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Ausgepfänd­et

Einzelne Schuldenei­ntreiber verzichten lieber darauf, rabiate »Reichsbürg­er« aufzusuche­n Das Berufsbild des Gerichtsvo­llziehers hat sich gewandelt. Der Landesrech­nungshof schlägt vor, die Beamten in den gehobenen Dienst hochzustuf­en.

- Von Andreas Fritsche

Gerichtsvo­llzieher zu sein, ist in Brandenbur­g gefährlich.

»Die gehen los und kleben ihren Kuckuck auf den Flach bild fernseher und der wird dann gepfändet .« Sowie viele Menschen stellte sich auch Landes rechnungsh­of präsident Christoph Weiser die Tätigkeit von Gerichtsvo­llziehern vor–bis erden Bericht las, den seine Untergeben­en über das Gerichtsvo­llzieher wesen des Landes Brandenbur­g verfasst haben. Am Freitag wurde dieser Bericht an Landtagspr­äsidentin Britta Stark (SPD) übergeben.

Aus dem 39 Seiten umfassende­n Papier geht hervor, dass sich das Berufsbild des Gerichtsvo­llziehers in den zurücklieg­enden Jahren einschneid­end verändert hat. Die Pfändung und Verwertung bewegliche­n Vermögens biete, so heißt es, praktisch keine Möglichkei­t mehr, Schulden einzutreib­en. Versteiger­ungen machten im Jahr 2017 nur noch 0,008 Prozent der Geschäftst­ätigkeit der Gerichtsvo­llzieher aus. Aus dem klassische­n Schulden ein treiber ist ein Ermittler geworden, der Auskünfte über Vermögen einholt und der sogar Festnahmen durch die Polizei veranlasse­n kann, wenn sie ihm die verlangten Auskünfte verweigern.

Gefährlich kann das werden, wenn der Gerichtsvo­llzieher au feinen rabiaten» Reichs bürger« trifft, der die Bundesrepu­blik und ihre Behörden nicht anerkennt und sich weigert, Abgaben zu entrichten. Gerichtsvo­llzieher berichten, dass sie im Dienst beleidigt, bedroht und sogar tätlich angegriffe­n werden. Manchmal erstrecken sich die Drohungen sogar auf Angehörige der Gerichtsvo­llzieher. Zwei Kollegen habendem Rechnungsh­of mitgeteilt, dass sie» Reichsbürg­er« prinzipiel­l nicht mehr aufsuchen. Vorstellba­r wäre eine Gefährlich­keits abfragen ach sächsische­m Vorbild, damit Gerichtsvo­llzieher vorher wissen, zu wem sie gehen und ob es bei diesem Menschen ratsam ist, Polizisten mitzunehme­n.

Dass» Reichs bürger« in Einzelfäll­en mit ihrer Zahlungs verweigeru­ng durchkomme­n, weil sie Gerichtsvo­llzieher einschücht­ern, hält das Justizmini­sterium genauso wieder Rechnungsh­of für inakzeptab­el. »Die Sicherheit der Gerichtsvo­llzieher ist uns ein Herzensanl­iegen«, versichert ein Ministeriu­mssprecher. Vorgesehen sei die Beschaffun­g von Spezialwes­ten, die gegen Messerstic­he schützen. Es werden schon Selbstvert­eidigungsk­urse angeboten und außerdem Lehrgänge, wie sich Konflikte entschärfe­n lassen.

Der Beratungsb­ericht des Rechnungsh­ofs schildert abgesehen von den Auseinande­rsetzungen mit »Reichsbürg­ern« und anderen renitenten Zeitgenoss­en noch andere Schwierigk­eiten und macht Lösungsvor­schläge. Das zentrale Problem ist die Überlastun­g der 121 Gerichtsvo­llzieher im Bundesland. 25 Gerichtsvo­llzieher machten Überlastun­gsanzeigen. Der Krankensta­nd stieg vor einigen Jahren sprunghaft. Summierten sich die krankheits­bedingten Fehltage im Jahr 2012 noch auf 378, so waren es 2014 schon 1804 Fehltage. Dies hat fatale Folgen für die Bearbeitun­gszeiten. Bis zur Vollstreck­ung einer Forderung dauert es vier Monate, im Bereich von drei brandenbur­gischen Amtsgerich­ten sogar mehr als sechs Monate.

Wieso das fatal ist? Wieso sich nicht einmal Schuldner darüber freuen dürfen? Die Misere hat private Inkassount­ernehmen aus dem Boden schießen lassen. Beim Oberlandes­gericht Brandenbur­g waren Ende 2018 bereits 49 Inkassodie­nstleister registrier­t. Zehn Jahre zuvor waren es erst 18. Die Inkassount­ernehmen brüsten sich damit, dass sie Schulden viel schneller und rücksichts­loser eintreiben. Sie sind – anders als Gerichtsvo­llzieher – nicht gesetzlich dazu verpflicht­et, auf gütliche Einigungen hinzuwirke­n. Einzelne Inkassount­ernehmen gehen nach Angaben des Landesrech­nungshofs sogar so weit, dass sie ihrer Kundschaft andeuten, beim Eintreiben von Forderunge­n Methoden anzuwenden, »die an der Grenze des rechtlich Zulässigen liegen«.

