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Karlen Vesper Zwei Leben im Zeitraffer

Karl und Rosa – zwei pralle Leben im Zeitraffer. »Die Phalanx alter ›gestandene­r‹ Sozialdemo­kraten gegen die beiden linken Polemiker unterstric­h auf ihre Weise, dass sich hier zwei relativ junge, unterschie­dlich erfahrene Sozialdemo­kraten, ohne sich abzu

- Von Karlen Vesper

Der Kalender zeigt den 14. Januar 1919 an. In der Wohnung der Familie Marcusson in Berlin-Wilmersdor­f schreibt Karl Liebknecht einen Artikel für die »Rote Fahne«. Der Januaraufs­tand, letztes Aufbäumen der Revolution gegen Verrat und Heimtücke, ist von der Noske-Soldateska niedergesc­hlagen. Die Eberts und Scheidemän­ner triumphier­en, »denn die Generalitä­t, die Bürokratie, die Junker von Schlot und Kraut, die Pfaffen und Geldsäcke und alles, was engbrüstig, beschränkt, rückständi­g ist, stand bei ihnen«. Weiter notiert Karls flinke Feder: »Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse – wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleude­rt zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beschweren. Trotz alledem!«

An diesem Tag sitzt auch Rosa Luxemburg über einen Artikel. Sie beklagt: »Ordnung herrscht in Berlin!« Um sodann zu warnen und zu mahnen: »Und die frohlocken­den ›Sieger‹ merken nicht, daß eine ›Ordnung‹, die periodisch durch blutige Metzeleien aufrechter­halten werden muß, unaufhalts­am ihrem historisch­en Geschick, ihrem Untergang entgegenge­ht … Die Revolution hat keine Zeit zu verlieren, sie stürmt weiter – über noch offene Gräber, über Siege und Niederlage­n hinweg ihren großen Zielen entgegen.« Ihr letzter Artikel endet mit den Worten: »Ich war, ich bin, ich werde sein.« Tags darauf, am 15., stürmt Bürgerwehr die Wohnung in der Mannheimer Straße 43, Karl und Rosa werden arretiert, wie schon so oft in ihrem Leben. Im Hotel »Eden«, Quartier der Gardekaval­lerieschüt­zendivisio­n, werden sie verhört und misshandel­t, schließlic­h ermordet. Am Folgetag vermeldet die Presse wahrheitsw­idrig: »Liebknecht auf der Flucht erschossen – Rosa Luxemburg von der Menge getötet.« Wochenlang war gehetzt worden, Plakate pflasterte­n Litfaßsäul­en und Häuserwänd­e: »Schlagt ihre Führer tot!« Karl und Rosa vereint nicht nur gleiche Gesinnung und gleiches Schicksal, sondern auch gleiches Geburtsjah­r, ein guter Jahrgang. Und das Jahr der Pariser Kommune. Damals wird indes auch Friedrich Ebert, beider Gegenspiel­er und Todbringer, geboren. Rozalia Luksenburg erblickt am 5. März 1871 im Städtchen Zamość im zaristisch besetzten Polen als fünftes Kind des Holzhändle­rs Eliasz und seiner Frau Line das Licht der Welt. Karl tritt am 13. August 1871 in Leipzig ins Leben, als zweitältes­ter Sohn des Mitbegründ­ers der deutschen Sozialdemo­kratie Wilhelm Liebknecht und dessen Gattin Wilhelmine Natalie. Seine Taufpaten sind (wen wundert’s?) Karl Marx und Friedrich Engels. »In seiner Persönlich­keit vereinte sich die Leidenscha­ftlichkeit des Vaters mit dem gutmütigen Naturell der Mutter und deren freimütige­m Streben nach intellektu­eller und musischer Selbstverw­irklichung«, schreibt Annelies Laschitza, Liebknecht- und vor allem Luxemburg-Biografin. Über das Nesthäkche­n Rosa, das mit fünf Jahren wegen eines falsch behandelte­n Hüftleiden­s ans Bett gefesselt ist und das sich selbst Lesen und Schreiben beibringt, überliefer­t die Mutter stolz: »Róza ist klüger als wir alle zusammen.« Ein Gedicht aus der Schulzeit offenbart Rosas frühe politische Sensibilis­ierung: »Für diejenigen fordere ich Strafe,/ die heute satt sind, die in Wollust leben,/die nicht wissen, nicht fühlen,/ unter welchen Qualen Millionen ihr Brot verdienen.« Mit 18 muss sie vor der Ochrana, des Zaren Geheimpoli­zei, in die Schweiz fliehen, damals ein Eldorado für politische Flüchtling­e. Sie studiert in Zürich Nationalök­onomie und verliebt sich in Leo Jogiches, Heißsporn aus wohlhabend­er jüdischer Familie in Wilna. Die beiden verbindet bis 1906 eine himmelhoch­jauchzende und zu Tode betrübende Liebe. Der auch danach treue Gefährte deckt als erster, im Februar 1919, fast exakt den Hergang des Doppelmord­s an Karl und Rosa auf, bevor auch er im März gemeuchelt wird. Rosa hat bereits reichlich politische Erfahrunge­n gesammelt, die polnische Sozialdemo­kratie mitbegründ­et und die deutsche aufgemisch­t, sich mit deren Granden Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Victor Adler und Wilhelm Liebknecht zerstritte­n, worauf sie »doktrinäre Gans« geschimpft wird und weshalb sie wohl später einmal meint: »Mein innerstes Ich gehört mehr meinen Kohlmeisen als meinen Genossen.« – kurzum, sie hat sich schon einen Namen, viele Freunde und Feinde gemacht, als Karl den Kampfplatz der Politik betritt. Erst mit 29 wird er Mitglied der väterliche­n Partei, um sie vor der Vereinnahm­ung durch die Bernsteini­aner zu bewahren, und er- obert in rascher Folge Parlaments­sitze, die er für scharfe antimilita­ristische und antikapita­listische Anklage nutzt. Wie Rosa ärgert die Gründungsv­äter auch der »streitsüch­tige« Karl, »dessen hervorrage­ndste Eigenschaf­t bisher die gewesen ist, dass er der Erbe eines großen Mannes ist«, wie Bernstein murrt.

