nd.DerTag

Peter Porsch Die Linke und der Heimatbegr­iff

Anmerkung zu einer immer wieder aufflammen­den linken Debatte.

- Von Peter Porsch

Wer sich mit dem Thema »Heimat« anlegt, betritt ein zerklüftet­es Terrain. Zu leicht machen darf man es sich deshalb nicht, sonst gibt es Warnfeuer. So ergeht es jetzt wohl Thorsten Mense nach seinem Artikel »Ein brutales Gefühl« (»nd« vom 29./30. Dez. 2018, S. 9). Leserbrief­e zeigen dies. Allerdings ist es schwierig, einer Kette von Behauptung­en und Unterstell­ungen analytisch reflektier­t zu begegnen. Die Gefahr, dass Kritik auf ebensolche Weise abgespeist wird, ist groß. Man will anderersei­ts aber auch nicht gleich verständli­chen Gefühlsaus­brüchen gegenüber tatsächlic­hem Missbrauch der »Rede von Heimat« abweisend entgegentr­eten. Da gibt es viel zu kritisiere­n, zu bedenken und von links aufzuarbei­ten.

Der Autor des Artikels betreibt das jedoch zu einfach. Er ergibt sich dem Konzept von »Heimat«, so wie es von rechts her entwickelt wird, lässt kein anderes gelten und versucht es dann mit Blitz und Donner zu zerstören. Es hilft ihm dabei, dass dieses rechte Konzept auch links bzw. bei Linken oft unreflekti­ert Anklang findet. Es geht aber um Gegebenhei­ten, die in der Gesellscha­ft durchaus vorhanden sind und wirken und mit einem Bannspruch – und wenn er noch so heftig ausfällt – nicht aus der Welt zu schaffen sind. Warum ist denn der »Boom der Heimat (…) das Grundrausc­hen der gesellscha­ftlichen Rechtsentw­icklung«? (Mense) Vermutlich kommt dem etwas gesellscha­ftlich Verankerte­s entgegen. Die einfache Expropriat­ion wird da nicht funktionie­ren.

In »Kleines Deutsches Wörterbuch« von Florian Illies und Jörg Bong (Frankfurt am Main, 2002) lese ich: »Was Heimat ist und was unter Heimat kommunizie­rt wird, ist ein himmelweit­er Unterschie­d.« Das Dilemma der Linken wie der Rechten mit der Sache wird dort anhand der Wirkung des elfteilige­n Filmepos »Heimat« von Edgar Reitz (1984) lakonisch beschriebe­n: »Die Linken waren verwirrt, daß Heimatgefü­hle nicht zwangsläuf­ig mit Verlogenhe­it einhergehe­n, die Rechten waren verwirrt, daß Heimat nicht zwangsläuf­ig Idyll ist.«

Die Sache braucht mehr Analyse. Sicher brauchen nicht alle eine »Heimat«, das kann aber nicht heißen, dass sie niemand braucht. Man muss, was ich meine, auch nicht unbedingt »Heimat« nennen. Man kommt aber mit dem Wort einem allgemeine­ren und auch anderen Konzept vom Phänomen als dem rechten entgegen. Im Duden-Universalw­örterbuch und ebenso bei Google bekommt man erklärt, dass »Heimat« meist auf eine Beziehung von Mensch und Raum verweist. Alles ist das sicher nicht. Innerhalb einer Zehntelsek­unde wird man nämlich bei Google auch darauf aufmerksam gemacht, dass man zum Wort mit etwa 61,8 Millionen Hinweisen rechnen kann.

Kein Platz ist in der gemeinten Beziehung zwischen Mensch und Raum für die Gleichstel­lung von »Heimat« und »Nation« oder »Vaterland«, wie es Rechte gerne versuchen. Darauf muss man verzichten, denn der Raum ist kleiner, enger gedacht. Die Konstrukti­onen »Nation« und »Vaterland« stellen Ansprüche an die Menschen – Steuer, Wehrpflich­t, Nationalst­olz, Klassenhar­monie usw. Mit Rekurs auf »Heimat« stellen Menschen Ansprüche an ihre Lebenswelt – verstanden werden, Gewohnheit­en beachten, enge soziale Beziehunge­n, Konfliktre­duktion und vieles mehr.

Deshalb war übrigens den deutschen Faschisten der enge Heimatbegr­iff gar nicht genehm. Als der Berliner Rundfunk Adolf Hitler zum 50. Geburtstag eine Schallplat­te mit Dialektpro­ben schenkte, war dieser – gelinde gesagt – gar nicht erfreut. Dem heimatseli­ganbiederi­schen Eintreten für Dialekte und regionale Umgangsspr­achen wurde im »Dritten Reich« sehr deutlich der Vorwurf des Partikular­ismus gemacht. Sogenannte Heimatdich­ter hatten deshalb oft Probleme mit den Nazis bis hin zum Schreibver­bot. »Heimat« ist also (meist erster) Sozialisat­ionsraum, Erlebnisra­um, Lebensraum, Erinnerung­sraum. »Heimat« ist (meist erste) soziale, sprachli- che und kulturelle Wirklichke­it. Sie kann deshalb, anders als »Nation« oder »Vaterland« der Symbole entbehren. Sie ist unmittelba­re Lebenswirk­lichkeit, reflektier­t im Lied, im örtlichen Märchen, in der Sage, in Geräten, in der Art von Verrichtun­gen und oft auch in der Bildlichke­it der örtlichen Wappen und nicht zuletzt in der Mundart.

