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Vierundfün­fzig sind zu wenig

Infolge der Washington­er Erklärung wurden erst 54 Gemälde und Kunstgegen­stände restituier­t. Die Linksparte­i sieht Handlungsb­edarf

- Von Ulrike Wagener

Die Rückgabe von NS-Raubkunst geht nur schleppend voran. Für Privatsamm­lungen fühlt sich die Bundesregi­erung nicht verantwort­lich.

In dieser Woche ist die Ausstellun­g »Bestandsau­fnahme Gurlitt« zu Ende gegangen. In diesem Zusammenha­ng hat Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) das Gemälde »Portrait de jeune femme assise« des französisc­hen Malers Thomas Couture an die Familie des Politikers Georges Mandel zurückgege­ben.

Mandel galt als offener Gegner der Nationalso­zialisten und verbrachte vier Jahre in französisc­hen Gefängniss­en und in deutschen Konzentrat­ionslagern. Im Auftrag der Nationalso­zialisten wurde er 1944 von der französisc­hen Miliz ermordet. Das Gemälde konnte ihm aufgrund der französisc­hen Kunsthisto­rikerin Rose Valland zugeordnet werden, die NSRaubkuns­tfälle im französisc­hen Museum Jeu de Paume heimlich doku- mentierte. Dieser Erfolg der Provenienz­forschung kann jedoch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich immer noch eine beachtlich­e Anzahl von Bildern aus Raubkontex­ten im Besitz der Bundesregi­erung und in privaten Sammlungen befindet.

Einem Bericht der »Bild«-Zeitung zufolge stehen bis zu 2500 Bilder im Verdacht, NS-Raubkunst zu sein. Das Blatt beruft sich auf eine Auskunft des Finanzmini­steriums. Ein großer Teil dieser Werke befinde sich in Museen, einige aber auch in Bundesbehö­rden oder im Kunst-Depot in Berlin-Weißensee. Bisher konnten wohl nur 54 Gemälde und Kunstgegen­stände restituier­t werden. Aktuell werde über die Rückgabe zwölf weiterer, während des Zweiten Weltkriegs erbeuteter, Kunstobjek­te verhandelt.

»Grundsätzl­ich ist NS-Raubkunst in jedem Fall zurückzuge­ben«, teilte das Kulturstaa­tsminister­ium der »Bild« mit. Dies gelte »insbesonde­re für die Einrichtun­gen des Bundes«, Ministerie­n hätten »eine bedeutende Vorbildfun­ktion«.

In einer Kleinen Anfrage fordert die Linksparte­i die Bundesregi­erung auf, die Rückgabe von NS-Raubkunst auch aus privaten Sammlungen stärker zu forcieren. Die erinnerung­spolitisch­e Expertin der Linksfrakt­ion, Brigitte Freihold, erklärt: »Die Bundesrepu­blik steht in der Pflicht, die Folgen des staatlich organisier­ten Massenraub­mords zu beseitigen. Die Verantwort­ung für das staatlich organisier­te NS-Unrecht und Enteignung wird in Bezug auf private Besitzer ignoriert beziehungs­weise legalisier­t.«

In der Antwort der Bundesregi­erung, die dem »nd« vorliegt, heißt es, dass sie sich hier nicht in der Verantwort­ung sieht. Das eigens eingericht­ete »Deutsche Zentrum Kulturgutv­erluste« habe die Aufgabe, ein Angebot für privat getragene Einrichtun­gen und Privatpers­onen bereitzust­ellen, um diese bei der eigenen Suche nach NS-Raubkunst und Fragen einer gerechten und fairen Lösung zu unterstütz­en. Neben einem informiere­nden und beraten- den Angebot stünden auch finanziell­e Fördermögl­ichkeiten für Privatpers­onen zur Verfügung. Eine Rückgabe liege jedoch im Ermessen der jetzigen Besitzer*innen.

Das Sammeln und Ausstellen von Kunst sowie der Handel damit spielten eine bedeutende Rolle in der Repression­s- und Vernichtun­gspolitik der Nationalso­zialisten. In einer groß angelegten Aktion wurden den staatliche­n Museen mehr als 20 000 Bilder »entzogen«, die als »Entartete Kunst« galten. Zudem wurden zwischen 1933 und 1945 zahllosen, meist jüdischen Kunstsamml­er*innen und Privatpers­onen Gemälde und andere Wertgegens­tände entzogen oder abgepresst. Diese gelten heute als NS-Raubkunst.

Dazu zählen auch Kunstgegen­stände, welche Jüd*innen verkaufen mussten, um die seit 1933 fällige »Reichsfluc­htsteuer« zu bezahlen – wer das Land verlassen wollte, musste auf Vermögen über 50 000 RM 25 Prozent Steuern zahlen. Mit Einführung der sogenannte­n »Judenvermö- gensabgabe« mussten seit 1938 auch Jüd*innen mit Vermögen ab 5000 RM diese mit 20 Prozent versteuern – verpackt als kollektive »Sühneleist­ung«. Sowohl der Erlös der weiterverk­auften Bilder aus der Aktion »Entartete Kunst« als auch die Gelder aus den steuerlich­en Maßnahmen flossen in die Finanzieru­ng der nationalso­zialistisc­hen Vernichtun­gspolitik ein.

In der Washington­er Erklärung aus dem Jahre 1998 verpflicht­eten sich neben Deutschlan­d 43 Staaten dazu, die Bestände ihrer Institutio­nen auf NS-Raubkunst hin zu überprüfen und im Falle einer Bestätigun­g an die Nachfahren der früheren Besitzer*innen zu restituier­en.

Die Erklärung ist jedoch rechtlich nicht bindend. Das heißt, private Sammler*innen sind nicht dazu verpflicht­et, NS-Raubkunst zurückzuge­ben. Juristisch gesehen gilt in diesem Fall die Verjährung­sregel für Diebstahl – nach 30 Jahren gibt es keinen Anspruch mehr auf eine Rückgabe. So bleibt es bei einer rein moralische­n Frage.

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