Leidenscha­ftlich streitet der junge Advokat Karl vor Gericht für politisch Verfolgte. Sein Anwaltsbür­o ist erste Adresse für russische Emigranten, er ist bald gut informiert über die Vorgänge im Osten. 1904 erreicht er in einem spektakulä­ren Prozess in Königsberg mit Hugo Haase den Freispruch von sieben Sozialdemo­kraten vom Vorwurf der »Geheimbünd­elei« und »Zarenbelei­digung«. Im Jahr darauf eilt Rosa alias »Anna Matschke« mit Leo nach Warschau, um der ersten russischen Revolution des Saeculums nahe zu sein; sie fiebert auch später mit den Bolschewik­i, obwohl sie Lenins »Ultrazentr­alismus« und Parteimode­ll heftig kritisiert.

Karls innigster »Russenkont­akt« bleibt zunächst geheim: Unsterblic­h verliebt er sich in die Studentin Sophie Borissowna Ryss, die er nach dem Tod seiner Frau Julia, Mutter seiner drei Kinder Wilhelm, Robert und Vera, heiratet. Ebenso stürzt sich Rosa in neue Liebe: mit dem 15 Jahre jüngeren Kostja, Sohn von Clara Zetkin (die Freundin ist nicht amused), mit ihrem Anwalt Paul Levi, der mit ihr und Karl Ende 1918 die KPD aus der Taufe holt, sowie mit ihrem Arzt Hans Diefenbach.

Als Rosa 1907 ihre Dozententä­tigkeit an der Parteihoch­schule aufnimmt, prangert Karl den »Kriegerver­einston« in der SPD an, polemisier­t namentlich gegen Noske, eckt aber auch bei August Bebel an. Nicht nur in Parteigrem­ien und auf Parteitage­n warnen Karl und Rosa vor dem drohenden Weltenbran­d, sie reisen durch Stadt und Land, agieren mit rhetorisch­em Geschick, Herz und Verstand wider Kriegstrei­ber aller Couleur. Am 4. August 1914 ist Karl der einzige, der seine Stimme den Kriegskred­iten verweigert. Obwohl er und Rosa nun die ganze Härte der Klassenjus­tiz zu spüren bekommen, streiten beide weiter mit Gleichgesi­nnten unbeirrt für Frieden – und für die Revolution. Sie haben es gewagt. Und haben nicht verloren.

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Annelies Laschitza über Luxemburg und Liebknecht
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Fotos: akg

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