Deutschland droht »graue Wohnungsnot«
Studie: Zahlreiche Senioren können sich Mieten nicht mehr leisten
Die steigende Wohnungsnot betrifft besonders Senioren und Alleinerziehende. Den einen fehlt es an altersgerechten Wohnungen, den anderen an genug Platz für sich und ihre Kinder.
Bezahlbarer Wohnraum wird knapp – zunehmend auch für Senioren. Bundesweit müssten bis 2030 drei Millionen Wohnungen zusätzlich altersgerecht neu oder umgebaut werden, wie aus einer am Montag veröffentlichten Studie des Pestel-Instituts hervorgeht. Das Problem: Gleichzeitig müssen die Senioren der Zukunft mit wesentlich weniger Rente auskommen.
Laut der Studie könnte der Anteil der Senioren, die auf ergänzende Grundsicherung zum Lebensunterhalt angewiesen sind, bis 2040 von derzeit drei auf über 25 Prozent ansteigen. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in Rente gingen, steuere Deutschland auf eine »graue Wohnungsnot« zu, sagte Matthias Günther vom Pestel-Institut in Hannover. Steigende Mieten bei sinkendem Rentenniveau könnten dazu führen, dass viele Senioren sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können.
Dabei ist ein Umzug in eine kleinere Wohnung meist keine Option, da diese aufgrund der steigenden Miete oft teurer als die alte Bleibe ist. Und im Schnitt kostet es 16 000 Euro, eine Wohnung barrierearm und altersgerecht umzubauen. Wenn die Senioren dann weniger unfallgefährdet wohnen und länger zu Hause leben können, mache sich das aber rasch auch für die Gesellschaft bezahlt: Ein Platz im Pflegeheim koste pro Jahr 8500 Euro mehr als eine ambulante Pflege.
Unterdessen lebt mittlerweile jeder 14. hierzulande in einer überbelegten Wohnung, wie das Statistische Bundesamt am Mon- tag bekannt gab. Als überbelegt gilt eine Wohnung dabei etwa, wenn sie zu klein für einen Gemeinschaftsraum ist oder sich zwei Geschwister unterschiedlichen Geschlechts noch im Teenageralter ein Zimmer teilen müssen.
Besonders drastisch ist die Wohnungsnot demnach bei armutsgefährdeten Personen und Alleinerziehenden. Von ihnen lebt fast jede fünfte Person in einer überbelegten Wohnung. Auch Menschen ohne deutschen Pass le- ben mit 17 Prozent deutlich häufiger in zu kleinen Wohnungen als Menschen mit der deutschen Staatsbürgerschaft (sechs Prozent). Und in der Stadt ist das Problem rund dreimal so groß wie auf dem Land.
»Überbelegung und Wohnungsmangel sind Folgen der verfehlten Wohnungspolitik der Bundesregierung«, sagt die stellvertretende Vorsitzende der LINKE-Bundestagsfraktion, Caren Lay. Ein öffentliches Investitionsprogramm für bezahlbares Wohnen sei überfällig, »denn Wohnungsnot und gedrängte Wohnverhältnisse gefährden den sozialen Frieden«. Mit zehn Milliarden Euro sollten Lay zufolge jährlich 250 000 neue Sozialwohnungen und weitere 130 000 preiswerte Wohnungen in kommunaler, genossenschaftlicher und gemeinnütziger Hand geschaffen werden. Zudem fordert sie einen Fonds zur Rekommunalisierung von Wohnraum.
»Überbelegung und Wohnungsmangel sind Folgen der verfehlten Wohnungspolitik der Bundesregierung.« Caren Lay, LINKE
Die Berliner Bestände der Deutsche Wohnen über Rückkauf zu kommunalisieren dürfte außerordentlich teuer werden. Der Konzern veranschlagt einen Marktwert von 23,2 Milliarden Euro.
Rekommunalisierung durch Rückkauf, dieses Ziel hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) für die rund 66 000 Wohnungen der 2004 privatisierten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW ausgegeben. Ausgerechnet mit dem Konzern Deutsche Wohnen, in dessen Hände die Bestände 2013 gelangten, soll der Senat verhandeln. Als Ganzes stünde die GSW allerdings nicht zum Verkauf, lässt Michael Zahn, Vorstandschef der Deutsche Wohnen, wissen. Aber: »Wir können uns vorstellen, bei etwaigen Verkäufen von Berliner Beständen das Land zu präferieren«, führt er vorsichtignichtssagend aus.
Der Preis wäre sicher nicht ohne. In ihrem Report für das dritte Quartal 2018 gibt die Deutsche Wohnen einen Wert von 15,6 Milliarden Euro für ihren Berliner Gesamtbestand von derzeit rund 115 000 Wohnungen an, überschlägig gerechnet ergäbe das knapp neun Milliarden Euro für die einstigen GSW-Bestände. Als der Senat die Wohnungsbaugesellschaft 2004 privatisierte, flossen knapp 410 Millionen Euro in bar, außerdem
»Wir können uns vorstellen, bei etwaigen Verkäufen von Berliner Beständen das Land zu präferieren.«
Michael Zahn, Vorstand Deutsche Wohnen wurden rund 1,6 Milliarden Euro an Schulden von den Investoren übernommen. Der Wert hat sich also inzwischen mehr als vervierfacht.
Doch die Deutsche Wohnen wäre wohl nicht bereit, für die rund 2200 Euro pro Quadratmeter Berliner Wohnfläche, die der Konzern ansetzt, zu verkaufen. »Das ist nur der Buchwert«, sagt Deutsche-Wohnen-Sprecherin Manuela Damianakis auf ndAnfrage. In seinen Quartalszahlen rechnet der Großvermieter mit einem Marktwert von 3270 Euro pro Quadratmeter. Dann würden aus den neun Milliarden Euro für die GSW schon 13,2 Milliarden Euro werden, sechseinhalbmal so viel, wie der Senat beim Verkauf einst erlöste. Der Gesamterwerb der Berliner Bestände, wie ihn Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek fordert, würde mit 23,2 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Zum Vergleich: Der Berliner Landeshaushalt 2019 hat ein Gesamtvolumen von 30 Milliarden Euro.
Eine etwas freiere Hand bei der Preisfindung hätte Berlin wohl bei der vom Volksentscheid »Deutsche Wohnen und Co enteignen« geforderten Sozialisierung. Die Initiative geht davon aus, dass eine Enteignung im Rahmen des Artikels 15 des Grundgesetzes »hinreichende fiskalische Spielräume, deutlich unter dem Verkehrswert zu entschädigen«, eröffnen würde. Dann könnte zum Beispiel der Ertragswert als Basis genommen werden.
6,62 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter erlöst die Deutsche Wohnen nach eigenen Angaben derzeit mit ihren Berliner Wohnungen. Nach Abzug einer Pauschale für Bewirtschaftungskosten ergäbe das auf 25 Jahre gerechnet einen Quadratmeterpreis von knapp 1500 Euro. Das liegt mit Grundstücken bereits unter heutigen Neubaupreisen. Damit könnten für etwa 10,6 Milliarden Euro alle 115 000 Wohnungen des Konzerns in Landeseigentum kommen.