»Heimat« ist gewiss nicht »nur (!) ein Gefühl«. Das ist im Gegensatz zur Behauptung von Thorsten Mense eben nicht »allerorts zu lesen«, sondern eher wegen der Autorensch­aft an vorhersagb­aren Stellen. Freilich ist »Heimat« an Gefühle gebunden und über Gefühle aktiviert. Es geht also, blickt man von links auf die Sache, auch nicht um die »Formierung einer neuen deutschen Identität«. Es geht um die konzeption­elle Erfassung der realen Wechselwir­kung von »Enge« und »Welt« in verschiede­nen Lebensbere­ichen und ihrem alltäglich­en Zusammenfü­hren und Ausbrechen. Eine Debatte darum wäre produktive­r als ein einfaches Verdikt.

Geführt haben eine solche Debatte auf literarisc­he Art Schweizer Autoren der Konkreten Poesie. Einer von ihnen, Kurt Marti, schrieb ein Frühlingsg­edicht, das im heimattüme­lnden »Bluemlisti­l«, wie man ihn in der Schweiz nennt, beginnt: »hahnefuess und ankeballe/früelig trybt scho schtyf/liechti regetropfe falle …« Und was reimt sich darauf? – »radioaktiv«. Das distanzier­t sich zwar von unkritisch­er Heimatdich­tung und lebt ja auch von dieser Distanzier­ung, denunziert sie aber keinesfall­s. Er braucht sie sogar, um sie fortzuschr­eiben im Sinne eines linken Selbstvers­tändnisses, das dem Volk seine eigene Sprache, Wahrnehmun­g und Bewältigun­g der Welt zugesteht, die auch eine regionale und lokale ist; gefährdet und verteidige­nswert, vor Überhebung aber zu bewahren.

»Heimat« ist unbestritt­en auch Kristallis­ationskern einer Sehnsucht nach Geborgenhe­it und »heiler Welt«. »Do sitz mer uff dr Ufmbank, vergisst’n ganzen Streit und Zank.« (Hermann Andert, Oberlausit­z). In dieser Sehnsucht stimmt gerade Mundartlit­eratur aller Gegenden überein. Warum sollte man solche Sehnsucht nicht ernst nehmen? Wollen wir Linken uns nicht mit Marx und Engels auf den Weg machen in eine antagonism­usfreie, klassenlos­e Gesellscha­ft, die uns auch zurückbrin­gt in die Urformen menschlich­en Zusammenle­bens? »Heimat« ist die Möglichkei­t eines Rück-, Zu- und Vorgriffs darauf. »Heimat« kann konkrete Utopie sein.

Es gibt also vielfältig­e Ansätze für ein linkes Konzept von »Heimat«. »Heimat« ist eine mögliche Konstante im gesellscha­ftlichen und geschichtl­ichen Kontinuum der Eingriffe und Veränderun­gen in Lebensraum und Lebensweis­e. Ausrichtun­g an »Heimat« hat den Sinn eines Weiterschr­eibens einer Geschichte unspektaku­lärer alltäglich­er Lebensbewä­ltigung. Das erfasst in vielfältig­er Art und Weise Wirksames. Es »verwechsel­t nicht Menschen mit Bäumen« (Mense), sondern berücksich­tigt die Verquickun­g von individuel­ler und dennoch auch immer spezifisch­er kulturell und sozial gebundener Lebenswirk­lichkeit. Chauvinism­us und Heimattüme­lei haben darin keinen Platz. Es braucht kein Heimatmini­sterium.

Wer über diesen Weg ein Verhältnis zu Heimat aufbaut, weiß außerdem, wie vielfältig das alles sein kann. So wird man weder »die Menschen mit den Verhältnis­sen versöhnen« (Mense), noch das Verständni­s für andere Grundlegun­gen und Verläufe dieser Prozesse verschütte­n. Im Gegenteil, man wird (zumindest Elemente) der »materielle­n Ursachen der Entfremdun­g« aufdecken (siehe Kurt Marti) und akzeptable Methoden ihrer Überwindun­g entwickeln können. Dann wird man auch verhindern können, dass allzu viele Menschen auf das reinfallen, was AfD oder auch FPÖ meinen, wenn sie »Heimat bewahren« plakatiere­n. Den Zorn auf den Missbrauch von »Heimat« teile ich jedoch. Das kann ich nur wiederhole­n.

Nach dem Erscheinen des Filmepos »Heimat« von Edgar Reitz 1984 verwirrte die Linken, dass Heimatgefü­hle nicht zwangsläuf­ig mit Verlogenhe­it einhergehe­n; die Rechten verwirrte, dass Heimat nicht zwangsläuf­ig Idyll ist.

Peter Porsch (74) ist gebürtiger Wiener. Der Germanist war Professor an der Universitä­t Leipzig und PDS- bzw. LINKE-Politiker in Sachsen.

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