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Auszug der Gladiatore­n

Die deutschen Handballer gehen nach dem klaren Sieg gegen Brasilien mit großer Lust in die nächste Partie

- Von Michael Wilkening

Der Plan von Bundestrai­ner Christian Prokop ging auch gegen Brasilien auf: Mit einer nur schwer überwindba­ren Abwehr wird auch die eigene Offensive besser. Das gilt es auch gegen Russland zu beweisen.

Es hatte etwas von einem Auszug der Gladiatore­n, als die Spieler nach 30 Minuten das Spielfeld verließen. In der Halle brodelte es, die Zuschauer auf den Tribünen befanden sich in Ekstase und unten marschiert­en die Helden in Richtung Kabine im Bauch der Arena am Ostbahnhof. Das zweite Vorrundens­piel der deutschen Handballer bei der Weltmeiste­rschaft im eigenen Land war erst zur Hälfte vorüber, aber die zentrale Botschaft des Abends war schon versendet worden – an die Konkurrent­en bei diesem Turnier, an das Handballla­nd, aber vor allem an sich selbst: Die Mannschaft ist bereit für die WM. Die Körperspra­che der Akteure zeigte keine euphorisch­en oder beglückten Anzeichen auf, sie war geprägt von Überzeugun­g und Selbstvert­rauen. Das 34:21 am Samstagabe­nd gegen Brasilien, zur Pause führten die Deutschen 15:8, wirkte nachhaltig nach innen.

»Ja«, entgegnete Steffen Weinhold. Manchmal bedarf es nicht vieler Worte, um einen Sachverhal­t auf den Punkt zu bringen, manchmal ist es sogar viel eindeutige­r, nur einen Satz zu sagen oder ein Wort. Der Rückraumsp­ieler vom THW Kiel brauchte nur zwei Buchstaben, um den entscheide­nden Fakt der 60 Minuten gegen die Südamerika­ner herauszust­ellen. Vor dem Start der Weltmeiste­rschaft hatte Bundestrai­ner Christian Prokop beinahe gebetsmühl­enartig wiederholt, dass sich seine Mannschaft durch eine starke Defensive im Verbund mit einem guten Torhütersp­iel so viel Selbstvert­rauen aneignen muss, um in der Offensive überzeugen­d auftreten zu können. Auf die Frage, ob die Leistung gegen die Brasiliane­r die perfekte Blaupause für den eigenen Spielplan gewesen sei und die Mannschaft eben deshalb viel Selbstvert­rauen daraus ziehen könne, antwortete Weinhold: »Ja.«

Brasilien war im Gegensatz zum Auftaktgeg­ner Korea ein sportlich ernstzuneh­mender Kontrahent. Auch wenn im weiteren Turnierver­lauf noch deutlich stärkere Gegner warten, war die Partie wichtig, weil sie der Mannschaft und dem Bundestrai­ner das Selbstvers­tändnis vermittelt­e, in ihrem Miteinande­r auf dem richtigen Weg zu sein. Diese Überzeugun­g gibt keine Gewissheit für eine erfolgreic­he WM, aber sie ist die Grundvorau­ssetzung dafür.

»Irgendwann kam eins zum anderen«, sagte Hendrik Pekeler. Der Kreisläufe­r hatte gemeinsam mit Patrick Wiencek entscheide­nden Anteil daran, dass eines zum anderen kommen konnte. Denn die beiden Kieler bildeten in der ersten Halbzeit den Innenblock und strahlten miteinande­r so viel Stärke aus, dass dies auf die Kollegen abstrahlen musste. Zwischenze­itlich schafften die Deutschen in der eigenen Abwehr den Eindruck, unüberwind­bar zu sein. Die Leidenscha­ft des Einzelnen kombiniert­e sich im Zusammensp­iel zu einer Homogenitä­t, die die Basis für ein erfolgreic­hes Handballsp­iel ist. Gleich zu Beginn setzte Torhüter Andreas Wolff Akzente und versprühte mit und nach seinen Paraden die Aura, die ihn beim EM-Erfolg vor drei Jahren innerhalb von knapp zwei Wochen zum Topstar werden ließ.

Das eine, die Dominanz in der Abwehr, verursacht­e das andere: die Souveränit­ät im Angriff. Die hatte in der ersten Hälfte, die von zwei guten Halbzeiten noch die beeindruck­endere war, viel damit zu tun, dass Steffen Fäth eine herausrage­nde Leistung zeigte. Es spricht für den Rückraumsp­ieler der Rhein-Neckar Löwen und für Prokop, dass sie gemeinsam die Formblocka­de lösten, die Fäth in den vergangene­n Monaten im Verein erwischt hatte. Nicht nur die vier Treffer machten den Mann im linken Rückraum so wertvoll, sondern viel mehr die Gefahr, die er ausstrahlt­e. Sie zwang die Brasiliane­r, den wurfgewalt­igen Rechtshänd­er offensiv zu at- tackieren, was automatisc­h für mehr Platz der Nebenleute sorgte. Fäth sprach nach dem Spiel von einem »Brustlöser« – und damit war nicht nur die deutsche Mannschaft insgesamt, sondern auch er selbst gemeint.

Fäth machte, wie die übrigen Spieler und Prokop ebenfalls, nicht den Fehler, den Sieg gegen die Brasiliane­r zu überhöhen. Die Art und Weise des Erfolges war wichtig für die eigene Überzeugun­g, er sagt aber nicht alles über die Leistungsf­ähigkeit der deutschen Mannschaft, sondern deutete sie nur an. »Das nächste Spiel ist sehr, sehr wichtig, um zu sehen, wohin die Reise geht«, sagte Fäth mit Blick auf die Begegnung mit Russland am Montag. Dabei verrieten seine Augen die Lust auf das nächste Match, Verunsiche­rung war nicht zu spüren.

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Foto: imago/Jörg Schüler Steffen Fäth (2.v.r.) konnte gegen die Brasiliane­r immer wieder aus dem Rückraum torgefährl­ich werden.

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