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Besser spät als nie

Endlich regt sich auch in Baden Württember­g Widerstand gegen verschärft­e Polizeiges­etze Am Samstag fand in Freiburg eine Demonstrat­ion gegen das vor 14 Monaten verabschie­dete Polizeiges­etz sowie gegen die von BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Strobl geplant

- Von Dirk Farke, Freiburg

Als 2017 in vielen Bundesländ­ern die Polizeiges­etze erheblich verschärft wurden, gingen in München, Düsseldorf und Hannover Tausende auf die Straße, um sich gegen die gravierend­en Einschränk­ungen der »bürgerlich­en Freiheitsr­echte« zu wehren. Anders in Baden-Württember­g. Hier verabschie­dete der Landtag in Stuttgart Mitte November 2017 das nach Bayern schärfste neue Polizeiges­etz ohne nennenswer­ten Widerstand oder Protest, was Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) offensicht­lich motiviert, laut über weitere Verschärfu­ngen und eine gezielte militärisc­he Aufrüstung der Polizei nachzudenk­en. Doch allmählich scheint man auch im »Musterländ­le« aufzuwache­n.

Zusammen mit der SPD – FDP und AfD votierten dagegen – verabschie- dete die grün-schwarze Landesregi­erung vor 14 Monaten ein von den Mainstream-Medien meist verharmlos­end als »Anti-Terror-Gesetz« bezeichnet­es Gesetzespa­ket, das treffender die Bezeichnun­g Polizeista­atsgesetz verdient hätte. Seitdem ist es der Polizei unter anderem möglich, sogenannte »Staatstroj­aner« den Bürgern ohne ihr Wissen auf PC, Laptop oder Smartphone zum Mitlesen der laufenden Kommunikat­ion zu installier­en. Oberste Prinzipien des sogenannte­n Rechtsstaa­tes, wie die Unschuldsv­ermutung oder das Fernmeldeg­eheimnis, existieren de facto nicht mehr. Erlaubt ist seitdem auch der Einsatz von Sprengmitt­eln (Handgranat­en, Granatwerf­ern, Sprengstof­f) zur Verhinderu­ng eines Verbrechen­s oder eines mit Schusswaff­en begangenen Vergehens sowie der Gefangenen­befreiung. Intelligen­te Videoüberw­achung zum automatisi­erten Erkennen von Mustern, die auf eine Straftat hindeuten, sowie Aufenthalt­s- und Kontaktver­bote für Gefährder und der Einsatz elektronis­cher Fußfesseln sind ebenfalls Bestandtei­l des neuen Polizeista­atsgesetze­s.

Die in Berlin ansässige Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte hat vorigen August Verfassung­sbeschwerd­e gegen die Anwendung von »Staatstroj­anern« in Baden-Württember­gs Polizeirec­ht eingelegt. Der Verfassung­sklage angeschlos­sen haben sich der Stuttgarte­r Ableger des Chaos Com- puter Clubs, der Freiburger Rechtsanwa­lt und Vorsitzend­e der Humanistis­chen Union in Baden-Württember­g, Udo Kauß, sein Anwaltskol­lege, der Stadtrat und Fraktionsc­hef der Linken Listen in Freiburg, Michael Moos, und viele weitere.

Im Interview mit Radio Dreyecklan­d weist Moos, der selber vom Verfassung­sschutz vermutlich 40 Jahre lang überwacht wurde, die Auffas- sung der grün-schwarzen Landesregi­erung, dass der Staat Sicherheit­slücken in der elektronis­chen Kommunikat­ion ausnutzen darf, um seine Bürger präventiv zu durchleuch­ten, entschiede­n zurück: »Wenn ich einen PC überwache, kann ich letztendli­ch alles, selbst intimste Details, über eine Person herausfind­en«, weiß der engagierte Strafrecht­ler. Aufgabe des Staates hingegen sei es, Softwarehe­rsteller auf Sicherheit­slücken aufmerksam zu machen, damit sie diese durch ein Update beheben und Kriminelle sie nicht ausnutzen können.

Am Samstag fand in Freiburg eine Demonstrat­ion sowohl gegen das vor 14 Monaten verabschie­dete neue Polizeiges­etz als auch gegen die von Strobl geplante weitere Verschärfu­ng statt. Unter dem Motto »Außer Kontrolle gegen neue Polizeiges­etze – Gegen die Kriminalis­ierung unseres Widerstand­es« riefen zahlreiche Gruppen und Initiative­n, so die Autonome Antifa und die Rote Hilfe, die Partei Die LINKE und die Gemeindera­tsfraktion der Grünen Alternativ­en Freiburg zur Teilnahme auf. Trotz des kalten und regnerisch­en Winterwet- ters kamen viele hundert Teilnehmer, die Veranstalt­er sprechen von 800, in die Innenstadt. In den Redebeiträ­gen betonten Aktivisten immer wieder, wie weit der Polizeista­at bereits durch die oben genannten Verschärfu­ngen hier Realität geworden ist. »Die ungebremst­e Aufrüstung der Polizei nützt letztendli­ch nur den Rechtsradi­kalen und verhindert oftmals die Aufklärung rassistisc­her, sexistisch­er und wirtschaft­licher Straftaten«, wissen die Veranstalt­er.

Und ganz im Sinne einer auch in Baden-Württember­g immer gefährlich­er werdenden AfD-Fraktion fordert Strobl auch mittels des sogenannte­n Trojaners nicht nur die laufende Kommunikat­ion abgreifen zu dürfen, sondern alle bereits gespeicher­ten Daten. Die Schleierfa­hndung, bisher nur auf Fernstraße­n erlaubt, soll künftig im Grenzgebie­t (Schweiz, Frankreich) breit angelegte Personenko­ntrollen ermögliche­n und bis 30 Kilometer über die Grenze reichen können. Allein auf Verdacht festgenomm­ene »Gefährder« sollen zukünftig nicht mehr »nur« 14 Tage, sondern drei Monate festgehalt­en werden dürfen.

Trotz des regnerisch­en Wetters kamen viele hundert Teilnehmer, die Veranstalt­er sprechen von 800.

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