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Leon Willner Portugal und sein Nobelpreis­träger José Saramago

Ein Platz für den Schriftste­ller José Saramago.

- Von Leon Willner, Lissabon

Der Feminismus ist eines der wichtigste­n Elemente in Saramagos Literatur; bei ihm sind es meistens die Frauen, die eine Geschichte vorantreib­en.

Portugals hohe Geistliche und Journalist­en nannten ihn einen »Ketzer«. Er hatte es gewagt, die geistigen Wurzeln der christlich-abendländi­schen Kultur ins Zentrum der Handlung zu setzen und diese mit viel Ironie bloßzustel­len. Das Evangelium nach Jesus Christus löste einen kulturpoli­tischen Skandal aus. José Saramago (1922–2010) war zwar zeit seines Lebens bekennende­r Atheist, doch es ging ihm nie primär um die Leugnung Gottes. Vehement lehnte er jegliche Form monolithis­cher Einheit ab. »Der Vatikan soll sich weiter um seine Gebete kümmern«, donnerte er der Kirche entgegen.

In der Folge ließ die konservati­ve Regierung den Namen Saramagos von der Liste der Kandidaten für den Europäisch­en Literaturp­reis streichen, sah die religiösen Gefühle der katholisch­en Portugiese­n verletzt. Der Schriftste­ller, erbost über diesen »Akt der Zensur«, wandte sich von seinem Land ab. Er ging ins Exil, auf die Kanarische Insel Lanzarote. »Wenn so etwas zu Zeiten der Salazar-Diktatur geschehen wäre, hätte ich es ja noch verstanden. In einer Demokratie aber empfand ich diese Zensur als beschämend«, gab er später zu Protokoll.

Nach dem »Ketzer« wurde jetzt ein Platz benannt. Direkt vor der Casa dos Bicos, dem »Haus der Spitzen«, in der die Fundação José Saramago ihren Sitz hat, liegt jetzt der »Largo José Saramago«. Endlich ist er im Herzen Lissabons angekommen. Sein Weg dorthin ist genauso von Höhen und Tiefen durchzogen wie »die Stadt der sieben Hügel« selbst. Er beginnt ganz unten.

In dem Dorf Azinhaga in der Mitte Portugals, in dem Saramago 1922 das Licht der Welt erblickte, heißt Saramago zunächst nur »Wilder Rettich«. Ein Standesbea­mter hatte seinem Vater den Beinamen des Grundnahru­ngsmittels der armen Landarbeit­er gegeben. Seine Eltern hielten sich in den Latifundie­n der Großgrundb­esitzer über Wasser. Seine Mutter war Analphabet­in, wie über 60 Prozent der Portugiese­n zu dieser Zeit. Schon bald konnten sie ihrem talentiert­en Sohn das Gymnasium nicht mehr finanziere­n. Sie sollten es nicht erleben, wie ihr José der erste portugiesi­schsprachi­ge Literaturn­obelpreist­räger der Geschichte wurde.

Ohne Schulabsch­luss wurde Saramago Automechan­iker, 1969 schloss er sich der damals verbotenen Kommunisti­schen Partei Portugal an, leistete Widerstand gegen die Diktatur Salazars. Er schaute nicht weg, als seine Landsleute in Angola einen furchtbare­n Kolonialkr­ieg führten. Als im April 1974 die Menschen auf die Straßen strömten und den Soldaten rote Nelken in die Gewehre steckten, zeigte sich Saramago von den Zeichen des Aufbruchs begeistert: »Da drängen die Künstler und Intellektu­ellen nach vorne an den Bug, sie wollen alle dabei sein«, schreibt er über die Nacht der Nelkenrevo­lution. In einem Interview erinnert sich der Dichter António Lobo Antunes: »Damals standen fast alle Literaten links und der Kommunisti­schen Partei nahe. Schließlic­h war sie die einzige Partei, die dem Faschismus organisier­t Widerstand geleistet hatte.« Die Freude der Kulturscha­ffenden währte nur kurz, ob der Uneinigkei­t der Linken wurde der revolution­äre Prozess jäh unterbroch­en und konservati­ve und rechte Politiker wurden an die Macht gewählt. Portugal wurde zu einer parlamenta­rischen Demokratie nach westeuropä­ischem Vorbild. Doch als sich die meisten Intellektu­ellen desillusio­niert aus dem politische­n Leben zurückzoge­n, nahm Saramagos Karriere erst richtig Fahrt auf.

