Frankreich verstehen
Warum Präsident Macron kein Retter ist und wohin die Bewegung der Gelbwesten treibt.
In der europäischen Standortkonkurrenz haben Frankreich und Italien gegenüber Deutschland das Nachsehen.
Die Konkurrenz zwischen den großen Ökonomien der Welt hat sich seit der vergangenen Finanzkrise verschärft. Das gilt insbesondere für den Industriesektor, wo das Angebot wesentlich schneller gestiegen ist als die Nachfrage. Ergebnis: Einige Länder steigen auf, andere – wie Frankreich, Italien und Großbritannien – erleben eine Deindustrialisierung.
Lange hieß es, Deindustrialisierung sei kein Problem, da die Verlierer auf die Produktion von Dienstleistungen umsteigen könnten. Heute sieht man das anders: Regierungen kämpfen mit Zöllen, Subventionen und Steuernachlässen um ihre Indust- rie. Denn sie hat im Vergleich zu den Dienstleistungen einige Vorteile.
So ist die Produktivität der Industrie höher und steigt schneller. Dort findet auch der Großteil der Forschung und Entwicklung eines Landes statt. Die Industrie produziert exportierbare Güter, was erfolgreiche Standorte wie Deutschland in die Lage versetzt, schwache inländische Nachfrage durch ausländische Nachfrage zu ersetzen. Standorte mit schwacher Industrie dagegen müssen inländische Nachfrageschwäche durch erhöhte Verschuldung kompensieren.
Zudem bietet die Industrie besser bezahlte Jobs – ihre Löhne liegen im Durch- schnitt ein Viertel höher als bei den Dienstleistern. Nimmt das Gewicht der Dienstleistungen an der Wirtschaftsleistung zu, entstehen daher mehr schlechter bezahlte Jobs. Ergebnis: Die Ungleichheit der Einkommen steigt.
Im europäischen Wettbewerb der Standorte hat sich Deutschland durchgesetzt: Die Produktionskapazität seiner Industrie ist seit der Einführung des Euro im Jahr 1998 um ein Drittel gestiegen. Die französische Produktionskapazität dagegen hat per Saldo stagniert, Italiens ist um 15 Prozent gesunken. Vor zehn Jahren waren noch 14 Prozent aller französischen Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt, heute sind es nur noch neun Prozent – in Deutschland sind es doppelt so viele.
Im Gegensatz zu Deutschland haben Frankreich und Italien strukturelle Nachteile, die sich in den Daten zeigen. So haben deutsche Hersteller im Durchschnitt doppelt so viele Industrieroboter wie die französischen. Deutschlands Unternehmen sind größer, es verfügt über 24 000 Großunternehmen (mehr als 250 Beschäftigte), Frankreich nur über 6000. Hinzu kommt zu alledem, dass die Lohnstückkosten in Deutschland seit 1998 schwächer gestiegen sind als in Italien und Frankreich.