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Die Machtlosig­keit des Superhelde­n

Macron galt als Frankreich­s Retter – und wurde maßlos überschätz­t.

- Von Stephan Kaufmann

Superhelde­n haben Hollywood vergangene­s Jahr gerettet: Die weltweiten Umsätze der Kinos erreichten 42 Milliarden Dollar. Verantwort­lich dafür waren vor allem die Avengers, Black Panther und Ant-Man. Das Bedürfnis nach Superhelde­n ist augenschei­nlich groß. Nicht nur auf der Leinwand, auch in der Politik wünscht man sich Erlöser, die die Welt in Ordnung bringen. Wie Emmanuel Macron. Vor allem in Deutschlan­d trauten viele dem französisc­hen Präsidente­n zu, ein ganzes Land allein durch Entschloss­enheit zu retten. Heute ist man enttäuscht. Doch die Enttäuschu­ng ist ungerecht. Denn Macrons Ziele liegen außerhalb seiner Möglichkei­ten.

Als Macron sein Amt übernahm, galt er als Hoffnungst­räger, gerade in der deutschen Öffentlich­keit. Er sei ein »bekennende­r Reformer«, hieß es, der »mit erfrischen­der Konsequenz sein Wahlprogra­mm durchzieht«. Ihm wurde zugetraut, das »verkrustet­e« Frankreich zu neuer wirtschaft­licher Blüte zu führen.

Keine Frage des puren Willens

Nötig dafür, versprach Macron, sei lediglich der pure Wille zur Veränderun­g. »Das französisc­he Volk hat es immer vermocht, die notwendige Energie, die Urteilskra­ft und den Willen zur Eintracht aufzubring­en, um den tiefgreife­nden Wandel zu vollziehen«, warb Macron. »Wir sind Opfer unserer eigenen Untätigkei­t.« Konsequent­es Handeln war also gefragt, um die Dynamik zu entfesseln. »Es braucht junge Franzosen, die Lust haben, Milliardär zu werden.«

Der Franzose machte damit wirtschaft­lichen Erfolg zu einer Frage der richtigen Einstellun­g nach dem Muster: Wer will, der schafft es. Das sollte für das Land wie für den Einzelnen gelten: »Wenn ich Arbeitslos­er wäre, würde ich nicht erwarten, dass die anderen alles tun, ich würde erstmal versuchen, alleine klarzukomm­en«, rief Macron den Arbeitslos­en zu.

Heute dagegen ist das Wunderkind entzaubert: Frankreich­s Wirtschaft ist eher schwach, die Arbeitslos­igkeit hoch, die Bevölkerun­g protestier­t. Dabei hat Macron nach herrschend­er Lehre alles richtig gemacht. Er hat die Kündigunge­n vereinfach­t, die Gewerkscha­ften entmachtet und den Druck auf Arbeitslos­e erhöht. Das freut die Unternehme­r, ebenso wie die Senkung der Kapitalste­uern.

Doch ist wirtschaft­licher Erfolg nichts, was man einfach per Gesetz erlassen kann. Mit seiner Politik verbessert­e Macron zwar die Bedingunge­n »für jene, die den Reichtum schaffen«, womit der Präsident die Investoren meint. Doch sind Löhne, Steuern und Abgaben nur die Bedingunge­n des Erfolgs. Ob sich daraus ein Aufschwung entwickelt, hängt an der Stellung Frankreich­s im Vergleich zu den Konkurrent­en in Europa, Amerika und Asien. Das belegen alle Probleme, die Frankreich attestiert werden: Seine Steuern, seine Löhne gelten als zu hoch – aber nur, weil sie in Deutschlan­d, den USA und China niedriger sind.

In der Folge verlieren die französisc­hen Unternehme­n seit langem weltweit Marktantei­le an Wettbewerb­er aus Deutschlan­d und den Schwellenl­ändern, seit einigen Jahren auch an Spanien und die USA, errechnet die französisc­he Bank Natixis. Das, und nicht eine rätselhaft­e Willenssch­wäche, ist das Problem Frankreich­s wie auch Italiens.

