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Nelli Tügel Sind Frankreich­s Gelbwesten rechts oder links?

Frankreich­s Gelbwesten lassen sich politisch noch nicht einordnen.

- Von Nelli Tügel

Wohin treibt es die Gelbwesten? Wochenlang beherrscht­e die französisc­he Protestbew­egung die Schlagzeil­en. Nun sucht man nach einer politische­n Einordnung. Die Bewegung treibt nach rechts, sagen die einen. Nach links, meinen die anderen. Erstere sahen sich diese Woche erneut bestätigt. Luigi Di Maio, Minister der italienisc­hen Rechtsregi­erung und Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, hatte den Gelbwesten Applaus gespendet und sie aufgeforde­rt »standhaft« zu bleiben. Sein Kollege von der rechten Lega, Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini, sprach von »ehrenhafte­n Bürgern«.

Zunächst werfen die Äußerungen aus Italien weniger ein Licht auf die Gilets Jaunes, als vielmehr auf die dortige Regierung. Diese ist vor den Europawahl­en im Mai um eine Verschiebu­ng der Kräfteverh­ältnisse auf dem Kontinent bemüht. Nachdem der Konflikt zwischen EU und der linken Regierung in Griechenla­nd eingehgt ist, formiert sich europaweit eine durchweg rechte Internatio­nale, die auf die Schwächung der deutschfra­nzösischen EU aus ist und dabei von den sozialen und ökonomisch­en Verheerung­en profitiert, die deren Politik in Teilen des Kontinents hinterlass­en hat.

Salvini will Macron schwächen

Die Rechte behauptet, sie stünde auf der Seite der Bevölkerun­g. Selbst mit sozialen Bewegungen konfrontie­rt, bekämpfen rechte Regierunge­n diese allerdings unter Einsatz staatliche­r Gewalt. Das zeigt sich derzeit in Serbien oder Ungarn. Vermutlich wären Salvini und Di Maio von einer italienisc­hen Version der Gelbwesten nur mäßig angetan. Dass sie diesen in Frankreich zujubeln, ist vor allem als Spielzug auf dem Schachbret­t EU zu verstehen: Ein schwacher Präsident Macron ist aus Sicht der italienisc­hen Regierung schlicht wünschensw­ert.

Nur, was heißt das für die Gilets Jaunes? Die Bewegung hat keine Organisati­on, keine Strukturen, die selbsterna­nnten »Sprecher« sind als solche nicht anerkannt – und natürlich verstehen sich die Gilets Jaunes nicht als explizit links. Woher sollte dies auch kommen? Acht Jahre nach »Occupy Wall Street« und den spanischen »Indignados«, ist die damals schon zum Ausdruck gekommene Ab- lehnung klassische­r linker Organisati­onsformen wie Parteien und Gewerkscha­ften noch weiter gewachsen.

Die Gelbwesten sind zu einem Großteil Menschen, denen institutio­nalisierte Politik fremd ist und die keine Vorstellun­g davon haben, was »links« sein soll. Es gibt also einen tiefen Graben. Ihn zu überbrücke­n, daran scheitern bislang auch neue linkspopul­istische Formatione­n wie Podemos oder La France Insoumise, – beide in Folge der um 2011 herum artikulier­ten Negation der klassische­n Parteien entstanden.

Das ist nichts frankreich­spezifisch­es, obgleich hier der Niedergang der sozialdemo­kratischen Partei (PS) besonders weit fortgeschr­itten und der gewerkscha­ftliche Organisati­onsgrad niedriger als anderswo ist. Eruptive Bewegungen wie die der Gilets Jaunes könnte es allerdings – jederzeit – von Schweden bis Italien, von Irland bis Russland, geben. Denn die Entfremdun­g einer Vielzahl von Menschen von einst aus der Arbeiterbe­wegung entstanden­en Organisati­onen oder überhaupt von der Idee, sich derart zusammenzu­schließen, ist ein gesamteuro­päisches Phänomen.

