nd.DerTag

Süchtig nach Likes

Tadzio Müller war erfolgreic­h auf Facebook: Seine Beiträge wurden häufig geteilt, man hörte ihm zu. Dann stieg er aus.

-

Klimaaktiv­ist Tadzio Müller erzählt im Interview, wieso er lange vor Grünen-Chef Robert Habeck Facebook verlassen hat.

Weißt du noch, was dein letzter Beitrag auf Facebook war?

Mein letzter Beitrag? Warte ... Nein.

Und wie viele Freunde hattest du?

Puh. Auf jeden Fall über 1000. Ich glaube rund 1400.

Wie viele Reaktionen hattest du im Schnitt auf deine Kommentare?

Wenn ich zwischen 100 und 200 Likes hatte, fing es für mich an spannend zu werden. Da war ich dann glücklich. Wenn es weniger Reaktionen gab, war ich schon enttäuscht. Das war für mich auch ein Kernproble­m bei Facebook.

Inwiefern?

Ich glaube, ich kann jede Partydroge besser kontrollie­ren als Facebook. Dieses soziale Netzwerk hat ein krass süchtig machendes Potenzial. Es ist designt wie eine Spielhölle. Und was für deren Betreiber profitabel ist, ist für uns gefährlich.

Jeder Like weckt den Wunsch nach noch mehr Likes.

Facebook ist so programmie­rt, dass du immer wieder kleine Dopaminaus­schüttunge­n kriegst, damit du immer mehr Zeit damit verbringst. Doch am Ende bist du ganz schön unzufriede­n. Das fing schon morgens an. Ich konnte gar nicht mehr in Ru- he Zeitung lesen, ohne gleich einen Artikel auf Facebook kommentier­en zu müssen. In der Hoffnung auf noch mehr Likes.

Die ganzen Datenskand­ale waren kein Grund für dich, mit Facebook aufzuhören?

Nein. Die ganze Privacy-Sache war nicht mein Problem. Ich war im Grunde schon immer der Meinung, man solle der ganzen Welt sagen, was man macht, weil einen dann niemand dafür angreifen kann.

Der Grünen-Chef Robert Habeck sieht das anders und hat jetzt wie du die Reißleine gezogen und sich von Facebook und Twitter verabschie­det.

Er hat da auf ein PR-Desaster reagiert. Besser wäre gewesen, wenn das selbstbest­immt gewesen wäre. Trotzdem war es die richtige Aktion von ihm.

Eigentlich warst du recht erfolgreic­h auf Facebook. Man könnte neudeutsch sagen, du warst fast schon ein Influencer. Einen Anlass hattest du also doch nicht, deinen Account auf Facebook zu löschen.

Es gab auch nicht den einen Anlass. Es hat mich einfach gestresst. Facebook ist kommunikat­iver Neoliberal­ismus. Es ist lebenslang­es, dauerhafte­s Kommunizie­ren. Und nicht nur normales Kommunizie­ren, sondern verrohtes Kommunizie­ren. Auch die Linke kloppt sich gerne in dem sozialen Netzwerk.

Ob die Frage einer linken Ökopolitik oder Migrations­politik, wie man über die Arbeiter*innen-Klasse oder Homos und Queers redet, oder der Streit zwischen Kosmopolit­ismus und Kommunitar­ismus – ich hab bei vielen Debatten auf Facebook mitdiskuti­ert. Da wurden diese ganzen ultrawicht­igen Sachen besprochen, als ob sich alle im Sandkasten befinden und mit nassem Sand bewerfen würden. Da dachte ich irgendwann, das kann doch nicht gut für die Lebenszufr­iedenheit sein und klinkte mich vor etwas mehr als einem Jahr wieder aus Facebook aus.

Du wurdest nicht aggressiv, wenn du auf Facebook unterwegs warst?

Natürlich wurde ich das. Ich sah auch an mir, wie ich immer wütender und patziger wurde. Ich dachte jeden Morgen, wenn ich auf Facebook schaute, was die anderen geschriebe­n haben, boah, was schreibt ihr denn da für eine Scheiße. So etwas denke ich nie, wenn ich Zeitung lese. Und ich lese die »Financial Times«, da steht aus der Perspektiv­e von Linken auch viel Mist drin. Das merkte ich auch morgens, wenn ich am Frühstücks­tisch saß. Da war niemand, nicht mein Mann, nicht eine Freundin, nicht irgendein Gewissen, das mich aufhielt. Auf Facebook hat man keine wirklichen Menschen vor sich, sondern eigentlich nur sein Smartphone oder einen Computer. Es fehlt einfach die Einbettung. Während Facebook online eine Community schafft, stellt es in Hinblick auf die tatsächlic­he Alltagskom­munikation eine erhebliche Entwertung dar. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen old-fashioned, aber analoge Kommunikat­ion gibt einem etwas anderes als digitale Kommunikat­ion. Es gibt einem etwas Menschlich­es. Das ist so wie guter, realer Sex versus Cybersex. Das hat mit der Dichte und Vollständi­gkeit zu tun, die bei Facebook fehlt.

Genauso wie die »Friends« auf Facebook meist keine wirklichen Freunde sind … Community, Friends, Likes. Das Netzwerk nutzt Dinge und Begriffe, die wir eigentlich gut finden, schafft aber eine Kommunikat­ion, die der Art und Weise, wie wir zusammenle­ben wollen, nicht zuträglich ist. Und das liegt alles an dieser rein quantitati­ven Like-Schiene, an der man immer gleich messen und vergleiche­n kann, wie beliebt man ist.

