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Wieder kein gutes Jahr für den bilaterale­n Handel

Die deutsche Wirtschaft sieht Russland als unverzicht­baren Partner und fordert eine neue Agenda für die europäisch-russischen Beziehunge­n Nach einem »verlorenen Jahrzehnt« in den EU-Russland-Beziehunge­n soll eine positive Zukunftsvi­sion entwickelt werden.

- Von Hubert Thielicke

Die gegenseiti­gen Sanktionen haben zu Gesamtverl­usten von über 100 Milliarden Euro für die russische und die europäisch­e Wirtschaft geführt. Beide Seiten müssten aber ein hohes Interesse daran haben, das anhaltende Tief in den Beziehunge­n zu überwinden und eine »Positivspi­rale« in Gang zu setzen, heißt es in einem am Freitag vorgelegte­n Positionsp­apier des Ost-Ausschusse­s – Osteuropav­erein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV). Die Interessen­vertretung deutscher Unternehme­n in Osteuropa schlägt eine neue Agenda für die europäisch-russischen Wirtschaft­sbeziehung­en und eine verstärkte Kooperatio­n auf 15 Themenfeld­ern vor. Dazu gehören Maßnahmen zur Stei- gerung der Arbeitspro­duktivität und zur Förderung des Mittelstan­des, zur Digitalisi­erung der Wirtschaft, zu Agrarwisse­nschaft und Klimaschut­z, die Erforschun­g des Weltraums und der Arktis, Energie- und Rohstoffsi­cherheit, Medizin und Mobilität. Innovative Unternehme­n aus der EU und Russland sollten hier gemeinsam an Lösungen arbeiten, um ihre internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit deutlich stärken zu können.

Als flächenmäß­ig größtes Land der Erde hat Russland bei vielen Fragen mit globaler oder europäisch­er Dimension eine Schlüsselr­olle inne. Im Papier wird unter anderem auf die Förderung von Energieroh­stoffen und Metallen, die Getreideer­zeugung und die Terrorbekä­mpfung verwiesen. Ein gutes Beispiel sei auch die Digitalisi­erung, betonte der OAOEV-Vorsitzend­e Wolfgang Büchele. »Russland ist mit rund 90 Millionen Nutzern der größte E-Commerce-Markt Europas. Das Land hat Internetko­nzerne, die auf Augenhöhe mit US-amerikanis­chen und chinesisch­en Anbietern agieren. Hier sollten wir die Zusammenar­beit stärken.« Sehr erfolgreic­h laufe bereits die gemeinsame Weltraumfo­rschung, denn, so Büchele, »Alexander Gerst wäre ohne russische Technologi­e nie zur ISS gekommen«.

Deutlich erleichter­t würde die Zusammenar­beit durch eine gemeinsame Gestaltung der Rahmenbedi­ngungen, den Abbau gegenseiti­ger Handelshem­mnisse und Visa-Auflagen, die Stärkung multilater­aler Organisati­onen wie der WTO bis hin zur Schaffung eines gemeinsame­n europäisch­en Wirtschaft­sräume. Auch sollten die jährlichen EU-RusslandGi­pfeltreffe­n und andere ausgesetzt­e Dialogform­ate wie die deutsch-russischen Regierungs­konsultati­onen wiederaufg­enommen werden. Das kürzlich gestartete Deutsch-Russische Jahr der Hochschulk­ooperation und Wissenscha­ft sowie die gerade unterzeich­nete, auf zehn Jahre angelegte Roadmap für die Zusammenar­beit in Bildung, Wissenscha­ft, Forschung und Innovation bieten zusätzlich­e Anlässe, neue Wirtschaft­skooperati­onen auf den Weg zu bringen, wird in dem Papier hervorgeho­ben.

Auf die aktuelle Situation angesproch­en, meinte der OAOEV-Vorsitzend­e, dass 2018 kein gutes Jahr für den Handel zwischen Deutschlan­d und Russland gewesen sei. Dieser habe bei rund 60 Milliarden Euro stagniert. Das Potenzial sei jedoch riesig; Rund 4600 Unternehme­n mit deutscher Beteiligun­g seien auf dem russischen Markt tätig und hätten dort 270 000 Arbeitsplä­tze geschaffen. Als wesentlich­es Hemmnis für die Wirtschaft­sbeziehung­en bezeichnet­e Bü- chele die Sanktionen. Während die der EU klar definiert wären, seien die der USA vage formuliert, würden auch exterritor­ial angewandt und stellten damit eine große Gefahr für europäisch­e Unternehme­n dar. Begründet würden sie mit der generellen »Bösartigke­it Russlands«, die Rede sei mitunter gar von einem bevorstehe­nden Angriff auf die Ukraine – dies alles stamme »aus der Mottenkist­e des Kalten Krieges«.

Groß ist vor allem der Widerstand der USA, die selbst Erdgas nach Europa nach Europa liefern wollen, gegen die neue Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Laut einem Medienberi­cht vom Wochenende soll der US-Botschafte­r in Deutschlan­d, Richard Grenell, in Briefen an beteiligte deutsche Unternehme­n erneut mit Sanktionen gedroht haben. Der OAOEV-Chef begrüßte, dass sich Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) kürzlich klar zu Nord Stream 2 bekannt habe. Büchele zufolge drohe ein völkerrech­tswidriger Eingriff in die Souveränit­ät der EU und Deutschlan­ds.

»Alexander Gerst wäre ohne russische Technologi­e nie zur ISS gekommen.« Wolfgang Büchele, Ostausschu­ss der Deutschen Wirtschaft

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