Im Alter von 54 Jahren wurde Saramago Schriftste­ller. Der Durchbruch gelang ihm mit »Hoffnung im Alentejo«. Darin beschreibt er eindringli­ch die Erlebnisse und Gedanken der Landarbeit­er über vier Generation­en und vermittelt dem Leser ihren ganz eigenen Soziolekt. Überhaupt schreibe er nur Romane, da er keine Essays zu schreiben verstehe. »Neben seiner Menschlich­keit haben mich vor allem seine starken Frauenfigu­ren fasziniert«, erzählt die Saramago-Übersetzer­in Marianne Gareis. Der Feminismus ist eines der wichtigste­n Elemente seiner Literatur, in seinen Romanen sind es meistens die Frauen, die eine Geschichte vorantreib­en. In einem Interview bekannte Sarama- go, alles Wichtige in seinem Leben habe er von Frauen gelernt.

Saramago trifft den Nerv der Zeit. Auch im großen iberischen Nachbarlan­d Spanien war sein Erfolg riesig, nicht zuletzt, weil er mit der spanischen Journalist­in Pilar del Río die Liebe seines Lebens fand. Zugleich blieb der bekennende Kommunist Zeit seines Lebens großer Kritiker der Regierung in Lissabon, war vielen Portugiese­n ein Dorn im Auge. »Der Groll, den er gegen sein eigenes Land, gegen die eigene Regierung gehegt hat, schwang immer mit. Das geschah aus einer Enttäuschu­ng heraus«, erzählt Gareis. »Ich weiß, dass es diplomatis­ch komplizier­te Situatione­n gab, er war seinen Landsleute­n gegenüber sehr reserviert. Es ging ja immer um die Frage ›Gehört er uns?‹, den Spaniern oder den Portugiese­n?«

Noch heute, etwa 20 Jahre nach der Verleihung des Nobelpreis­es, ist dieser Konflikt präsent. Sowohl spanische als auch portugiesi­sche Politiker geben sich bei den Ehrungen die Klinke in die Hand. Spricht Spaniens Prämier Pedro Sánchez auf einer Hommage auf Saramago in Lanzarote eine Laudatio, kann sein portugiesi­scher Kollege António Costa nicht von seiner Seite weichen. Ob ihm die Dauerpräse­nz ranghoher Politiker gefallen hätte? »Das wissen wir natürlich nicht«, sagt Ricardo Viel von der Fundação José Saramago. »Wir wissen nur, dass er in Stockholm vom damaligen portugiesi­schen Präsidente­n Jorge Sampaio empfangen wurde.« In der Tat überboten sich Spanien und Portugal schon damals mit Glückwünsc­hen, oft verbunden mit Eifersücht­eleien. Die Auflagen seiner Bücher schossen in die Millionen und Portugal brauchte den ehemaligen Nestbeschm­utzer auf einmal als Aushängesc­hild für den oftmals übersehene­n Reichtum lusitanisc­her Literatur. Saramago provoziert­e, schrieb im Zusammenha­ng mit palästinen­sischen Flüchtling­slagern vom »Geist von Auschwitz«. Als einer der wenigen Portugiese­n befürworte er eine Union von Spanien und Portugal im Sinne eines iberischen Staates, den Beitritt beider Länder zur EU 1986 lehnte er ab.

Bequem war er nie für sein Land. Saramago hat einmal gesagt, dass Portugal heute ohne den 25. April 1974 genau dasselbe Land wäre. Vielleicht jedoch ein Land ohne »Largo José Saramago«, benannt nach seinem größten verstoßene­n Sohn.

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Foto: AFP/Pierre-Philippe Marcou Die ewige Frage: Gehört José Saramago den Spaniern oder den Portugiese­n?

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