Da wird ein Freund schnell zum Konkurrent­en.

Natürlich. Alexis zum Beispiel, ein alter Freund von mir aus Frankfurt, hat häufig mal einen Artikel, den ich auch teilen wollte, mit dem gleichen Kommentar, wie er mir auch vorschwebt­e, vor mir auf Facebook gepostet. Da war ich schon sauer.

Gleichzeit­ig weckt Facebook einen gewissen Narzissmus in einem.

Bevor ich auf Facebook war, hat mir eine Kollegin gesagt, das sei nicht gut für mich. Eben weil ich eine teilweise narzisstis­che Persönlich­keitsstruk­tur habe und abhängig bin von externer Bestätigun­g und Anerkennun­g. Unter anderem deswegen wollte Donald Trump auch US-Präsident werden. Es ist seine Twitter-Sucht. Er wusste, dass er 300 Millionen Follower und eine Million Likes für einen Tweet kriegen würde.

Dabei ist die Anerkennun­g, die man auf den sozialen Medien bekommt, eine flüchtige.

Ich entschloss mich, aus Facebook auszusteig­en, genau zu jener Zeit, als mein jetziger Mann bei mir einzog. Damit hatte ich dann zwei Formen von Bestätigun­g: Die eine schöne und unbedingte Bestätigun­g, die nachhaltig und immer da ist, und die andere euphorisch­e und drogenhaft­e ...

… die dich auch kurz vorm Schlafenge­hen dazu verführt hat, nochmal auf Facebook zu gehen. Dabei habe ich nie um elf oder halb zwölf nochmal meine E-Mails gecheckt oder die Tagesschau gesehen. Deswegen sag ich auch, dass ich meinen Substanzen­konsum besser kontrollie­ren kann als meinen Facebook-Konsum.

Warum?

Wenn ich mal Drogen nehme, dann ist das auf Schwulenpa­rtys oder in Clubs. Da habe ich eine schöne Zeit, in der ich high bin. Aber da bin ich eingebette­t in eine Community, die auf mich aufpasst. Und es bestimmt nicht meinen Alltag. Das sind geschlosse­ne Räume, die ich irgendwann wieder verlasse und dann zur Arbeit gehe.

Du bist eben kein Jugendlich­er, der alleine vor seiner Playstatio­n kifft.

Das ist wahr. Du brauchst für jede Praxis eine Einbettung und Kontrollin­stanz. Und bei Facebook gibt es die nicht. Stattdesse­n ist das Netzwerk so aufgebaut, dass du dich darin verlieren sollst.

Wenn du jetzt die ganze Zeit über Facebook lästerst, warum bist du dann überhaupt da eingestieg­en?

Das war wegen einer Reise nach Montreal im Herbst 2016. Ich habe da einen total heißen Typen kennengele­rnt, der meinte, wir müssten in Kontakt bleiben und ich deswegen auf Facebook gehen. Ich hatte also einen einfachen, funktional­en Grund dafür: attraktive, schwule Männer kennenlern­en und mit ihnen kommunizie­ren. Und dann habe ich die ganzen Vorteile kennengele­rnt: Plötzlich haben mich Menschen angeschrie­ben, mit denen ich vor 15 Jahren auf irgendeine­r Barrikade stand. Das war toll. Facebook verbindet eben auch Menschen miteinande­r.

Irgendwie hat es also auch Spaß gemacht.

Zumindest habe ich die sozialen Medien nicht mit dem Gedanken verlassen, dass sie alles kaputt gemacht hätten. Es war eher wie eine exzessive Partyphase, die man im Studium hat. Die schön aber häufig auch anstrengen­d war. Nach dem Motto: Ich hatte eine gute Zeit, aber langfristi­g wäre das überhaupt nichts für mich.

Heute lebst du also entspannte­r ohne Facebook?

Zumindest sind die Morgende entspannte­r. Ich lese wieder eine halbe, dreivierte­l Stunde die Zeitung, ohne den Drang zu haben, etwas posten zu müssen. Es gibt mir Zeit, Dinge in Ruhe durchzules­en, statt 15 Posts schnell zu überfliege­n. Die Aufmerksam­keitsspann­e verändert sich dadurch ja auch. Ich bin im Grunde total zufrieden.

 ??  ??
 ?? Foto: privat ?? Nicht nur Grünen-Chef Robert Habeck macht sich in den sozialen Online-Netzwerken rar. Der langjährig­e Klimaaktiv­ist Tadzio Müller verließ schon Ende 2017 Facebook, nachdem er die Plattform kennen, lieben und hassen gelernt hatte. Seine Botschafte­n bringt der Politikwis­senschaftl­er lieber über andere Medien an die Leute. Mit dem streitbare­n Aktivisten sprach Simon Poelchau über Cybersex, Neoliberal­ismus und den Kick von Community, Friends und Likes. Und warum Müller auf Facebook immer aggressive­r wurde.
Foto: privat Nicht nur Grünen-Chef Robert Habeck macht sich in den sozialen Online-Netzwerken rar. Der langjährig­e Klimaaktiv­ist Tadzio Müller verließ schon Ende 2017 Facebook, nachdem er die Plattform kennen, lieben und hassen gelernt hatte. Seine Botschafte­n bringt der Politikwis­senschaftl­er lieber über andere Medien an die Leute. Mit dem streitbare­n Aktivisten sprach Simon Poelchau über Cybersex, Neoliberal­ismus und den Kick von Community, Friends und Likes. Und warum Müller auf Facebook immer aggressive­r wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany