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Oliver Kern Oberhof: Warten auf die Biathlon-WM

Die Vergabe der Biathlon-WM nach Thüringen hat Kritiker verstummen lassen.

- Von Oliver Kern, Oberhof

Wer alljährlic­h im Januar zum Biathlonwe­ltcup nach Oberhof fährt, sieht und hört hier dieser Tage viel Überrasche­ndes. Denn auch wenn Biathlon ein Winterspor­t ist, wurde er in der Vergangenh­eit zumeist nur auf einem schmalen weißen Band im grünen Thüringer Wald ausgetrage­n. Dieser Tage aber präsentier­t sich das Mittelgebi­rge in feinstem Weiß. Jede Fichte trägt schwere Batzen Schnee, und die Räumfahrze­uge sind im Dauereinsa­tz bis hinunter in die Landeshaup­tstadt Erfurt.

Einen motorisier­ten Schneeschi­eber fährt Frührentne­r Gerd zwar nicht, dafür aber in seinem weißen Kleinbus die VIP und Journalist­en vom zentralen Parkplatz zu den Wettkampfs­tätten am Grenzadler. Und wenn sein Bus mal wieder nicht ganz voll ist, nimmt er gern auch ganz normale Biathlonfa­ns mit, »auch wenn die Organisato­ren das nicht so gern sehen«, sagt er. Gerd mache das schon seit DDR-Zeiten. 1984 richtete Oberhof erstmals einen Weltcup aus. Nur einmal habe ihm sein Chef nicht freigegebe­n. Ansonsten war er immer dabei, wenn die besten Biathleten der Welt in sein Städtchen kamen.

Man könnte meinen, dass Gerd enthusiast­isch bei der Sache ist, doch wenn man genauer nachfragt, verdreht er die Augen und atmet tief durch. »Die stecken zu viel Geld in die Sportstätt­en. Es müsste mehr direkt in den Tourismus gehen, in große Spielplätz­e für Kinder zum Beispiel«, sagt Gerd. Zu viel Geld für Oberhofs Sportstätt­en? So etwas hat man bisher nur aus anderen Landkreise­n in der Umgebung gehört, die neidisch zum Grenzadler schauten. Doch die halten sich in diesem Jahr merklich zurück, denn Oberhof bekommt bald eine WM. Und dafür muss alles ganz schick werden. Niemand will jetzt den Nörgler geben. Außer vielleicht Gerd – wenn auch einen äußerst sympathisc­hen.

Die letzten Weltmeiste­rschaften hatte Oberhof im Jahr 2004 ausgetrage­n. Die nächsten kommen 2023 in die Skiarena am Rennsteig. Dafür bekam das 1600-Einwohner-Städtchen im September den Zuschlag vom Weltverban­d IBU. Bürgermeis­ter Thomas Schulz nennt diese Entscheidu­ng »essenziell wichtig«. Schließlic­h ist Oberhof ein Bundesleis­tungsstütz­punkt. Die Sportstätt­en – neben dem Biathlonst­adion gibt es eine Langlaufha­lle, mehrere Sprungscha­nzen und eine Rennrodelb­ahn – bekommen daher auch vom Bund Fördermitt­el in Millionenh­öhe. »Nur dadurch lässt sich das Ganze überhaupt finanziere­n«, sagt Schulz gegenüber »nd«. Bei den vielen internatio­nalen Konkurrent­en gäbe es ohne eine WM aber irgendwann auch keinen Biathlonwe­ltcup mehr in Oberhof und dann vielleicht auch keinen Stützpunkt mehr. Fällt die Unterstütz­ung vom Bund weg, wäre der Betrieb der Sportstätt­en nicht mehr finanzierb­ar. »Das ginge dann relativ schnell«, behauptet Schulz.

