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Volkmar Schöneburg bilanziert den Brandenbur­ger NSU-Ausschuss

Der Linksparte­i-Politiker Volkmar Schöneburg zieht eine Bilanz des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses

- Foto: imago/Martin Müller

Die Arbeit des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses des Brandenbur­ger Landtags neigt sich dem Ende zu. Wann ist mit dem Abschlussb­ericht zu rechnen? Die Beweisaufn­ahme ist mit der Sitzung am 25. Januar voraussich­tlich abgeschlos­sen. Danach wird der Abschlussb­ericht erarbeitet. Das dauert schätzungs­weise bis Juni 2019, so dass er in der letzten Parlaments­sitzung dieser Legislatur beschlosse­n werden könnte.

Ein Grund für die Einsetzung des Ausschusse­s war die Frage: Hätte die Mordserie des NSU verhindert werden können, wenn Brandenbur­gs Verfassung­sschutz die Hinweise, die er über seine Spitzel auf den Verbleib des untergetau­chten NSU-Trios hatte, rechtzeiti­g an die richtigen Stellen weitergege­ben hätte? Wie würden Sie diese Frage beantworte­n? Fakt ist, dass der Verfassung­sschutz Brandenbur­g im September 1998 durch seinen VMann Carsten Szczepansk­i alias »Piatto« verlässlic­he Informatio­nen darüber hatte, dass die im Januar 1998 untergetau­chten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt auf der Suche nach Waffen waren, um Raubüberfä­lle zu begehen, und dabei auch von namentlich bekannten Angehörige­n der sächsische­n »Blood & Honour«-Szene unterstütz­t wurden. Ein Sachbearbe­iter des Verfassung­sschutzes Brandenbur­g schätzte dies folgericht­ig als eine Form von Terrorismu­s ein. Trotzdem sind die Informatio­nen lediglich mit anderen Geheimdien­sten, nicht aber mit den zuständige­n Staatsanwa­ltschaften in Jena oder Chemnitz geteilt worden. Das brandenbur­gische Verfassung­sschutzges­etz sieht das jedoch zwingend vor. Damit ist die direkte Einleitung strafproze­ssualer Maßnahmen verhindert worden.

Ob diese dann auch zur Ergreifung des Trios und damit zur Verhinderu­ng der im September 2000 beginnende­n Mordserie geführt hätten, ist aus meiner Sicht nicht auszuschli­eßen. Zu bedenken ist jedoch, dass im Herbst 1998, also nach der Weigerung des Verfassung­sschutzes, ein Behördenze­ugnis für das Landeskrim­inalamt Thüringen zu erstellen, vom Amtsgerich­t Jena eigenständ­ig Überwachun­gsmaßnahme­n gegen den Ehemann von Antje Probst und gegen Jan Werner, von denen »Piatto« unter anderen seine Erkenntnis­se hatte, veranlasst wurden, die dann allerdings nichts erbrachten. Die Verantwort­ung liegt daher nicht allein bei Brandenbur­g. Aber es kann quasi exemplaris­ch nachvollzo­gen werden, wie Geheimdien­starbeit den Aufbau des NSU ermöglicht hat.

Was waren die Motive des Verfassung­sschutzes, die Informatio­nen nicht weiterzuge­ben? Es ging dem Verfassung­sschutz definitiv um den Erhalt seines Spitzen-Spitzels. »Piatto« saß damals noch im Knast und wurde mit relativ hohem Aufwand abgeschöpf­t, auch in Kooperatio­n mit der Justizvoll­zugsanstal­t Brandenbur­g. Ganz offensicht­lich bestand die Angst, er könne durch die Verwendung seiner Informatio­nen in einem Strafverfa­hren gegen das spätere NSU-Trio und dessen Unterstütz­er Werner oder auch Probst enttarnt werden. Geschuldet ist dieses Dilemma aber nicht dem Einzelfall »Piatto«, sondern den strukturel­l unterschie­dlichen Interessen von Geheimdien­sten und Strafverfo­lgungsbehö­rden. Während die einen wie ein großer Staubsauge­r – und das um jeden Preis – nur Informatio­nen aufsaugen, versuchen die anderen, konkrete Straftaten aufzukläre­n. Der brandenbur­gische Verfassung­sschutz hat dem eigenen Informatio­nsinteress­e eigenmächt­ig den Vorrang eingeräumt. Der »Quellensch­utz« wurde absolut gesetzt. Ein nicht zu verteidige­nder Vorgang.