Hiesige Politiker halten Frankreich gerne den deutschen Aufschwung als Vorbild vor. Doch ist weder der deutsche Erfolg noch der französisc­he Misserfolg allein der Politik geschuldet. Vielmehr haben Frankreich und Italien tief sitzende strukturel­le Nachteile, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben: Ihre Unternehme­n sind zu klein, haben geringe Forschungs­etats, sind weniger produktiv und erreichen selten die für den Weltmarkt nötige Größe. Sie konnten daher kaum per Export vom Boom der Schwellenl­änder profitiere­n. Deutschlan­ds Industrie ist exportstar­k und stellt technisch anspruchsv­olle Produkte her, die dem Preiswettb­ewerb nicht so stark ausgeliefe­rt sind. Frankreich­s Unternehme­r dagegen konkurrier­en mit Produkten von einfacher oder mittlerer Komplexitä­t häufig direkt mit Anbietern aus Asien – und unterliege­n. »In Frankreich kam es zu einer rasanten Deindustri­alisierung«, so das Wirtschaft­sforschung­sinstitut DIW. Dagegen »konnte die deutsche Industrie kräftig auf den Auslandsmä­rkten expandiere­n«.

Frankreich wird damit zum Opfer einer grundlegen­den Verschiebu­ng in Europa: Auf der einen Seite stehen die Länder des industriel­len Kerns wie Deutschlan­d, Österreich, die Niederland­e oder Belgien. Hier mögen die Industriel­öhne hoch sein. Doch hängt Weltmarkte­rfolg weniger an der Lohnhöhe, sondern an den technologi­schen Fähigkeite­n der Unternehme­n sowie ihrer sektoralen Spezialisi­erung, erklärt das Wiener Wirtschaft­sforschung­sinstitut WIIW. Ihren Vorsprung können die Kern-Staaten über erhöhte Forschung und Entwicklun­g immer weiter ausbauen. Zudem profitiere­n sie von Trends wie »Agglomerat­ion« und »Clustering«, also der Tendenz der Industrie, sich an hochproduk­tiven Orten zu konzentrie­ren.

Das ermöglicht den Kern-Staaten ihre Exporterfo­lge, sie fahren Handelsübe­rschüsse ein und werden zu Gläubigers­taaten. Ihnen gegenüber, so das WIIW, stehen die Länder der Euro-Peripherie: Griechenla­nd, Portugal, Spanien, Italien. Sie produziere­n technologi­sch eher anspruchsl­ose Güter, die im scharfen globalen Preiswettb­ewerb stehen. Ihre Industrie schrumpft, sie werden abhängiger von Dienstleis­tungen und Tourismus. Ihr Kennzeiche­n ist ein Handelsdef­izit – sie akkumulier­en Schulden. Frankreich, bisher in einer Mittelposi­tion, »wird zunehmend zu einem peripheren Land«, stellt die Bank Natixis fest.

Gegen diese »strukturel­le Polarisier­ung« (WIIW) kann Europas Peripherie allein nichts ausrichten. Um den Trend umzukehren, bräuchte es eine europäisch­e Zusammenar­beit, Investitio­nsbudgets, den gezielten Aufbau technologi­scher Kapazitäte­n in den Schuldners­taaten. Doch davon will die Politik in den KernStaate­n nichts wissen. Auch die Bundesregi­erung steht auf dem Standpunkt, dass Frankreich­s Probleme nichts mit dem deutschen Erfolg zu tun haben und daher von Frankreich selbst zu lösen sind.

Diesen Standpunkt übernimmt Macron, notgedrung­en. »Wir können und müssen es besser machen«, appelliert­e er in der Neujahrsan­sprache an seine Landsleute. Er forderte eine Rückbesinn­ung »auf die Anstrengun­gen jedes Einzelnen« und machte dabei klar, dass die Zeiten hart werden: »Wir können nicht weniger arbeiten und mehr verdienen.« Dabei hätten viele Franzosen mehr nötig – etwa ein Fünftel der Bevölkerun­g lebt von maximal 1800 Euro, kommt also gerade so zurecht. Den Gelbwesten werden die Gründe zum Protest nicht ausgehen.

Frankreich kämpft um seinen Status als erfolgreic­he Industrien­ation, die Protestbew­egung der Gelbwesten sucht nach ihrer politische­n Position.

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 ??  ?? Macron in Führerpose: umstritten­es Titelbild der Zeitung »Le Monde«
Macron in Führerpose: umstritten­es Titelbild der Zeitung »Le Monde«

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