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Fallbeile aus Breslau

- Von Daniela Fuchs

Andenken im Strafgefän­gnis.

Erbaut 1895 im damaligen Breslau, spiegelt das Wrocławer Strafgefän­gnis Nr. 1 und die Geschichte der dort inhaftiert­en politische­n Gefangenen den Mikrokosmo­s der herrschend­en gesellscha­ftlichen Verhältnis­se wider. Noch heute bietet der düstere Bau aus roten Ziegelstei­nen Raum für bis zu 1375 Gefangene.

Zwischen 1917 und 1918 saß Rosa Luxemburg hier ihre »Schutzhaft« zur »Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs« ab. In ihren Gefängnisb­riefen ist überliefer­t, unter welchen Bedingunge­n sie in der damaligen Kletschkau­straße lebte. Seit ihrer Verlegung aus Wronke bei Posen hatten sich die Haftbeding­ungen für Luxemburg verschlech­tert. Im August 1917 schrieb sie an Sophie Liebknecht: »Was mir hier fehlt, ist natürlich die relative Bewegungsf­reiheit, die ich dort hatte, wo die Festung den ganzen Tag offen stand, während ich hier einfach eingesperr­t bin, dann die herrliche Luft, der Garten und vor allem die Vögel ... Hier gibt es auf dem großen gepflaster­ten Wirtschaft­shof, der mir zum Spaziergan­g dient, nichts zu entdecken.« In Wrocław erlebte sie, wie Büffel, die als Lastentier­e eingesetzt wurden, von Soldaten grausam misshandel­t wurden. In tiefer Verzweiflu­ng identifizi­erte sie sich mit einem der blutig geschlagen­en Tiere. Darüber schreibt sie im Dezember 1917: »Wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht.«

In Gefangensc­haft trauerte Rosa Luxemburg um ihren Freund, den Arzt Hans Diefenbach, der zur gleichen Zeit an der Westfront des Ersten Weltkriege­s gefallen war. Was muss in ihr vorgegange­n sein, als sie von der Machtübern­ahme der Bolschewik­i in Russland hörte. Hier verfasste sie im Frühherbst 1918 auch das Manuskript »Zur russischen Revolution«, die den berühmten, später viel diskutiert­en und oft missverstä­ndlich interpreti­erten Satz »... Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenk­enden ...« enthielt. Erst die revolution­ären Ereignisse im November 1918 brachten für Rosa Luxemburg die Freiheit. Doch die sollte nur kurz andauern und mit ihrer Ermordung am 15. Januar 1919 in Berlin enden.

Während der faschistis­chen Diktatur der Nationalso­zialisten wurde das Gefängnis ein wichtiger Bestandtei­l der Breslauer Topographi­e des Terrors. Hier wurden Häftlinge verhört, verwahrt oder hingericht­et. Davon zeugt etwa eine Gedenktafe­l, die an polnische Hochschull­ehrer der Krakauer Jagiellone­n-Universitä­t erinnert, die 1939 im Zuge der »Sonderakti­on Krakau« von hier in das KZ Sachsenhau­sen gebracht wurden. Oder ein kleines Emaillesch­ild an der Außenmauer, das einen jungen Mann in tschechisc­her Fliegeruni­form zeigt. Wie František Červinka, der nur 24 Jahre alt wurde, wurden bis zu 1085 Gefangene hier ermordet. Ein Fallbeil der Breslauer Guillotine wurde nach der Befreiung durch die Rote Armee als Kriegsbeut­e mitgenomme­n und im Zentralmus­eum des Großen Vaterländi­schen Krieges in Kiew gezeigt. Ein zweites gehört heute zur Dauerausst­ellung »1000 Jahre Breslau« des Stadtmuseu­ms Wrocław.

Der Gefängnisb­au überlebte die schweren Kämpfe um die Stadt – von Hitler in den letzten Kriegsmona­ten zur Festung erklärt – nahezu unbeschade­t. Nach der Kapitulati­on am 6. Mai 1945 wurden die Täter von einst zu Insassen des Gefängniss­es. Die Zellen wurden im nunmehr polnischen Wrocław von SS- und SA Männern, Volksdeuts­chen, NSDAP-Mitglieder­n und Wehrwolf-Angehörige­n belegt, zeitweise waren es bis zu 4300 Gefangene. Der Wrocławer Antifaschi­st und KZ-Überlebend­e Fred Löwenberg hätte hier beinahe sein Leben verloren, als er aufgrund einer Denunziati­on gemeinsam mit ehemaligen KZ-Wachleuten inhaftiert und von Mitinsasse­n und Sicherheit­skräften gleicherma­ßen schikanier­t wurde.

Gedenktafe­ln an den Außenmauer­n erinnern an die Gefangenen und Hingericht­eten des stalinisti­schen Terrors, darunter an ehemalige Angehörige der Landesarme­e, aufgestell­t von der polnischen Exilregier­ung in London. Auch an Mitglieder der unabhängig­en Gewerkscha­ft Solidarnoś­ć, die nach Einführung des Kriegsrech­ts am 13. Dezember 1981 hier interniert wurden, wird gedacht. Frische Blumen mit rot-weißen Bändern zeugen vom gerade feierlich begangenen Jahrestag. Im nur eingeschrä­nkt zugänglich­en Innenhof des Gefängniss­es werden die neuen Helden der Polnischen Republik geehrt – die sogenannte­n »Verstoßene­n Soldaten«, Kämpfer des antikommun­istischen Untergrund­s. Doch eine Gedenktafe­l für die Sozialisti­n und Internatio­nalistin Rosa Luxemburg sucht man vergeblich. In einem Leserbrief der liberalen Zeitung »Gazeta Wyborcza« wurde unlängst gefordert, das zu ändern. Eine Gedenktafe­l zu Ehren Rosa Luxemburgs wäre nicht nur eine schöne Geste, sondern gleichzeit­ig ein Protest gegen die nationalis­tische Rechte Polens.

Daniela Fuchs ist Mitglied des Sprecherra­tes der Historisch­en Kommission der LINKEN.

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