Hat der Ausschuss etwas Wesentlich­es zu Tage gebracht, das vorher zum NSU-Komplex nicht bekannt gewesen ist? Wir haben eine ganze Reihe neuer Erkenntnis­sen gewonnen. Das betrifft nicht nur die Aufklärung des NSU-Komplexes in Brandenbur­g, sondern auch die Arbeit der Verfassung­sschutzbeh­örde generell. So ist zu Tage getreten, dass der V-Mann-Einsatz in der rechten Szene in der Regel mehr Schaden als Nutzen bewirkt hat. Das hat nicht nur der Fall »Piatto« gezeigt, sondern auch der des VMannes Stadler und die Umstände des Geheimnisv­errates im Verfahren gegen die »Nationale Bewegung«. Um rechte V-Leute, also aktive Neonazis, zu führen, wurden systematis­ch Gesetze verletzt. Es gab begünstige­nde Einflussna­hmen auf Polizei und Justiz, zum Beispiel, indem vor Durchsuchu­ngen oder Strafverfa­hren gewarnt wurde, aber auch massive finanziell­e Zuwendunge­n für die V-Leute, inklusive Handys, Pkws und Computer, die mittelbar zum Aufbau der Naziszene beitrugen. Im Falle von »Piatto« wurde sogar ein kompletter Szeneladen mit Naziutensi­lien finanziert. Es gab aber auch – und das finde ich besonders erschrecke­nd – die Planung und Ausführung von Straftaten durch die Verfassung­sschutzbeh­örde selbst. So sagte uns der V-Mann-Führer von Stadler, dass die Produktion der berüchtigt­en CD »Noten des Hasses« im Jahre 2002, welche unter anderem einen Mordaufruf gegen die damalige Bundestags­präsidenti­n enthielt, bis in die Abteilungs­leitereben­e abgestimmt war.

Der von mir dazu befragte Verfassung­sschutzche­f Heiner Wegesin hat sich in der Sitzung des Ausschusse­s am 23. November 2018 dafür öffentlich entschuldi­gt. Das war bemerkensw­ert, weil das damals von Innenminis­ter Jörg Schönbohm (CDU) geführte Haus stets behauptet hatte, Stadler sei insoweit »aus dem Ruder gelaufen«. Im Grunde wäre damals aber ein eigener Untersuchu­ngsausschu­ss notwendig gewesen. All diese Dinge sind jedoch keine »Ausrutsche­r«. Sie sind strukturel­l bedingt, quasi dem Spitzelsys­tem immanent. Das Bundeskrim­inalamt hat bereits im Jahre 1997 vor einem Brandstift­ereffekt durch V-Leute gewarnt. Der Ausschuss soll empfehlen, wie mit dem Verfassung­sschutz künftig zu verfahren ist. Die CDU und die SPD befürworte­n eine personelle Aufstockun­g. Was halten Sie davon? Die Frage einer Aufstockun­g stellt sich im Kontext der Ergebnisse des Untersuchu­ngsausschu­sses nicht. Vielmehr ist beispielsw­eise die Frage zu beantworte­n, ob wir V-Leute zukünftig noch benötigen. Ich bin der Auffassung: Nein. Ihre Führung und ihr Agieren sind, wie gezeigt, tendenziel­l rechtsstaa­tswidrig. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind aus demokratis­cher Sicht überwiegen­d kontraprod­uktiv. Dieser Ansicht war übrigens auch Erardo Rautenberg, der frühere Generalsta­atsanwalt Brandenbur­gs, den wir als Sachverstä­ndigen hörten. Ein »more of the same« ist jedenfalls nicht die Lösung der Probleme und schon gar nicht die passende Antwort auf den NSU-Skandal.

Die Linksparte­i ist im Prinzip der Ansicht, dass auf Geheimdien­ste verzichtet werden sollte. Halten Sie das für vorstellba­r? Ich kann mir schon eine demokratis­che Gesellscha­ft ohne Geheimdien­ste vorstellen. Aber gegenwärti­g ist die Durchsetzu­ng einer solchen Vision illusionär. Von daher wären eine wirkliche strenge parlamenta­rische Kontrolle, die aktuell weitgehend leer läuft, der Ausbau der Innenrevis­ion innerhalb des Geheimdien­stes und noch engere rechtliche Vorgaben für seine Arbeit schon ein Erfolg. Eine Reduktion durch Eingrenzun­g wäre das. Dafür kann es dann schon ein Mehr an Personal geben.

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Zeugenstan­d des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses in Brandenbur­g

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