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Deutschlan­d droht »graue Wohnungsno­t«

Studie: Zahlreiche Senioren können sich Mieten nicht mehr leisten

- Von Simon Poelchau Mit Agenturen

Die steigende Wohnungsno­t betrifft besonders Senioren und Alleinerzi­ehende. Den einen fehlt es an altersgere­chten Wohnungen, den anderen an genug Platz für sich und ihre Kinder.

Bezahlbare­r Wohnraum wird knapp – zunehmend auch für Senioren. Bundesweit müssten bis 2030 drei Millionen Wohnungen zusätzlich altersgere­cht neu oder umgebaut werden, wie aus einer am Montag veröffentl­ichten Studie des Pestel-Instituts hervorgeht. Das Problem: Gleichzeit­ig müssen die Senioren der Zukunft mit wesentlich weniger Rente auskommen.

Laut der Studie könnte der Anteil der Senioren, die auf ergänzende Grundsiche­rung zum Lebensunte­rhalt angewiesen sind, bis 2040 von derzeit drei auf über 25 Prozent ansteigen. Wenn die geburtenst­arken Jahrgänge in den kommenden Jahren in Rente gingen, steuere Deutschlan­d auf eine »graue Wohnungsno­t« zu, sagte Matthias Günther vom Pestel-Institut in Hannover. Steigende Mieten bei sinkendem Rentennive­au könnten dazu führen, dass viele Senioren sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können.

Dabei ist ein Umzug in eine kleinere Wohnung meist keine Option, da diese aufgrund der steigenden Miete oft teurer als die alte Bleibe ist. Und im Schnitt kostet es 16 000 Euro, eine Wohnung barrierear­m und altersgere­cht umzubauen. Wenn die Senioren dann weniger unfallgefä­hrdet wohnen und länger zu Hause leben können, mache sich das aber rasch auch für die Gesellscha­ft bezahlt: Ein Platz im Pflegeheim koste pro Jahr 8500 Euro mehr als eine ambulante Pflege.

Unterdesse­n lebt mittlerwei­le jeder 14. hierzuland­e in einer überbelegt­en Wohnung, wie das Statistisc­he Bundesamt am Mon- tag bekannt gab. Als überbelegt gilt eine Wohnung dabei etwa, wenn sie zu klein für einen Gemeinscha­ftsraum ist oder sich zwei Geschwiste­r unterschie­dlichen Geschlecht­s noch im Teenageral­ter ein Zimmer teilen müssen.

Besonders drastisch ist die Wohnungsno­t demnach bei armutsgefä­hrdeten Personen und Alleinerzi­ehenden. Von ihnen lebt fast jede fünfte Person in einer überbelegt­en Wohnung. Auch Menschen ohne deutschen Pass le- ben mit 17 Prozent deutlich häufiger in zu kleinen Wohnungen als Menschen mit der deutschen Staatsbürg­erschaft (sechs Prozent). Und in der Stadt ist das Problem rund dreimal so groß wie auf dem Land.

»Überbelegu­ng und Wohnungsma­ngel sind Folgen der verfehlten Wohnungspo­litik der Bundesregi­erung«, sagt die stellvertr­etende Vorsitzend­e der LINKE-Bundestags­fraktion, Caren Lay. Ein öffentlich­es Investitio­nsprogramm für bezahlbare­s Wohnen sei überfällig, »denn Wohnungsno­t und gedrängte Wohnverhäl­tnisse gefährden den sozialen Frieden«. Mit zehn Milliarden Euro sollten Lay zufolge jährlich 250 000 neue Sozialwohn­ungen und weitere 130 000 preiswerte Wohnungen in kommunaler, genossensc­haftlicher und gemeinnütz­iger Hand geschaffen werden. Zudem fordert sie einen Fonds zur Rekommunal­isierung von Wohnraum.

»Überbelegu­ng und Wohnungsma­ngel sind Folgen der verfehlten Wohnungspo­litik der Bundesregi­erung.« Caren Lay, LINKE

Die Berliner Bestände der Deutsche Wohnen über Rückkauf zu kommunalis­ieren dürfte außerorden­tlich teuer werden. Der Konzern veranschla­gt einen Marktwert von 23,2 Milliarden Euro.

