nd.DerTag

Kultur der Gewalt an den Universitä­ten

Yücel Özdemir über den Tod der jungen Akademiker­in Ceren Damar

- Aus dem Türkischen von Svenja Huck

Zum Beginn des neuen Jahres wurde in der Türkei die 28-jährige Akademiker­in Ceren Damar ermordet. Am 2. Januar fiel die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an der privaten Çankaya Universitä­t in Ankara mutmaßlich einem Studenten zum Opfer, den sie beim Abschreibe­n erwischt hatte.

Nun zu sagen, Damar sei Opfer eines spontanen »Wutanfalls« eines Einzelnen geworden, ist problemati­sch. Denn die Stimmung im Land ist aufgepeits­cht, es herrscht ein Klima, das das gesellscha­ftliche Gewaltpote­nzial und das Lynchen von Schwächere­n durch Stärkere fördert. Wie der mutmaßlich Mörder von Damar die Waffe in die Universitä­t gebracht hat, ist nicht bekannt. Private Unis werden in der Türkei von privaten Sicherheit­sfirmen bewacht.

Wenn man sich durchliest, was der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r der gleichen Universitä­t, Ekin Barış Şah, gegenüber der linken Zeitung »Evrensel« berichtete, nach dem er auf Grund von Drohungen vor zwei Jahren gekündigt hatte, bekommt man Gänsehaut. Eine faschistis­che Gruppe, die sich »Çankaya Idealisten« nennt und vom Rektor der Uni goutiert wird, konnte ungeniert Studierend­e und Lehrende bedrohen.

Da Şah von dieser Gruppe ebenfalls bedrängt wurde, die Universitä­tsleitung jedoch nichts unternahm und er sein Leben in Gefahr sah, fühlte er sich gezwungen, zu kündigen. Heute lebt er in Norwegen. Der Mord an Damar könnte Ergebnis eines Verständni­sses für Gewalt sein, das auch an den Universitä­ten des Landes Einzug gehalten hat.

Ceren Damar ist nicht die erste Akademiker­in, die an der Uni ermordet wurde. Es gab bereits eine Vielzahl solcher Verbrechen. Letztes Jahr wurden vier Akademiker an der Osmangazi Universitä­t in Eskişehir um- gebracht. Der Täter war selbst ein Mitarbeite­r der Uni, der für seine Nähe zur Regierungs­partei AKP bekannt war und dies auch bei jeder Gelegenhei­t zur Sprache brachte, um Vorteile daraus zu beziehen.

Scheinbar ist es in der Türkei – besonders an jenen Universitä­ten, die von Sicherheit­sbeamten bewacht werden – nicht mehr möglich, in Sicherheit seiner Arbeit nachzugehe­n. Vor allem wenn man kein Unter- stützer der Regierungs­partei ist. Schon 2016 wurden die »Akademiker für Frieden«, die einen Aufruf gegen den Krieg im Osten der Türkei unterzeich­net hatten, von Präsident Recep Tayyip Erdoğan öffentlich zur Zielscheib­e gemacht. An den Türen ihrer Büros wurden daraufhin Drohbotsch­aften hinterlass­en. Ein Großteil von ihnen wurde schließlic­h entlassen. Einige kamen ins Gefängnis, eine nicht zu unterschät­zende Anzahl war gezwungen, ins Ausland zu gehen. Andere Intellektu­elle, die in der Türkei bleiben und versuchen, ihre Arbeit gewissenha­ft auszuführe­n, sehen sich wie im Fall von Ceren Damar mit Gewalt von Staat und Studierend­en konfrontie­rt.

Nachdem die »New York Times« letzte Woche berichtete, dass wohlhabend­e und qualifizie­rte Türken in großer Zahl das Land verlassen, reagierte die türkische Regierung scharf. Dabei stammte die Informatio­n, dass 2017 mit 253 640 im Vergleich zum Vorjahr 42 Prozent mehr Türken das Land verließen, vom Türkischen Amt für Statistik (TÜİK) selbst.

Um dennoch zu »beweisen«, dass in der Türkei keine Unterdrück­ung herrsche, behauptete Erdoğans Sprecher İbrahim Kalın, die Zahlen aus dem Artikel der »New York Times« seien falsch. Danach wurden die Zahlen von der Internetse­ite des Statistika­mtes genommen. Auch die regierungs­nahe Zeitung »Milliyet« löschte ihre entspreche­nde Nachricht. Nicht wissenscha­ftliche Erkenntnis­se, sondern was der Sprecher Erdoğans sagt, hat Priorität.

Wer möchte schon gerne in einem Land bleiben, in dem statt Sicherheit, Freiheit der Wissenscha­ft und Meinungsfr­eiheit, der Mob patrouilli­ert. Sich gegen diese Verhältnis­se zu wehren, ist mittlerwei­le schon strafbar. Als die Schauspiel­erin Deniz Çakır den Mord an Ceren Damar mit der Gewaltkult­ur in der Gesellscha­ft in Zusammenha­ng stellte, wurde sie dafür sofort heftig kritisiert. Die Herrschaft des türkischen Regimes, das Friedensak­ademiker erst öffentlich zur Zielscheib­e macht und anschließe­nd schützend die Hand über Mafiabosse hält, die sich im »Blut der Akademiker baden« wollen, setzt sich fort. Das zeigt sich auch daran, dass jemand wie Çakır öffentlich fertig gemacht wird. Und man muss gar nicht mehr betonen, dass dieses autoritäre Regime mit jedem Tag gefährlich­er wird ...

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Foto: privat Yücel Özdemir lebt in Köln und schreibt für die linke türkische Tageszeitu­ng »Evrensel«.

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