Hammed Khamis über Deutschlands ersten offen schwulen Imam
Christian Awhan Hermann ist der erste offen schwule Imam Deutschlands. Zum Islam kam er während eines Besuchs der ersten deutschen Moschee, die von einer Frau geleitet wird.
Gestern habe ich mein zweites homosexuelles Pärchen getraut«, sagt Christian Hermann. Er sitzt an einem Tisch in einer Kreuzberger Kneipe und trinkt genüsslich seinen Cay. Den Unterarm auf die abgewetzte Holzlehne seines Stuhls gelegt, krault er sich seinen hellbraunen Vollbart.
Ein homosexuelles Paar zu trauen – das klingt zunächst nicht ungewöhnlich: Die Ehe für alle ist seit 2018 in Deutschland erlaubt – auf dem Standesamt dürfen seitdem auch schwule und lesbische Paare getraut werden. Aber Hermann ist kein Standesbeamter. Er ist Imam. Deshalb lächelt er beim Erzählen auch ein wenig triumphierend.
Im Islam ist das Trauen gleichgeschlechtlicher Paare verboten. Nach strenger Auslegung der islamischen Rechtsprechung, der Scharia, ist selbst die Behauptung, ein gleichgeschlechtliches Paar verheiratet zu haben, Frevel. In einigen Ländern, in denen islamisches Recht gilt, könnte Hermann dafür mit dem Tode bestraft werden.
Der 48-jährige Niederrheiner mit dem christlichen Namen und dem muslimischen Glauben ist selbst schwul. Die meisten Menschen seiner Religionsgemeinschaft lehnen Homosexualität ab. Häufig mit einer einzigen Begründung: Ein Mann kann mit einem Mann kein Kind zeugen, ebenso wenig wie eine Frau mit einer Frau.
Was Muslime über Homosexuelle denken, zeigt eine kleine nicht repräsentative Straßenumfrage in Berlin: Eine Gruppe von Jugendlichen wird nach ihrer Meinung befragt, ob jemand homosexuell sein und gleichzeitig eine Moschee oder eine Kirche leiten könne. Die Antworten fallen deutlich aus: »Ich ficke seine Mutter«, sagt Issa O. aus Neukölln. »Die sind krank«, sagt Maurizio A. aus Charlottenburg. Das sei »haram«, eine Sünde, darin sind sie sich einig – auch bei Christen.
Die Jugendlichen fühlen sich offenbar persönlich angegriffen. Daran, dass man homosexuell geboren wird, denkt keiner. Auch nicht daran, dass dem Gott, an den sie glauben, nachgesagt wird, keine Fehler zu machen – und alle seine Geschöpfe zu lieben.
Auch im Christentum – vor allem in der katholischen Kirche – ist Homosexualität offiziell verpönt. Öffentlich thematisiert wird sie kaum, die meisten gläubigen Christen behalten ihre Meinung dazu für sich. Ab und an erscheint mal ein Artikel in einer Zeitung, der von Missbrauchsfällen in der Kirche berichtet oder davon, wie ein Mann aus dem Klerus als homosexuell geoutet wurde.
Christian Hermann wird 1970 in Koblenz geboren und evangelisch getauft. Mit 19 hat er sein Coming-out. Die Kirche gibt ihm keinen Halt. Er tritt aus, weil seine Gemeinde keine Angebote hat, die zu ihm passen. Dem Glauben bleibt er treu. In Nürnberg engagiert sich der gelernte Industriekaufmann ehrenamtlich in der HIV-Präventionsarbeit und wird Aktivist für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen und Queerpersonen (LGBTIQ*). 2006 zieht er um nach Berlin, wo er sich bei den »Schwestern der Perpetuellen Indulgenz« – weltweit agierende Queeraktivisten, die in Nonnenkleidung auftreten – ehrenamtlich und »nicht-religiös« im LGBTIQ*-Gemeindedienst engagiert.
»Ich war durchaus selbst verblüfft«
Zum Islam kommt Hermann erst viel später. Dass er sich für eine Religion entscheidet, die ihn nicht akzeptiert, wie er ist; eine Religion, die nicht akzeptiert, wie oder wen er liebt, liegt an Seyran Ateş. Sie leitet seit Juni 2017 die liberale Ibn-Rushd-Moschee in BerlinMoabit. Der LGBTIQ*-Aktivist Hermann hofft, in ihr endlich eine Partnerorganisation gefunden zu haben, an die er Muslime verweisen kann, die mit ihrer Sexualität und ihrem Glauben hadern. Doch als er zum Termin mit Ateş die Moschee betritt, passiert etwas anderes: »Da hat es klick gemacht.« Er fühlt sich angekommen. »Ich war durchaus selbst verblüfft«, sagt Hermann heute, der seit seinem Austritt aus der Kirche weiter »mit Gott zusammengelebt« hatte.
Mit dem Islam hatte Hermann bis dahin nur wenig Kontakt. Den Koran aber hatte er ein paar Jahre zuvor gelesen. Hermann wird regelmäßiger Gast in der Ibn-Rushd-Moschee, lernt den Glauben immer besser kennen, als »größer als die Salafisten ihn auslegen«. Keine zwei Monate später konvertiert er zum Islam. Er wird Gemeindekoordina- tor, übernimmt schließlich sogar Predigten, leitet das Freitagsgebet, ist beliebt. Parallel beginnt er eine Fernausbildung zum Imam. Sein Lehrer ist Ludovic-Mohamed Zahed vom CALEM-Institut in Marseille. Zahed ist der erste offen schwule Imam Europas. Hermann wird der erste offen schwule Imam Deutschlands.
