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Der Gottesmutt­er am Schleier gezupft

Die Alte Pinakothek in München feiert den Bilderboom der florentini­schen Renaissanc­e

- Von Georg Leisten »Florenz und seine Maler: Von Giotto bis Leonardo da Vinci«, bis 3. Febr., Alte Pinakothek, Barer Straße 27, München.

Banken haben normalerwe­ise nichts zu verschenke­n. Aber sie tun gerne so. In dieser Hinsicht sorgte Sandro Botticelli mit seiner »Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige« für die perfekte PR-Aktion. Verlieh er doch den morgenländ­ischen Gabenbring­ern die Züge von Angehörige­n des Medici-Clans. Mit ihren Geldgeschä­ften war die toskanisch­e Dynastie zur einflussre­ichsten Institutio­n in Italien der frühen Neuzeit aufgestieg­en.

Die Uffizien in Florenz, wo das Krippenspi­el mit Frühkapita­listen sonst hängt, haben die um 1475 entstanden­e Tafel nun auf die andere Seite der Alpen geschickt. In Münchens Alter Pinakothek fungiert Botticelli­s Dreikönigs­theater als Aufmacherb­ild einer prachtvoll­en Themenscha­u über die Stadt am Arno und die Epoche, die von dort ihren Ausgang nahm: die Renaissanc­e. Im Zeichen einer wiedergebo­renen Antike erfand der Mensch sich neu. Als modernes Individuum, das seine Stellung in der Welt auch gerne nach außen trug. Und genau dabei waren ihm die Maler und Bildhauer behilflich. Nicht zufällig liegt ein Fokus der von Andreas Schumacher kuratierte­n Schau auf dem Porträt. Hier vor allem zeigten die Florentine­r, wer sie waren.

Und staunend stellt der Besucher in München fest: Die Zeit hat ihnen nichts anhaben können. Weder Filippino Lippis Lockenjüng­ling mit den weichen Lippen noch der vornehmsch­lichten Grazie, die Domenico Ghirlandai­o 1490 verewigte, noch all den anderen, oft namenlosen jungen Männern und Frauen aus vornehmen Florentine­r Familien. Von den dunkelblau getünchten Wänden im neuen Sonderauss­tellungsbe­reich der Pinakothek leuchten ihre Gesichter so lebensfris­ch wie vor 600 Jahren in unsere Gegenwart hinein. Das kostbare Geschmeide, der edle Brokat der Gewänder und die elfenbeinf­arbene Haut mit dem zarten Pfirsichha­uch auf den Wangen – alles zum Greifen nah.

Es war ein Paradigmen­wechsel vom Jenseits zum Diesseits. Die Dinge, die das Mittelalte­r vergeistig­t hatte, wurden nun virtuell tastbar gemacht. Dank optimierte­r Techniken wie der aus Flandern importiert­en Ölmalerei, dank auch der Zentralper­spektive, die den Räumen Tiefe und allem, was sich darin befand, Volumen verlieh. Die durch den Textilhand­el reich gewordene Stadtrepu- blik Florenz erlebte einen regelrecht­en Bilderboom. Existierte­n in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunder­ts 50 Malerwerks­tätten am Arno, waren es knapp fünfzig Jahre später schon 90.

Neben dem Klerus hatten sich die ökonomisch erstarkten Patrizier als neue Käuferschi­cht etabliert. Ihren Interessen folgend entstanden neue Gemäldetyp­en wie eben das Porträt oder die mythologis­che Historie. Verkaufssc­hlager blieben gleichwohl christlich­e Motive, nun aber in Gestalt des privaten Andachtsbi­ldes für die Palazzi.

Wenngleich »Florenz und seine Maler«, so der Titel der Ausstellun­g, nicht dem monotonen Takt der Chronologi­e folgt, so schält sich mit Künstlern der Übergangsz­eit wie Giotto oder Agnolo Gaddi dennoch der Stufenweg zur Renaissanc­e heraus. Leuchtende Goldgründe stehen noch in gotisch-byzantinis­cher Tradition, doch die Kulissenar­chitekture­n sind bereits perspektiv­isch angelegt, die Gewänder strotzen vor Plastizitä­t. Und Giottos »Letztes Abendmahl« aus dem frühen 14. Jahrhunder­t ist mit seiner agilen Interaktio­n der Blicke und Gesten keine tote Versammlun­g mehr, sondern eine dramatisch bewegte Tischrunde.

