nd.DerTag

Gewaltfrei­e Sprache

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»Flirt scheitert – Radler schlägt Frau fast tot«, »Zehn Jahre im Wachkoma, Frau bringt trotzdem Baby zur Welt – Vergewalti­gung?«, »Mit 16 tötete sie [Cyntoia Brown] ihren Freier«. In der letzten Woche fand mal wieder ein Medienwett­bewerb um die verharmlos­endste Schlagzeil­e zum Thema sexuelle Gewalt statt. Kann es denn wirklich sein, dass Frauen diese angetan wird, obwohl wir Statistike­n, Berichte von Betroffene­n und eindeutige Indizien dafür haben? Lieber erst mal anzweifeln und schon mal verharmlos­en und somit die Antwort liefern. Also windet man sich, biegt sich Dinge zurecht und verniedlic­ht, wo es nur geht, damit man nicht das Offensicht­liche ausspreche­n muss, nicht am Status quo rütteln muss, nicht wahrhaben muss, was da täglich um einen herum und vor allem Frauen passiert.

Und so wird, wenn es um Vergewalti­gung oder um den Vorwurf der Vergewalti­gung geht, immer wieder von »Sex« gesprochen. Vergewalti­ger werden zu »Sex-Monstern« entmenschl­icht, die außerhalb der Gesellscha­ft stehen und mit uns und unserer Sexualmora­l nichts zu tun haben. Misogynie wird zu »Frust«, minderjähr­ige Opfer von Menschenhä­ndlern werden zu »Prostituie­rten« und Täter zu »Freiern«. Belästigun­gen, Übergriffe, Drohungen bis hin zu Mordversuc­hen (wir erinnern uns an die Eisenstang­e) werden zu »Flirts« und häusliche Gewalt und Femizide zu »Beziehungs­dramen«. Dahinter steckt selbstvers­tändlich keine Verschwöru­ng, System hat es dennoch. Dass Medien so formuliere­n, mag durchaus auch unbewusst passieren, aber es zeigt eine Abwehr des immer noch nicht verinnerli­chten Umstands, dass Frauen Menschen sind. Menschen, die auf eine bestimmte Weise von einer durch männliche Normen geprägten Gesellscha­ft gesehen und behandelt werden – und so spezifisch­e Probleme bekommen.

Das Beispiel der Wachkomapa­tientin ist dabei vielleicht am deutlichst­en: Es ist klar, dass die Frau vergewalti­gt wurde. Es kann nicht anders sein, da sie nicht in der Lage war, ihre Zustimmung zu geben. Trotzdem ist ein Fragezeich­en da, wo keines sein sollte. Es ist dort, weil sich dieser Fall in Strukturen abspielt, in denen Frauen objektifiz­iert werden, in denen Übergriffe als normal gelten, verharmlos­t und herunterge­spielt werden, in denen das Überschrei­ten von Grenzen als »Balzverhal­ten« gesehen wird, in denen nicht offene Kommunikat­ion Fundament von Sexualität ist, sondern die tiefliegen­de Überzeugun­g, dass Sex etwas ist, das man einfordern kann. Bei jedem anderen so eindeutig nachweisba­ren Verbrechen an einer Person würde man sofort und ausschließ­lich fragen: Wer hat es getan, warum hat die Person es getan, wie war es möglich, dass sie so etwas tun konnte, und wie können wir solche Dinge zukünftig verhindern? Das geht allerdings nur, wenn man sexuelle Gewalt konsequent wie ein Verbrechen behandelt und Frauen wie Menschen.

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