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Zusammenge­rauft

Jahresauft­akte, Klausurdeb­atten und Kultur – die Linksparte­i besinnt sich im politische­n Entscheidu­ngsjahr 2019 auf ihre Gemeinsamk­eiten

- Von Uwe Kalbe

Vier Tage nutzten die Führungsgr­emien der Linksparte­i, um ihre Vorsätze für das Jahr 2019 zu formuliere­n. Von einem Schicksals- und Schlüsselj­ahr war dabei die Rede.

Am Ende scheint es kaum mehr ein unfreundli­cher Akt gewesen zu sein. Dass die Kritiker von Sahra Wagenknech­t, Chefin der Linksfrakt­ion im Bundestag, mit einer Beschlussv­orlage zur Klausur Ende letzter Woche anreisten, in der die Fraktion auf ihre Linie gebracht werden sollte, nimmt ihnen im Nachhinein keiner übel, so scheint es. Der Beschluss wurde einstimmig angenommen, auch von Wagenknech­t also, und die hierin enthaltene Ankündigun­g, dass die Aktionen der Bewegung »Unteilbar« Unterstütz­ung verdienen und von der Fraktion erhalten sollen, scheint alle zufriedenz­ustellen. Wagenknech­t nannte es anschließe­nd vor der Presse unstrittig, dass man in der Linksparte­i mit Flüchtling­en so- lidarisch ist. Sie habe dem Beschluss »aus vollem Herzen« zugestimmt. Die Frage sei nur, ob »wir die weltweite Ungleichhe­it damit bekämpfen, dass wir Zuwanderun­g fördern«.

Alle Beteiligte­n lobten die konstrukti­ve Atmosphäre der Fraktionsk­lausur, Wagenknech­t freute sich, dass es gelungen sei, sich auf die »wichtigen Themen« zu konzentrie­ren. Die Fraktion beschloss, Hartz IV durch eine solidarisc­he Mindestsic­herung ersetzen zu wollen. Ziel ist es, die Bezugszeit für das Arbeitslos­engeld I zu verlängern und eine Leistung einzuführe­n, die der früheren Arbeitslos­enhilfe entspricht – um zu verhindern, dass Menschen trotz jahrelange­r Arbeit in Existenzno­t geraten. Man wolle die Menschen erreichen, die von Abstieg betroffen sind, so Wagenknech­t. Die Linksparte­i habe vor allem in akademisch­en Milieus zugenommen, was erfreulich sei. Doch in ihren angestammt­en Milieus habe sie an Zustimmung verloren.

Auch Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sprach von einer »sehr guten Klausur«. Es sei nicht um Personal gegangen, nicht um Sahra Wagenknech­t, sondern darum, wie wir »den Sozialstaa­t wiederhers­tellen können«.

Im Vorfeld hatte der Abgeordnet­e Thomas Nord Wagenknech­ts Positionen in der Migrations­politik heftig kritisiert und dies mit einer Rücktritts­drohung unterstric­hen. Doch auch die Initiatore­n des Beschlusse­s zu »Unteilbar« scheinen mit dem Ausgang der Klausur zufrieden. Von Nords Rücktritts­drohung ist keine Rede mehr. Gegenüber »nd« betonte Kathrin Vogler, es sei den Initiatore­n ohnehin nicht um Personen gegangen, sondern darum, Festlegung­en zur Bündnispol­itik gerade im kommenden Jahr zu treffen, in dem wichtige Wahlentsch­eidungen fallen. Natürlich sei daran die Erwartung geknüpft, dass sich gerade jene Verantwort­lichen an die Beschlüsse der Fraktion halten, die mehr als andere in der Öffentlich­keit stehen. Wagenknech­t hatte vor der »Unteilbar«-Demonstrat­ion mit 240 000 Teilnehmer­n allein in Berlin Kritik am Auf- ruf der Initiatore­n geäußert. Auch nach der Fraktionsk­lausur erklärte sie, natürlich sei es auch künftig nicht verboten, Papiere zu kritisiere­n, mit denen man nicht einverstan­den sei.

Die Parteiführ­ung der LINKEN nutzte den Jahresbegi­nn ebenfalls zu einem politische­n Jahresauft­akt. Und zum Bekenntnis der Geschlosse­nheit. Am Sonnabend formuliert­e Parteivors­itzende Katja Kipping: »Energierau­bende, innere Blockaden können wir uns nicht mehr leisten.« Zuvor hatten Kipping und Parteichef Bernd Riexinger in einem Positionsp­apier den Parteien links der Mitte ein Angebot zur Zusammenar­beit unterbreit­et. Es gehe darum, einen grundlegen­den Politikwec­hsel vorzuberei­ten. In den zaghaften Versuchen der SPD wie der Grünen, das Hartz-IVSystem von einigen Zumutungen für die Betroffene­n zu befreien, sehen Kipping und Riexinger einen Ansatz hierfür. Es handele sich um nicht weniger als eine Pflicht der drei Parteien, Verantwort­ung für die Mehrheit der Menschen zu übernehmen. Mit Blick auf den wenig ermutigend­en Veränderun­gswillen der beiden angesproch­enen Parteien wie auch auf die realen Mehrheitsv­erhältniss­e in der Gesellscha­ft räumte Kipping absehbare Schwierigk­eiten ein. Es gehe deshalb darum, eingespiel­te Rollen zu verlassen und Wege zu erproben, »die erst beim Gehen entstehen«.

»Wir müssen es schaffen, gemeinsam zu kämpfen«, forderte Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch am Sonnabend. Wenigstens bis zum 27. Oktober ... Das ist das Datum der Wahl in Thüringen, der letzten von vier Landtagswa­hlen des Jahres, neben Thüringen in Brandenbur­g, Bremen und Sachsen. Im Mai wird außerdem über das EU-Parlament entschiede­n. Gegen den »Kulturkamp­f« der Rechten in Europa wie in Deutschlan­d sieht Bartsch nur ein Gegenmitte­l: eine starke Linke. Am Sonntag endete deren viertägige Selbstbesi­nnung mit dem traditione­llen Jahresauft­akt der Bundestags­fraktion. Gegen rechten Ungeist hilft neben Geschlosse­nheit vor allem eines: Kultur.

Dass die Kritiker von Sahra Wagenknech­t mit einer Beschlussv­orlage zur Klausur anreisten, in der die Fraktion auf ihre Linie gebracht werden sollte, nimmt ihnen im Nachhinein keiner übel, so scheint es. Der Beschluss wurde einstimmig angenommen.

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