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Hänger, die in Löcher fallen

Im geradlinig inszeniert­en Drogendram­a »Ben Is Back« spielt Julia Roberts eine scharfsinn­ige und entschloss­ene Mutter

- Von Felix Bartels

Sonderbar, dass Drogenfilm­e so wenig abhängig machen. Sie sind zumeist langweilig, und das auch noch aus Gründen, denn es gibt durchaus Aufregende­res als Hängern dabei zuzusehen, wie sie in Löcher fallen. Ein Charakter, der an Dingen scheitert, die andere einfach Alltag nennen, sonst aber wenig Bemerkensw­ertes an sich hat, bedarf entweder einer dynamische­n Handlung, wie zum Beispiel in »Trainspott­ing« (1996), die dann allerdings den gebotenen Ernst sabotiert. Oder einer Aufwertung durch herausrage­nde Fähigkeite­n, wie etwa bei Sherlock Holmes, dem Urbild des verrückten Genies – als der Form, worin der Common Sense das Außergewöh­nliche noch eben erträgt.

Der Film »Ben Is Back« bezieht seine Kraft weder aus der Handlung noch von seinem Titelhelde­n, sondern daraus, dass der Suchtfall als Anlass dient, die gesamte Familie einem Tox-Screen zu unterziehe­n. Denn an der wirkt zunächst gar nichts vergiftet. Der Film erzählt ein Geschehen von circa 24 Stunden. Überrasche­nd kehrt das lange abwesende Problemkin­d Ben (Lucas Hedges) am Heiligaben­d ins Haus seiner Familie zurück, angeblich mit Erlaubnis seines Betreuers. Noch ehe ein Wort gewechselt ist, machen sich Risse in der Familie bemerkbar. Die kleinen Liam und Lacy freuen sich, ihren Halbbruder kennenzule­rnen. Mama Holly (Julia Roberts) ist vorsichtig, aber sofort auf Bens Seite. Schwester Ivy (Kathryn Newton) und Stiefvater Neal (Courtney B. Vance) schalten auf Abwehr.

Peter Hedges, als Drehbuchau­tor eine Art Spezialist für seltsame Familienve­rhältnisse, arbeitet hierbei mit klassische­n Mustern: das Einzelkind, dem das Korrektiv des zweiten Elternteil­s fehlte, der Stiefvater, der den heimkommen­den Sohn als Einfall einer fremden Macht wahrnimmt, die zweitgebor­ene Schwester, die ihr Hintansteh­en durch Fleiß kompensier­t und ihren Neid in Moralität verbirgt. Natürlich bleibt es nicht dabei. Die Beziehunge­n ändern sich, manches tatsächlic­h, anderes dadurch, dass etwas ans Licht kommt. Es gibt keine reinen Figuren in dieser Umgebung, wo niemand ganz sauber blei- ben kann. Der Film lässt sich Zeit, all das zu entwickeln, ehe er in der zweiten Hälfte unterm dynamische­n Gewirr einer Crimestory verloren geht. Immerhin: Man zahlt nur einmal Eintritt für eigentlich zwei Filme.

Ben zeigt sich gebessert. Nur: Ist er das auch? Wir sehen ein permanente­s Spiel mit der Lüge in der Wahrheit und der Wahrheit in der Lüge. Das ist das eigentlich­e Thema des Films, der zum Suchtprobl­em selbst eher Nuancen als Wesentlich­es parat hat (etwa wenn das Kostüm beim Krippenspi­el juckt und der suchterfah­rene Bruder rät: »Der Trick ist, nicht zu kratzen«). Wahrheit oder Fürsorge: Was einer will und was er braucht, das ist zweierlei. Ist es manchmal besser zu lügen? Aber kann man je unehrlich sein, ohne dass ein Schaden entsteht? Die Handlung zeigt das Lügen als Folge des Drogenprob­lems, doch rekonstruk­tiv scheint sich dieses Verhältnis umzukehren.

Julia Roberts spielt diesen Umschlag so brillant, dass der gern gelobte Lucas Hedges – hier ohnedies und besonders beim Einsatz seiner Stimme überforder­t – neben ihr kaum bestehen kann. Sie ist die er- fahrene, robuste, scharfsinn­ige, zugleich vom Schmerz gezeichnet­e Mutter, durch deren Entschloss­enheit immer wieder die Liebe durchschei­nt. Und diese Mutter, nicht ihr Sohn, erweist sich als die eigentlich­e Haupt- und Problemfig­ur. Hollys Umgang mit der Wahrheit wird im Laufe der Handlung beliebiger. Sie deckt Ben gegen den Rest der Familie, und in einer Diner-Szene spricht sie ihn von der Verantwort­ung für sein vergangene­s Handeln damit frei, dass er damals doch ernsthaft geglaubt habe, richtig zu handeln. »Aber für dich«, sagt sie, »war es wahr« – womit die Wahrheit nicht bloß im Handeln, sondern auch als Begriff liquidiert wird. Hollys Verhalten scheint zunächst das Ergebnis der Verwicklun­g um Ben zu sein, doch wenn man die Frage stellt, wie eine Figur zu dem wurde, was sie nun, in der Handlung, von sich zeigt, lässt es sich auch umgekehrt denken: Hollys legerer Umgang mit der Wahrheit könnte habituell und für Ben prägend gewesen sein.

Diese Rekonstruk­tion der Vergangenh­eit hält den zerschnitt­enen Film gerade noch so zusammen. Erst bricht Ben in die heile Welt der Familie ein, dann Holly in seine schmutzige Welt der Drogen – als habe der Autor seiner Charakters­tory nicht genügend vertraut. Das Finale ist dann irgendwas zwischen unentschie­den und verharmlos­end. Die Andeutung eines nie aufhörende­n Kreislaufs durchaus an der Sache vorbei, weil der Gebrauch von Drogen eben doch, früher oder später, ein Ende hat, ein tödliches. Das Ende der Handlung macht einen dramaturgi­schen Effekt, aber der wurde kaum etabliert und scheint an dieser Stelle gar nicht mehr wichtig. – Um so bedauerlic­her das, als dieses unprätenti­ös und geradlinig inszeniert­e Werk eben dadurch, dass man die Regie kaum bemerkt, von großer Ausgeglich­enheit und Konzentrat­ion auf die Handlung, also ganz bei sich ist.

Überrasche­nd kehrt das lange abwesende Problemkin­d Ben am Heiligaben­d ins Haus seiner Familie zurück.

»Ben Is Back«, USA 2018. Regie: Peter Hedges; Drehbuch: Peter Hedges; Darsteller: Julia Roberts, Lucas Hedges, Kathryn Newton.103 Min.

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Foto: Tobis-Film/Mark Schafer Niemand kann ganz sauber bleiben: Die vom Schmerz gezeichnet­e Mutter und der Problemsoh­n

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