Ausgepfändet
Einzelne Schuldeneintreiber verzichten lieber darauf, rabiate »Reichsbürger« aufzusuchen Das Berufsbild des Gerichtsvollziehers hat sich gewandelt. Der Landesrechnungshof schlägt vor, die Beamten in den gehobenen Dienst hochzustufen.
Gerichtsvollzieher zu sein, ist in Brandenburg gefährlich.
»Die gehen los und kleben ihren Kuckuck auf den Flach bild fernseher und der wird dann gepfändet .« Sowie viele Menschen stellte sich auch Landes rechnungshof präsident Christoph Weiser die Tätigkeit von Gerichtsvollziehern vor–bis erden Bericht las, den seine Untergebenen über das Gerichtsvollzieher wesen des Landes Brandenburg verfasst haben. Am Freitag wurde dieser Bericht an Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) übergeben.
Aus dem 39 Seiten umfassenden Papier geht hervor, dass sich das Berufsbild des Gerichtsvollziehers in den zurückliegenden Jahren einschneidend verändert hat. Die Pfändung und Verwertung beweglichen Vermögens biete, so heißt es, praktisch keine Möglichkeit mehr, Schulden einzutreiben. Versteigerungen machten im Jahr 2017 nur noch 0,008 Prozent der Geschäftstätigkeit der Gerichtsvollzieher aus. Aus dem klassischen Schulden ein treiber ist ein Ermittler geworden, der Auskünfte über Vermögen einholt und der sogar Festnahmen durch die Polizei veranlassen kann, wenn sie ihm die verlangten Auskünfte verweigern.
Gefährlich kann das werden, wenn der Gerichtsvollzieher au feinen rabiaten» Reichs bürger« trifft, der die Bundesrepublik und ihre Behörden nicht anerkennt und sich weigert, Abgaben zu entrichten. Gerichtsvollzieher berichten, dass sie im Dienst beleidigt, bedroht und sogar tätlich angegriffen werden. Manchmal erstrecken sich die Drohungen sogar auf Angehörige der Gerichtsvollzieher. Zwei Kollegen habendem Rechnungshof mitgeteilt, dass sie» Reichsbürger« prinzipiell nicht mehr aufsuchen. Vorstellbar wäre eine Gefährlichkeits abfragen ach sächsischem Vorbild, damit Gerichtsvollzieher vorher wissen, zu wem sie gehen und ob es bei diesem Menschen ratsam ist, Polizisten mitzunehmen.
Dass» Reichs bürger« in Einzelfällen mit ihrer Zahlungs verweigerung durchkommen, weil sie Gerichtsvollzieher einschüchtern, hält das Justizministerium genauso wieder Rechnungshof für inakzeptabel. »Die Sicherheit der Gerichtsvollzieher ist uns ein Herzensanliegen«, versichert ein Ministeriumssprecher. Vorgesehen sei die Beschaffung von Spezialwesten, die gegen Messerstiche schützen. Es werden schon Selbstverteidigungskurse angeboten und außerdem Lehrgänge, wie sich Konflikte entschärfen lassen.
Der Beratungsbericht des Rechnungshofs schildert abgesehen von den Auseinandersetzungen mit »Reichsbürgern« und anderen renitenten Zeitgenossen noch andere Schwierigkeiten und macht Lösungsvorschläge. Das zentrale Problem ist die Überlastung der 121 Gerichtsvollzieher im Bundesland. 25 Gerichtsvollzieher machten Überlastungsanzeigen. Der Krankenstand stieg vor einigen Jahren sprunghaft. Summierten sich die krankheitsbedingten Fehltage im Jahr 2012 noch auf 378, so waren es 2014 schon 1804 Fehltage. Dies hat fatale Folgen für die Bearbeitungszeiten. Bis zur Vollstreckung einer Forderung dauert es vier Monate, im Bereich von drei brandenburgischen Amtsgerichten sogar mehr als sechs Monate.
Wieso das fatal ist? Wieso sich nicht einmal Schuldner darüber freuen dürfen? Die Misere hat private Inkassounternehmen aus dem Boden schießen lassen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg waren Ende 2018 bereits 49 Inkassodienstleister registriert. Zehn Jahre zuvor waren es erst 18. Die Inkassounternehmen brüsten sich damit, dass sie Schulden viel schneller und rücksichtsloser eintreiben. Sie sind – anders als Gerichtsvollzieher – nicht gesetzlich dazu verpflichtet, auf gütliche Einigungen hinzuwirken. Einzelne Inkassounternehmen gehen nach Angaben des Landesrechnungshofs sogar so weit, dass sie ihrer Kundschaft andeuten, beim Eintreiben von Forderungen Methoden anzuwenden, »die an der Grenze des rechtlich Zulässigen liegen«.
