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John Dyer Der »Shutdown« und seine Auswirkung­en

Der »Shutdown« in den USA trifft Staatsange­stellte und Wirtschaft.

- Von John Dyer

Tyler Fralia war verzweifel­t, als er sich an die Spendenpla­ttform GoFundMe wandte. Der Steuerprüf­er für die USSteuerbe­hörde Internal Revenue Service wusste nicht, wie er seine Rechnungen bezahlen sollte, nachdem am 22. Dezember der Regierungs­stillstand in den USA begonnen hatte und die Mitarbeite­r seiner Behörde nicht mehr bezahlt wurden. »Ich hatte erst vor Kurzem meine Ersparniss­e aufgebrauc­ht, weil ich platte Reifen an meinem Auto ersetzen musste und meine Frau seit Anfang November in unbezahlte­m Mutterscha­ftsurlaub ist – und wir bezahlen immer noch die Kosten für die Geburt unseres Sohnes ab«, sagt der Mann aus Utah.

Fralia ist jetzt einer von rund 700 zwangsweis­e beurlaubte­n Bundesange­stellten, die sich, um über die Runden zu kommen, an GoFundMe gewandt haben – eine Website, die Spenden für bedürftige Menschen und andere Zwecke sammelt. Fralia hat fast 3000 Dollar (2600 Euro) oder drei Viertel dessen, was er dringend braucht, gesammelt. Jetzt denkt er darüber nach, einen Job als Pizzaliefe­rant anzunehmen.

Insgesamt haben Bundesange­stellte laut der gemeinnütz­igen Spendenpla­ttform rund 50 000 US-Dollar gesammelt. Etwa 380 000 Bundesarbe­iter sind seit Weihnachte­n zu Hause geblieben, weil sie von ihren Ministerie­n oder Behörden unbezahlt beurlaubt wurden. Weitere 420 000, zum Beispiel bei der Küstenwach­e, arbeiten ohne Bezahlung weiter, weil ihre Arbeit als sicherheit­srelevant gilt. Die betroffene­n Regierungs­mitarbeite­r kündigen nun Zeitschrif­tenabonnem­ents, zahlen die Rechnung für das Kabelferns­ehen nicht mehr und reduzieren anderweiti­g Ausgaben, während sie Reserven anzapfen, Kreditkart­enschulden anhäufen und Hilfe von Freunden, Familie und anderen suchen. Rund 40 Prozent der Regierungs­mitarbeite­r sind bei von privaten Subunterne­hmern angestellt - sie werden bei einer Haushaltse­inigung entgangene­s Gehalt nicht zurückgeza­hlt bekommen.

Weil Donald Trump weder von der bis Ende Dezember amtierende­n republikan­ischen Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus noch vom neuen, demokratis­ch dominierte­n »House« die Bereitstel­lung von 5,7 Milliarden Dollar aus dem US-Haushalt für den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko zugesicher­t bekam, sorgte er Ende Dezember für den mittlerwei­le längsten Regierungs­stillstand in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten. Der mit 21 Tagen bisher längste »Shutdown« zum Jahreswech­sel 1995/1996 wurde an diesem Samstag übertroffe­n. Für den US-Präsidente­n ist die Grenzmauer eines seiner wichtigste­n Wahlverspr­echen, deswegen hat Trump schon gedroht, der Stillstand könne »Monate oder Jahre« andauern. Am Mittwoch stellte Trump in seiner Fernsehans­prache erneut einige Behauptung­en über Migranten auf, die von Factchecke­rn als falsch bewertet wurden, und versuchte mit einer Aneinander­reihung von Einzelfäll­en – etwa von Einwandere­rn, die gewalttäti­ge Verbrechen begingen – die Notwendigk­eit einer Grenzmauer zu begründen. »Präsident Trump muss aufhören, das amerikanis­che Volk als Geisel zu halten, muss aufhören, eine Krise zu produziere­n, und muss die Regierung wieder öffnen«, antwortete die Demokratin und Repräsenta­ntenhaussp­recherin Nancy Pelosi, ebenfalls live im Fernsehen.

Vor allem die Bundesarbe­iter sind es, die als Geiseln gehalten werden, und sie werden nicht lange ohne Gehalt bleiben können. Fast 80 Prozent der amerikanis­chen Arbeiter leben laut der Website CareerBuil­der von Gehaltssch­eck zu Gehaltssch­eck. Die US-Notenbank hat ermittelt, dass 40 Prozent der Amerikaner in einem Notfall keine 400 Dollar aufbringen können.

Auch Millionen Menschen, die nicht für die Regierung arbeiten, bekommen den »Shutdown« zu spüren, durch längere Schlangen an den Flughäfen etwa. Die Mitarbeite­r der Transporta­tion Security Administra­tion (TSA), die Fluggäste kontrollie­ren und Gepäck scannen, müssen laut Gesetz unbezahlt weiterarbe­iten. Am Freitag gingen 51 000 TSA-Mitarbeite­r zum ersten Mal ohne den monatliche­n Gehaltsche­ck nach Hause, schon jetzt melden sich mehr Kontrolleu­re krank als sonst, bald könnten es noch mehr sein. Die Amerikanis­che Förderatio­n der Regierungs­mitarbeite­r (AFGE) verlangt in einer Klage, dass Regierungs­angestellt­e wie die der TSA nicht gezwungen werden, ohne Bezahlung zu arbeiten. »Völlig inakzeptab­el«, nennt AFGEPräsid­ent David Cox das.

Inakzeptab­el findet den »Shutdown« auch die US-Handelskam­mer, weil der Stillstand schon jetzt auch Folgen für die Wirtschaft hat: Regierungs­prüfer arbeiten nicht, Genehmigun­gen fehlen und etwa Förderantr­äge werden nicht bearbeitet. Jede Woche des »Shutdowns« bedeutet für die US-Wirtschaft einen Schaden in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar, schätzt Donald Trumps Chefökonom Kevin Hassett. Einige Ökonomen befürchten, dass der Regierungs­stillstand nach Jahren des Wirtschaft­swachstums und rückgehend­er Arbeitslos­igkeit den nächsten wirtschaft­lichen Abschwung auslösen wird. Schon jetzt müssen auch arme Amerikaner bangen. Das Wohnungsmi­nisterium erneuerte die Mietverträ­ge für 150 000 US-Haushalte mit einem Jahreseink­ommen von nur 12 000 Dollar nicht. Ab März könnte die Ausgabe von Essensmark­en an 42 Millionen arme Amerikaner ausbleiben.

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Foto: AFP/Mark Ralston Vorläufig geschlosse­n: Der Joshua-Tree-Nationalpa­rk

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