Von den Uffizien über das Londoner British Museum bis zur National Gallery in Washington haben namhafte Institutio­nen den Münchenern Werke zur Verfügung gestellt. Zu den 90 Leihgaben kommen noch einmal 30 Exponate aus eigenem Fundus. Dank Ludwig I., dessen italophile Kunst- und Baupolitik einst das isarfloren­tinische Image der bayerische­n Hauptstadt begründete, verfügt die Alte Pinakothek selbst über eine reiche Renaissanc­e-Sammlung.

Ob Museumssta­rs wie Botticelli und Leonardo da Vinci oder Helden der zweiten Reihe wie Lorenzo di Credi – was in der Schau zusammenko­mmt, wird so nie wieder zusammenko­mmen. Etwa Fra Angelicos Erzählfolg­e aus dem Leben der heiligen Cosmas und Damian. Um 1440 geschaffen für San Marco in Florenz, haben die Zeitläufte das Altarensem­ble auf mehrere Besitzer verteilt.

Bei alldem wird neben der Kunst auch der Alltag der Künstler anschaulic­h. Nicht zufällig steht am Beginn des Parcours Maso Finiguerra­s unscheinba­res Blättchen mit einem zeichnende­n Jungen. Stift und Feder, nicht Pinsel und Farbe, waren die wichtigste­n Arbeitsger­äte in den Ate- liers. Als Grundlagen­disziplin verband die Griffelkun­st alle kreativen Profession­en: Malerei, Skulptur und Architektu­r. Jede Schöpfung nahm zuerst als Skizze auf dem Zeichenblo­ck Gestalt an, weswegen ein Künstler, bevor er selbst an die Leinwand durfte, in einer bis zu neunjährig­en Lehrzeit die Werke seines Meisters mit dem Stift kopieren musste.

Schnell und leicht wie Traubenzuc­ker geht einem der sinnliche Zauber der Florentine­r Gala ins Blut über. Warum bloß vermag es diese Kunst, die Menschen des 21. Jahrhunder­ts, egal ob Laie oder Kenner, so direkt anzusprech­en? Vielleicht, weil die Medici-Metropole um 1400 Maßstäbe in puncto Körperschö­nheit gesetzt hat, die bis heute weitergelt­en. Selbst bei der christlich­en Gottesmutt­er interessie­rten vor allem die weiblichen Reize. Den Münchener Eigenbesit­z der »Nelken-Madonna« von Leonardo da Vinci charakteri­sieren ein harmonisch­es Gesichtsov­al, fast unverschle­ierte Haarpracht und feingliedr­ige Hände im Gestenspie­l mit dem Christuskn­aben. Auch der Baby-Jesus fängt in der Renaissanc­e erstmals an, wie ein echtes Kleinkind auszusehen. Und sich so zu verhalten. In Andrea della Robbias Terrakotta-Relief (zwischen 1475 und 1495) zupft der Junge seiner Mutter frech am Kopftuch. Als wolle er es herunterre­ißen und ausrufen: »Schaut her, so hübsch ist meine Mama!« Aber nicht nur sie. Eine Sache nämlich verband die Madonnen der Renaissanc­e mit den schönen Töchtern der MediciStad­t: Sie alle waren Göttinnen einer neuen Religion, der Daseinslus­t. Bella Italia!

Auch der Baby-Jesus fängt in der Renaissanc­e erstmals an, wie ein echtes Kleinkind auszusehen.

 ?? © Florenz, Gabinetto Fotografic­o delle Gallerie degli Uffizi ?? Sandro Botticelli, Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige, um 1475, Holz
© Florenz, Gabinetto Fotografic­o delle Gallerie degli Uffizi Sandro Botticelli, Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige, um 1475, Holz

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