Nach Überzeugung von Rechnungshofpräsident Weiser muss politisch entschieden werden, wie mit der Ausdehnung der Inkassobranche umgegangen werden soll. Zwei Denkweisen bieten sich an: Entweder freut sich die Politik darüber, dass Private den Staat entlasten, oder sie bedauert diese Entwicklung und steuert gegen.
Für alle Fälle empfiehlt der Rechnungshof, bei den Amtsgerichten spezielle Büros einzurichten, die für jeweils mehrere Gerichtsvollzieher tätig sind und diese bei Schreibarbeiten und anderen Verwaltungsaufgaben unterstützen. Es wäre dann auch möglich, dass sich Gerichtsvollzieher bei Urlaub oder Krankheit gegenseitig vertreten, erläutert Christoph Weiser. Bislang sei es so, dass die Arbeit in dieser Zeit liegenbleibt.
Gerichtsvollzieher sind besoldete Beamte. 54 Prozent der Gerichtsvollzieher in Brandenburg beschäftigen aber auf eigene Rechnung Büroangestellte, die ihnen helfen, die sie aber auch selbst bezahlen müssen. Das lohnt sich, wenn die Gerichtsvollzieher dadurch mehr Vollstreckungen durchführen können, denn sie werden finanziell an den eingenommenen Gebühren beteiligt. Diese Verquickung von Beamtenstatus und Unternehmertum ist historisch gewachsen und einzigartig.
Die Gerichtsvollzieher, die niemanden beschäftigen, scheuen das Risiko beispielsweise der Lohnfort- zahlung für eine Sekretärin im Krankheitsfall. Die Sorge wäre ihnen mit einem Büro beim Amtsgericht genommen. Wenn das Büro sich um die Archivierung von Akten, die Terminplanung und andere Dinge kümmert, die bislang rund 60 Prozent der Arbeitszeit der Gerichtsvollzieher aufzehrt, würde man in Brandenburg mit sechs Gerichtsvollziehern weniger auskommen, ermittelte der Landesrechnungshof.
Fakt ist allerdings, dass Brandenburg mehr Gerichtsvollzieher braucht. Die Zahl der Planstellen wurde zwischen 2011 und 2017 von 151 auf 137 gesenkt. Doch tatsächlich eingesetzt waren zuletzt nur noch 121 Gerichtsvollzieher. Angesichts der gestiegenen Anforderungen wäre es nach Ansicht des Rechnungshofs ratsam, einmal darüber nachzudenken, die Gerichtsvollzieher vom mittleren in den gehobenen Dienst zu befördern – mit der Konsequenz einer besseren Besoldung, was die unangenehme Tätigkeit attraktiver machen würde.
Dann würde eine Berufsausbildung als Qualifikation allerdings nicht mehr ausreichend. Es müsste ein Studium absolviert werden. Der Landtagsabgeordnete Axel Vogel (Grüne) würde dies begrüßen. »Nur so wird man in der Zukunft noch geeignete Bewerber motivieren können«, meint er.
Der Abgeordnete Danny Eichelbaum (CDU) wirft der rot-roten Koalition vor, sie habe es versäumt, eine ausreichende Zahl von Stellen zu schaffen. »Dies hat dazu geführt, dass die Vollstreckungsaufträge nur mit teils drastischem Zeitverzug durchgeführt werden können«, sagt Eichelbaum. Er fordert eine angemessene Personalausstattung und eine auskömmliche Vergütung. Zugleich setzt er sich dafür ein, »dass die Voraussetzungen für die Ausbildung von Gerichtsvollziehern in Brandenburg geschaffen werden«. Möglich wäre dies an der Justizakademie in Königs Wusterhausen, schlägt Eichelbaum vor.
Allerdings bildet das Land Brandenburg bereits eigene Gerichtsvollzieher aus – in Kooperation mit anderen Bundesländern in Monschau in Nordrhein-Westfalen, wie das Justizministerium erläutert. Ob Brandenburg die Ausbildung auf ein Studium umstellt, wird sich zeigen. 2016 hat Baden-Württemberg dies getan. Die Erfahrungen damit will Brandenburg zunächst abwarten.