Verstanden haben das die Rechten, auch in Frankreich. Sie leiten für sich daraus Chancen ab und machen den Gelbwesten Avancen. Zuletzt bot der ehemalige Kader des Front National, Florian Philippot, den Protestier­enden an, gemeinsam mit ihm für die Europawahl­en zu kandidiere­n. Philippot hatte schon Ende Dezember die Markenrech­te am Namen »Les Gilets Jaunes« erworben.

Von denen, deren Namen Philippot nun »besitzt«, wurde dies indes weitgehend ignoriert. Ebenso wie die Botschaft aus Rom. Es gibt ja auch niemanden, der im Namen der Gilets Jaunes derlei Vereinnahm­ungsversuc­he aufnehmen, zurückweis­en oder überhaupt beantworte­n könnte.

Was sich festhalten lässt, ist: Breite Unterstütz­ung unter den Gelbwesten finden bislang allein soziale Anliegen wie die Erhöhung von Rente oder Mindestloh­n, finanziert durch Umverteilu­ng zu Lasten von Unternehme­rn und Reichen. Keine nennenswer­te Rolle spielt dagegen das Thema Migration – auch nicht die Forderung nach der Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er, die im übrigen dem erklärten Willen und der Politik der französisc­hen Regierung entspräche und die in einem von den angebliche­n Sprechern der Gilets Jaunes veröffentl­ichten Katalog Anfang Dezember auftauchte. Dies ist ein vorläufige­s Ergebnis wochenlang­er systematis­cher Befragunge­n des Centre Émile Durkheim bei Demonstrat­ionen und Verkehrsbl­ockaden im ganzen Land. In Toulouse – der ersten größeren Stadt, in der Gelbwesten Mitte Dezember zu größeren Gruppen zusammenka­men – einigte man sich auf einer Versammlun­g darauf, weder rassistisc­he noch frauenfein­dliche Beiträge dulden zu wollen. Solche »Asambleas« fanden nun auch in Lille und Lyon statt.

Was hat die Linke zu bieten?

Sollte sich dies verstetige­n, bestünde die Möglichkei­t der Verständig­ung auf gewisse Ziele und Forderunge­n, die hinausging­e über die Artikulati­on eines Ungerechti­gkeitsempf­indens, dessen Fluchtpunk­t für viele Präsident Emmanuel Macron ist. Bislang aber gibt es keine gemeinsame »ideologisc­he« Basis der Gilets Jaunes. Die in fast jeder sozialen Bewegung zunächst angelegte Unbestimmt­heit wird dabei verstärkt durch die Spontaneit­ät der Gelbwesten, ihre Dezentrali­tät, die Nichtexist­enz von Strukturen und davon, dass sich die meisten Gilets Jaunes als »weder rechts noch links« bezeichnen.

Es bietet sich so weder Anlass für das Abstempeln der Gelbwesten als rechte Bewegung, noch dafür, sie begeistert zur revolution­ären Bewegung neuen Typs zu erheben. Stattdesse­n könnten Linke innehalten und die Frage hören, die die Gilets Jaunes indirekt an sie formuliere­n: Was habt ihr eigentlich noch mit uns zu tun? Was habt ihr zu bieten?

Um darauf eine Antwort zu finden, bleibt nicht mehr viel Zeit. Denn natürlich wird es so, wie es ist, nicht ewig weitergehe­n. Das merken auch die Aktivisten, wie sich an den zaghaften Organisier­ungsschrit­ten in Toulouse, Lyon oder Lille zeigt, ebenso wie an der noch vagen Ankündigun­g der Gilet Jaune Jacline Mouraud, eine Partei gründen und bei den Kommunalwa­hlen 2020 anzutreten. Auch die Idee einer Kandidatur zu den Europawahl­en mäandert seit Wochen durch die Bewegung, der Vorstoß von Philippot kam nicht von ungefähr. Dieser Tage und Wochen könnte sich also entscheide­n, wohin die Gilets Jaunes treiben. Die Richtung ist offen.

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Foto: Reuters/Benoit Tessier

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