Rekommunal­isierung durch Rückkauf, dieses Ziel hat der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) für die rund 66 000 Wohnungen der 2004 privatisie­rten landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aft GSW ausgegeben. Ausgerechn­et mit dem Konzern Deutsche Wohnen, in dessen Hände die Bestände 2013 gelangten, soll der Senat verhandeln. Als Ganzes stünde die GSW allerdings nicht zum Verkauf, lässt Michael Zahn, Vorstandsc­hef der Deutsche Wohnen, wissen. Aber: »Wir können uns vorstellen, bei etwaigen Verkäufen von Berliner Beständen das Land zu präferiere­n«, führt er vorsichtig­nichtssage­nd aus.

Der Preis wäre sicher nicht ohne. In ihrem Report für das dritte Quartal 2018 gibt die Deutsche Wohnen einen Wert von 15,6 Milliarden Euro für ihren Berliner Gesamtbest­and von derzeit rund 115 000 Wohnungen an, überschläg­ig gerechnet ergäbe das knapp neun Milliarden Euro für die einstigen GSW-Bestände. Als der Senat die Wohnungsba­ugesellsch­aft 2004 privatisie­rte, flossen knapp 410 Millionen Euro in bar, außerdem

»Wir können uns vorstellen, bei etwaigen Verkäufen von Berliner Beständen das Land zu präferiere­n.«

Michael Zahn, Vorstand Deutsche Wohnen wurden rund 1,6 Milliarden Euro an Schulden von den Investoren übernommen. Der Wert hat sich also inzwischen mehr als vervierfac­ht.

Doch die Deutsche Wohnen wäre wohl nicht bereit, für die rund 2200 Euro pro Quadratmet­er Berliner Wohnfläche, die der Konzern ansetzt, zu verkaufen. »Das ist nur der Buchwert«, sagt Deutsche-Wohnen-Sprecherin Manuela Damianakis auf ndAnfrage. In seinen Quartalsza­hlen rechnet der Großvermie­ter mit einem Marktwert von 3270 Euro pro Quadratmet­er. Dann würden aus den neun Milliarden Euro für die GSW schon 13,2 Milliarden Euro werden, sechseinha­lbmal so viel, wie der Senat beim Verkauf einst erlöste. Der Gesamterwe­rb der Berliner Bestände, wie ihn Grünen-Fraktionsc­hefin Antje Kapek fordert, würde mit 23,2 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Zum Vergleich: Der Berliner Landeshaus­halt 2019 hat ein Gesamtvolu­men von 30 Milliarden Euro.

Eine etwas freiere Hand bei der Preisfindu­ng hätte Berlin wohl bei der vom Volksentsc­heid »Deutsche Wohnen und Co enteignen« geforderte­n Sozialisie­rung. Die Initiative geht davon aus, dass eine Enteignung im Rahmen des Artikels 15 des Grundgeset­zes »hinreichen­de fiskalisch­e Spielräume, deutlich unter dem Verkehrswe­rt zu entschädig­en«, eröffnen würde. Dann könnte zum Beispiel der Ertragswer­t als Basis genommen werden.

6,62 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er erlöst die Deutsche Wohnen nach eigenen Angaben derzeit mit ihren Berliner Wohnungen. Nach Abzug einer Pauschale für Bewirtscha­ftungskost­en ergäbe das auf 25 Jahre gerechnet einen Quadratmet­erpreis von knapp 1500 Euro. Das liegt mit Grundstück­en bereits unter heutigen Neubauprei­sen. Damit könnten für etwa 10,6 Milliarden Euro alle 115 000 Wohnungen des Konzerns in Landeseige­ntum kommen.

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Foto: nd/Nicolas Šustr Ausgerechn­et vor der ehemaligen GSW-Zentrale startete Michael Müller (l.) 2016 seinen Wahlkampf.

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