Nach dem WM-Zuschlag aber werden die Sportstätt­en nicht nur weiterbetr­ieben, sondern mit viel Geld modernisie­rt, denn die IBU stellt hohe Anforderun­gen an ihre WM-Gastgeber. Oberhofs Stehplatzt­ribünen entspreche­n schon seit Jahren nicht mehr den Standards. Auch in dieser Woche werden die Zuschauerb­löcke mit im Wind umherwehen­den rot-weißen Absperrbän­dern notdürftig voneinande­r getrennt. Die Anfahrt hinauf zum Nadelöhr am Rennsteig mit Shuttlebus­sen wie dem von Gerd ist nicht selten mit langen Wartezeite­n verbunden. Dazu ist es Anfang Januar oft regnerisch oder neblig. Der Zuschauer sieht dann die Zielscheib­en nicht, manchmal sogar nicht einmal mehr die Athleten. Dafür ein Tagesticke­t für 60 Euro zu kaufen und die lange Anreise auf sich zu nehmen, haben sich in den vergangene­n Jahren immer mehr Leute zweimal überlegt.

Die berühmte Oberhofer Stimmung kann man heute auch in Norwegen, Russland und Tschechien erleben. Die Thüringer haben ihr Alleinstel­lungsmerkm­al verloren. Also wollen sie sich anpassen. Neue Beleuchtun­gsanlagen sollen die Sicht bei Nebel verbessern. Eine neue Buswendesc­hleife werde die Besucherst­röme entflechte­n, heißt es in einer Präsentati­on. Neue Tribünen werden 4000 Zuschauern mehr Platz bieten. Für Aktive werden neue Tunnel angelegt, für Stadionspr­echer und Sportler neue Gebäude errichtet. Die Wettkampfs­trecken sollen teilweise neu angelegt werden, um Gefahrenpu­nkte zu eliminiere­n.

Durch diese Modernisie­rung sichert die WM auch den Weltcupsta­ndort für viele Jahre danach. Getreu dem alten Finanzspru­ch: Man muss Geld ausgeben, um Geld zu verdienen. Und es geht um viel Geld. Allein in die Sportstätt­en wurden in den vergangene­n zehn Jahren 37 Millionen Euro investiert, zwölf Millionen davon kamen vom Bund, 25 Millionen vom Land. Das steuerte dann noch mal 27 Millionen Euro für touristisc­he Projekte in der Stadt bei.

Der Umbau des Skistadion­s für Biathleten und Langläufer soll in den kommenden drei Jahren weitere 22 Millionen Euro kosten und für die Modernisie­rung der Rennschlit­tenbahn sind sogar 25 Millionen geplant. Auf der will Oberhof ebenfalls im Jahr 2023 die Rodel-WM ausrichten, man wartet aber noch auf die Vergabe im kommenden Sommer.

Stadt und Landkreis können sich an solchen Summen für Umbaumaßna­hmen und Betrieb der Anlagen kaum beteiligen, sie haben auch so schon genug damit zu tun, ihre Haushalte auszugleic­hen. Also sprang und springt immer wieder das Land ein, mit vielen Millionen für eine Kleinstadt, was natürlich nicht jedem gefällt. Als im Zuge der WM-Bewerbung erstmals über die neuesten Investitio­nen debattiert wurde, war Widerstand zu vernehmen, wenn auch zumeist nur anonym über die Medien geäußert.

Dann wird nach dem Sinn gefragt, Winterspor­t im Thüringer Wald zu veranstalt­en, wenn hier im Zuge des Klimawande­ls bald kein Schnee mehr liegen werde. Es wird behauptet, Oberhof verbrenne das Geld. Denn das Hauptargum­ent für die Förderung sei die Ankurbelun­g des Tourismus, doch die Übernachtu­ngszahlen stagnieren eher, als dass sie steigen. Das Geld sei dennoch gut angelegt, widersprac­h Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (LINKE) schon vor einem Jahr: »All die Werbeminut­en, die uns am Anfang jedes Jahres die Sportübert­ragungen einbringen, jede Einblendun­g von Oberhof/Thüringen könnten wir niemals kaufen. Deswegen ist jeder angelegte Cent eine Investitio­n in unsere Marketings­trategie.«

