Terror unterm Trichter
Akademietheater Wien: »Glaube Liebe Hoffnung« von Horvath, Regie: Michael Thalheimer
Geschniegelte Verklemmtheit schickt sehr wesenlose Blicke. Alles so drückend, drohend, dräuend. Ein verhängnisvoll inbrünstiger Geist lastet auf dieser schwarztiefen Bühne. Lieblich zu sein – das versucht hier ausgerechnet jener Ton, der das Gegenteil von Lieblichkeit ist: der Ton der Lüge und der Gewalttätigkeit. Melodiös sind einzig die verbalen Meucheleien, klangbrutal ist einzig jenes Militärische, das jede wärmere Regung exekutiert. Die Volksgemütsstimmung als Treibriemen für Seelenterror.
Michael Thalheimer inszenierte am Akademietheater Wien »Glaube, Liebe, Hoffnung« von Ödön von Horváth (Bühne: Olaf Altmann). Ein Vernichtungszeremoniell, in einem Lichtkegel. Jedes lebende Gesicht, das hier auftaucht, scheint neidisch darauf zu sein, wie perfekt Leichen erblassen. Die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Elisabeth will ihren Körper, den künftigen Leichnam, dem anatomischen Institut verkaufen, in der Annahme, sie bekäme Geld. Das sie dringend braucht, für einen Gewerbeschein. Es beginnt eine Odyssee, bei der die arbeits- und also rechtlose junge Frau wie ein Spielball von Unmensch zu Unmensch gestoßen wird. Irre Erlösungslogik: Erst nach dem tödlichen, befreienden Sprung ins Wasser wird sie gleichsam Atem holen können. Liebe? Ist Krieg. Glaube? Ist eine Krankheit. Hoffnung? Ist eine Sterbensart.
Die Inszenierung reißt an Welt und Zeit – so, dass Oberflächen reißen; aus jeder Ritze Gesellschaft tropft das Böse, aus jeder Sekunde Dasein bleckt Grauen. Diese unendlich traurige, hart brüllende Inszenierung ist, als falle schwarzes Konfetti auf eine schlimmste Unglücksstelle. Theater als Kälteströmung, in der Menschen zu Karikaturen erstarren. Keine moderate Temperatur zwischen Heiß und Kalt. Thalheimer schaltet alle Heizungen auf den Gefrierpunkt. Nichts mit trauriger ErgriffenheitsAtmoshpäre. Kein Hineinschmatzen in den Psychoschmalz. Wenn Elisabeth von einer Frostherzwand zur nächsten stolpert, wird die Szene von Minute zu Minute bleierner. Als klirrten Eiswürfel in Trinkgläsern. Schaurige Paradoxie: Das Einprägsame der Gestalten wächst nicht aus Charakterkraft, sondern aus zunehmender Vergröberung! Lemuren, ewiges Geschichtsfutter, Unsterbliche des täglichen Darwinismus.
Branko Samorovskis Leichenpräparator verkörpert den Sündenfall der Moderne: dass man Sachbearbeiter auf Menschen loslässt. Ein irrer Quäler und Gequälter, den eigenen Wahn zelebrierend, ein Nosferatu, dessen Menschenliebe wahrlich messerscharf ist; er hat eine fast kindliche Freude am still grinsenden Törichtwerden. Merlin Sandmeyer spielt den Polizisten, der Elisabeth liebt, sie im Stich lässt - einfach nur eine arge Vorteilssau.
Auch Christiane von Poelnitz, Peter Matic: starke Spieler im konsequenten Dienst einer George-GroszZeichenschule. Genormte Selbstbewusste, starr grinsende Totengesichter des Erfolgs, kopfzuckende Roboter der egomanen Wellness, hetzende Puppen der gängigen Power-Formeln, Krawatten-Klone des Individualismus. Das Kleingewerbe- und Gernegroßmilieu als quäkender, keifender Sarkasmus: Volk ist immer wieder ein starkes Stück. Volksstück. Horváths Volksstücke porträtieren Auserwählte dieser perfiden Gewöhnlichkeit. Am Anfang haben die Menschen vielleicht noch eine verzweifelt schöne, tapfer unschuldige Vorstellungskraft von sich selber, sehr schnell aber wird Vorstellungskraft zur Vernichtungsenergie. Die wie ein reißender Fluss alles überspült: Statisten drängen mehrfach herein, Menge in Fleischerschürzen, Unmenge in Uniform – das Fließbandtrampeln der Arbeitslosen- oder Dienstgeisterheere; die Quelle der Ausbeutung versiegt nicht. Und auch dies erzählt das Bild: Es wird wohl fortgehend weit mehr frei flottierende, hetzende Unzufriedenheit in die Welt gesetzt, als mit den bestehenden Sozialmitteln der Befriedigung gebunden werden kann.
Andrea Wenzl als Elisabeth: Sie bricht dir das Herz! In geradezu tänzerischer Unbeugsamkeit tapfert und stakst sie ihrem Ende entgegen. In zerrissenen Strumpfhosen. Aber mit Lippenstift. Und im geblümten Sommerkleidchen, das wie eine Utopie vom Luftigen, Leichten flattert - umstampft von Led Zeppelins vergeblicher Sonnenbeschwörung. Wenzl zeigt nicht nur Getriebensein, sondern auch, dass dieser Typ Mensch, als bedauernswertes Produkt der Gesellschaft, stets auch ihr verlässlich stabilisierender Faktor bleibt.
Sozialverhältnisse sind der Schmerz, der entsteht, wenn andere Leute andere Interessen haben, und die frechste Lüge der Vernunft, da inmitten, ist das selbstbewusste Individuum. Das Ich des modernen Menschen kämpft um die Aufrechterhaltung eines minimalen Standards von Identität. Diese sogenannte Identität ist immer zwischen zwei Verrücktheiten placiert: Maximalidentität und Nullidentität. Bei der ersten verschmilzt das Individuum mit seiner Person, im Fall der Nullidentität depersonalisiert sich der Mensch und weiß schließlich nicht mehr, wer oder was er ist. Dem entspricht, dass wir in der Krise immer auf das Einfache zurückgreifen: verraten, zuschlagen, umbringen. Das zeigt Michael Thalheimer, und deshalb kann man, was man da auf der Bühne sieht, kaum mögen. Es ist in solcher Konsequenz verflucht und - verfluchend gut.
Thalheimer wirft uns ein hartes Geständnis an den Kopf: Seine Inszenierung kann sich nicht vorstellen, dass wir in einer Ordnung der Dinge leben könnten, die besser wäre. Mit Horváth sagt er: Eine andere Welt ist möglich, ja – nämlich eine sich steigernd schlechtere, und die haben wir bekommen. Nach dem Ende der progressiven Geschichte ist das Schlechtere offenkundig stets das Wahrscheinlichere. Die letzte Hoffnung ist die größte: Was du an der Menschheit aufgibst, kehrt im einzelnen Menschen zurück. Sieh das geblümte Sommerkleid.
Eine andere Welt ist möglich, ja – nämlich eine sich steigernd schlechtere, und die haben wir bekommen.
Weiter: 27. und 29. Januar