Für Awhan Hermann, wie er sich heute nennt, war Zahed wie eine Boje im Wasser. Das will Hermann fortan auch für andere Menschen sein, insbesondere für homosexuelle Muslime. Im September 2018 legte er seine Prüfung zum Imam ab. Nun kann er sich auf die Seelsorge fokussieren, die er anderen Gleichgesinnten anbieten will.
In der Ibn-Rushd-Moschee wird er das nicht tun können: Seinen Posten dort hat er aufgegeben. Mit Ateş habe es nicht so hingehauen, wie er es sich gewünscht hatte. Sie wolle niemanden neben sich stehen haben, so sieht Hermann das. Irgendetwas habe sie immer hinzuzufügen oder auszusetzen gehabt. Er zieht die Reißleine und kündigt.
Wöchentlich bietet Hermann daraufhin im Kreuzberger Himmel ein Freitagsgebet für Muslime und Nichtmuslime an. Jeder kann teilnehmen, egal welchen Glaubens er ist oder wen er oder sie liebt. Der Kreuzberger Himmel ist ein Restaurant in der katholischen St.Bonifatius-Gemeinde in der Yorckstraße, das von Menschen aus aller Welt betrieben wird. Das Freitagsgebet läuft nicht so, wie Hermann es sich gewünscht hatte. Die Zahl der Teilnehmer ist zu gering, um weiter daran festzuhalten. So entschließt er sich, seinen Fokus auf die Seelsorge einzelner Bedürftiger zu legen. Das kann er eh am besten.
Hermann hat schon vielen Menschen geholfen. Menschen, die keinen Sinn in ihrem Leben sahen. Die vor der Gabelung des Lebens standen und sich entscheiden mussten: aufstehen oder aufgeben. Oft kam dies an Feiertagen vor: Weihnachten, Ramadan, Silvester, Geburtstag oder ein Todestag. Kein Mensch will an einem solchen Tag alleine und einsam sein.
Awhan würde gerne mal nach Mekka reisen, die heilige Pilgerfahrt, die jeder Muslim einmal im Leben machen soll. Dafür müsste er aber nach Saudi-Arabien fliegen: das Land, in dem man Homosexuelle mit dem Höchst- maß bestraft: der Todesstrafe. Und Hermann ist mittlerweile eine öffentliche Person – über ihn wurde oft berichtet. Anhand seines Namens könnte man ihn schnell identifizieren. Deshalb hat Hermann darüber nachgedacht, wie er anonym einreisen könnte. Vielleicht mit einem Ersatzreisepass? Dass die Reise ihn seine Freiheit, vielleicht gar sein Leben kosten könnte, ist nur Hermanns zweitgrößtes Problem. Sein größtes ist das finanzielle. Momentan kann er es sich nicht leisten, nach Saudi-Arabien zu fliegen.
Christian Awhan Hermann beginnt eine Fernausbildung zum Imam. Sein Lehrer ist Ludovic-Mohamed Zahed vom CALEMInstitut in Marseille. Zahed ist der erste offen schwule Imam Europas. Hermann wird der erste offen schwule Imam Deutschlands.
Kalima: Ein Verein für diskriminierte Muslime
Doch Hermann hat jetzt sowieso erst einmal keine Zeit für eine größere Reise. Er hat ein neues Projekt gestartet. Im Dezember gründete er den Verein Kalima. Er soll diskriminierten Muslimen eine Heimat bieten – nicht nur, aber vor allem lesbischen und schwulen. Kalima bedeutet auf Arabisch »Wort«, im Sinne »einer guten Idee, die sich als Wort manifestiert«, erzählt Hermann. Es ist aber auch der Name der ersten der fünf Säulen des Islam. »Damit wollen wir deutlich machen, dass der Verein eine gute Idee ist«, sagt Hermann. »Aber auch, dass LGBTIQ*-Muslime, denen häufig abgesprochen wird, Muslime zu sein, sehr wohl dazu gehören.«
Hermann hofft, noch in diesem Jahr Räume für den Verein zu finden. »Mein Traum wäre eine Eröffnung während der Pride Week im Juli.« Dafür braucht der Verein aber Geld: »Wenn wir die Räume allein über Mitgliedsbeiträge finanzieren müssen, dann können wir sie erst in ein paar Jahren eröffnen.« Hermann sei aber bereits in Gesprächen über Fördergelder.
Auch ohne feste Räume ist Christian Awhan Hermann weiter als Imam tätig: Er traut Menschen, hilft bei Scheidungsfragen, berät zu Fragen von Islam und Homosexualität. »Unser Angebot ist bisher einmalig in Deutschland«, sagt Hermann. Frankreich, England, Südafrika und die USA hätten längst Beratungsangebote für Muslime, die sich zwischen ihrer sexuellen Identität und ihrem Glauben zerrieben fühlten. Deutschland nicht. Diese Lücke will Hermann nun schließen.