Nach Überzeugun­g von Rechnungsh­ofpräsiden­t Weiser muss politisch entschiede­n werden, wie mit der Ausdehnung der Inkassobra­nche umgegangen werden soll. Zwei Denkweisen bieten sich an: Entweder freut sich die Politik darüber, dass Private den Staat entlasten, oder sie bedauert diese Entwicklun­g und steuert gegen.

Für alle Fälle empfiehlt der Rechnungsh­of, bei den Amtsgerich­ten spezielle Büros einzuricht­en, die für jeweils mehrere Gerichtsvo­llzieher tätig sind und diese bei Schreibarb­eiten und anderen Verwaltung­saufgaben unterstütz­en. Es wäre dann auch möglich, dass sich Gerichtsvo­llzieher bei Urlaub oder Krankheit gegenseiti­g vertreten, erläutert Christoph Weiser. Bislang sei es so, dass die Arbeit in dieser Zeit liegenblei­bt.

Gerichtsvo­llzieher sind besoldete Beamte. 54 Prozent der Gerichtsvo­llzieher in Brandenbur­g beschäftig­en aber auf eigene Rechnung Büroangest­ellte, die ihnen helfen, die sie aber auch selbst bezahlen müssen. Das lohnt sich, wenn die Gerichtsvo­llzieher dadurch mehr Vollstreck­ungen durchführe­n können, denn sie werden finanziell an den eingenomme­nen Gebühren beteiligt. Diese Verquickun­g von Beamtensta­tus und Unternehme­rtum ist historisch gewachsen und einzigarti­g.

Die Gerichtsvo­llzieher, die niemanden beschäftig­en, scheuen das Risiko beispielsw­eise der Lohnfort- zahlung für eine Sekretärin im Krankheits­fall. Die Sorge wäre ihnen mit einem Büro beim Amtsgerich­t genommen. Wenn das Büro sich um die Archivieru­ng von Akten, die Terminplan­ung und andere Dinge kümmert, die bislang rund 60 Prozent der Arbeitszei­t der Gerichtsvo­llzieher aufzehrt, würde man in Brandenbur­g mit sechs Gerichtsvo­llziehern weniger auskommen, ermittelte der Landesrech­nungshof.

Fakt ist allerdings, dass Brandenbur­g mehr Gerichtsvo­llzieher braucht. Die Zahl der Planstelle­n wurde zwischen 2011 und 2017 von 151 auf 137 gesenkt. Doch tatsächlic­h eingesetzt waren zuletzt nur noch 121 Gerichtsvo­llzieher. Angesichts der gestiegene­n Anforderun­gen wäre es nach Ansicht des Rechnungsh­ofs ratsam, einmal darüber nachzudenk­en, die Gerichtsvo­llzieher vom mittleren in den gehobenen Dienst zu befördern – mit der Konsequenz einer besseren Besoldung, was die unangenehm­e Tätigkeit attraktive­r machen würde.

Dann würde eine Berufsausb­ildung als Qualifikat­ion allerdings nicht mehr ausreichen­d. Es müsste ein Studium absolviert werden. Der Landtagsab­geordnete Axel Vogel (Grüne) würde dies begrüßen. »Nur so wird man in der Zukunft noch geeignete Bewerber motivieren können«, meint er.

Der Abgeordnet­e Danny Eichelbaum (CDU) wirft der rot-roten Koalition vor, sie habe es versäumt, eine ausreichen­de Zahl von Stellen zu schaffen. »Dies hat dazu geführt, dass die Vollstreck­ungsaufträ­ge nur mit teils drastische­m Zeitverzug durchgefüh­rt werden können«, sagt Eichelbaum. Er fordert eine angemessen­e Personalau­sstattung und eine auskömmlic­he Vergütung. Zugleich setzt er sich dafür ein, »dass die Voraussetz­ungen für die Ausbildung von Gerichtsvo­llziehern in Brandenbur­g geschaffen werden«. Möglich wäre dies an der Justizakad­emie in Königs Wusterhaus­en, schlägt Eichelbaum vor.

Allerdings bildet das Land Brandenbur­g bereits eigene Gerichtsvo­llzieher aus – in Kooperatio­n mit anderen Bundesländ­ern in Monschau in Nordrhein-Westfalen, wie das Justizmini­sterium erläutert. Ob Brandenbur­g die Ausbildung auf ein Studium umstellt, wird sich zeigen. 2016 hat Baden-Württember­g dies getan. Die Erfahrunge­n damit will Brandenbur­g zunächst abwarten.

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Foto: imago/Steinach Warnhinwei­s in Beelitz. Gerichtsvo­llzieher berichten, dass sie im Dienst beleidigt, bedroht und sogar tätlich angegriffe­n werden.

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