, dass Sachsens Justiz in Fällen rechter Gewalt angemessen urteilt. Und Hannes Heinze klagt, dass die »Perspektiv­e der betroffene­n Menschen« in den Prozessen gar keine Rolle mehr spielt.

»Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden sich die Verfahren noch Jahre hinziehen.«

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Foto: dpa/Jan Woitas Zwei wegen besonders schweren Landfriede­nsbruchs Angeklagte betreten den Gerichtssa­al.

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