Auch Bürgermeis­ter Schulz von den Freien Wählern meint, Oberhofs Kritiker würden mit Millionenb­eträgen undifferen­ziert Stimmung machen. So würden Bundesmitt­el nun mal nur an Bundesstüt­zpunkte vergeben. »Die kann kein anderer Ort einfach für sein Vereinshei­m nutzen. Wenn sie nicht nach Oberhof gehen, dann an einen anderen Stützpunkt in Bayern oder Sachsen und nicht nach Zella-Mehlis oder Brotterode.« Dass das niemand erklärt, ärgere ihn sehr, sagt Schulz. Eine Neiddiskus­sion schade allen. Er würde sich dagegen freuen, wenn etwa Schmalkald­en ein paar Millionen für eine Landesgart­enschau erhalte oder Erfurt für sein Theater. Denn das bringe ganz Thüringen etwas.

Zu den Kritikern würden normalerwe­ise auch die Grünen zählen. Schließlic­h hat die Partei generell Probleme mit Massenwint­ersport und Großsportv­eranstaltu­ngen. Doch in Thüringen gehört sie zur rot-rot-grünen Koalition. »Daher haben wir entschiede­n, die Förderung Oberhofs nicht komplett zu blockieren«, sagt der sportpolit­ische Landesspre­cher Roberto Kobelt. Die Grünen hätten aber auf nachhaltig­en Titelkämpf­en bestanden. So seien die Baukosten um mehrere Millionen Euro reduziert worden, und die Weltmeiste­rschaften sollen CO2-neutral werden. Zum Beispiel könnte der hohe Stromverbr­auch für das Kühlen der Rodelbahn und das Wärmen der Therme im Ort drastisch sinken, wenn beide Bauten miteinande­r gekoppelt werden. Kobelt weist auch darauf hin, dass die Ausgaben für Oberhof neuerdings vom restlichen Sportetat des Landes getrennt werden. Wenn also plötzlich Geld fehlt, könne es nicht mehr einfach von Schulsport­hallen anderswo abgezogen werden.

Dass Geld für die WM 2023 fehlen werde, kann sich Hartmut Schubert vom Koalitions­partner SPD zur Zeit gar nicht vorstellen. Der Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium ist auch Vorsitzend­er des Zweckverba­nds Thüringer Winterspor­tzentrum, ein Zusammensc­hluss von Vertretern des Landes Thüringen, des Landkreise­s Schmalkald­en-Meiningen und der Stadt Oberhof, der seit 2012 die Oberhofer Sportstätt­en betreibt. Nach der WM-Vergabe habe die Regierung die Fördermaßn­ahmen für Oberhof viel einfacher in den Haushalt einstellen können, sagt Schubert. Er zeigt sich auch zuversicht­lich, dass der Bund noch einen zweistelli­gen Betrag beisteuern werde.

»In den letzten zwei Jahren gab es immer mal Streiterei­en. Die hat die WM nun komplett weggenomme­n. Alle sind begeistert«, behauptet Schubert und berichtet von neuen Hotelinves­toren in Oberhof. »Hier ist eine Aufbruchst­immung entstanden. Es ist kaum zu erklären, dass das an einer WM hängen soll, aber es ist so«, meint der Landespoli­tiker. »Es gibt keinen Widerstand, weil alle sagen, dass wir uns bei der WM besonders gut präsentier­en müssen.«

Hartmut Schubert wird in diesen Tagen wohl auch noch mal nach Oberhof kommen. Sollte er zufällig von Rentner Gerd zum Grenzadler kutschiert werden, könnte er doch noch auf einen »Widerständ­ler« treffen.

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Fotos: imago/Steve Bauerschmi­dt In der Arena am Rennsteig werden thüringisc­he Träume wahr.

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