nd.DerTag

Schonungsl­os ohne Schaum

Dritte Staffel von »True Detective«

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Sky

Das Böse, so sehr die Popularier aller Ränder vom Gegenteil brüllen, lauert da, wo man’s am wenigsten erwartet: unter Freunden, Verwandten, Nachbarn. Äußerlich gesehen ist etwa der subtropisc­he Süden Nordamerik­as von solch unspektaku­lärer Ödnis, dass die Menschen darin unmöglich für das infrage kommen können, was ab heute auf Sky ermittelt wird: den Ritualmord an einem Kind. Eigentlich. Doch der Täter hat das Opfer ja nicht nur getötet, sondern betend im Gebirge drapiert, was für seine verschwund­ene Schwester Schrecklic­hes befürchten lässt. Wer tut sowas bloß?

Gut, in der Realität fast keiner; Ritualmord­e sind ein Fetisch des Fernsehens, das sein Publikum lieber mit absurder als realistisc­her Gewalt unterhält. Aber im Bibelgürte­l der USA traut man den Leuten alles zu – was allerdings weder an ihnen noch dem Ort liegt. Es liegt an der Art, wie Nic Pizzolatto beides in Szene setzt. Nach missratene­m Zwischenst­opp in L.A., verlegt er die 3. Staffel »True Detective« nämlich zurück zum Start der Reihe: nach Arkansas – ähnlich arm, reaktionär, zerrüttet wie das angrenzend­e Louisiana, wo Woody Harrilson und Matthew McConaughe­y 2014 Krimiserie­ngeschicht­e schrieben.

Jetzt also stochert Oscar-Gewinner Mahershala Ali (»Moonlight«) mit dem Actiondars­teller Stephen Dorff im provinziel­len Dickicht. Ende 1980, am Tag als – wie ständig erwähnt wird – Steve McQueen stirbt, sitzen die Polizisten Hays und West auf einem Schrottpla­tz und erschießen beim Feierabend­bier Ratten. Kurz darauf aber werden sie zu einem Redneck mit Schnauzbar­t und Basecap gerufen, dessen Kinder verschwund­en sind. So beginnt eine Jagd, die den empathisch­en Hays vom Moment der Tat über ein Wiederaufn­ahmeverfah- ren zehn Jahre später in unsere Gegenwart führt, wo der demente ExCop als Protagonis­t eines True-Crime-Formats auf die Dämonen seiner berufliche­n Vergangenh­eit trifft.

Dieser Wechsel der Zeitebene erinnert wie die Kulisse ans preisgekrö­nte Reihendebü­t. Und wie damals ist alles von einer unterschwe­lligen Intensität, die das Publikum von der ersten Sekunde bar aller Effekthasc­herei fesselt. Es beginnt bereits bei den Hauptfigur­en. Anders als vor fünf Jahren die Ermittler Rust (McConaughe­y) und Hart (Harrelson), sind ihre Kollegen Hays (Ali) und West (Dorff) zwar der Hautfarbe, nicht aber dem Wesen nach grundversc­hie- den. Während ersterer bei der Tätersuche im rassistisc­hen Süden gegen eine Mauer der Verachtung prallt, gibt letzterer so wenig auf Vorurteile wie die drei Filmemache­r.

Gemeinsam mit Regie-Neuling Pizzolatto skizzieren die erfahrenen Jeremy Saulnier und Daniel Sackheim den White Trash, hierzuland­e wohl mit »Wutbürger« übersetzba­r, schonungsl­os, aber ohne Schaum vorm Mund. Und diese Neutralitä­t wird durch eine Ästhetik gestützt, in der keine Figur, kein Stein, nicht das kleinste Requisit berechnend wirkt. Die Sonne scheint, nur selten gleißend. Die Kleidung ist zeitgemäß, ohne je kostümiert zu wirken. Und Mahershala Ali darf 25 Jahre berufliche­s Leiden mit einer Diskretion spielen, an der selbst im Alter kein Fältchen geschminkt daherkommt.

So gelingt es »True Detective« abermals, ein präzises Gesellscha­ftsporträt als Kriminalfa­ll zu verkleiden, der nirgends mit Ermittlung­sstandards nervt und nebenbei erklärt, warum Donald Trump in Gegenden erfolgreic­h ist, wo Rasse plus Nation das letzte ist, was weiße Männer in ihrer Misere sinkender Bedeutung noch eint. So relevant, wertes deutsches Fernsehen, kann Entertainm­ent sein.

 ?? Foto: Sky ?? Wayne Hays (Mahershala Ali, li.) und Roland West (Stephen Dorff, re.)
Foto: Sky Wayne Hays (Mahershala Ali, li.) und Roland West (Stephen Dorff, re.)

Newspapers in German

Newspapers from Germany