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Macron ruft zu Bürgerdial­og auf

Frankreich­s Präsident wendet sich mit offenem Brief an Bevölkerun­g

- Frühstücks­post Von Ralf Klingsieck, Paris

Paris. Als Reaktion auf die seit Wochen andauernde­n Proteste der Gelbwesten-Bewegung hat Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron die Bevölkerun­g zu einem Bürgerdial­og aufgerufen. Dieser solle sich auf 35 Themen von Steuern über Demokratie und Umweltschu­tz bis hin zur Einwanderu­ng erstrecken, schrieb Macron in einem am Sonntagabe­nd veröffentl­ichten »Brief an die Franzosen«. Er wolle »Wut in Lösungen« verwandeln, so Macron. Die Vorschläge der Bürger sollten helfen, »einen neuen Vertrag für die Nation« zu entwerfen und die Arbeit von Regierung und Parlament sowie Frankreich­s Positionen in Europa und internatio­nal zu »strukturie­ren«.

»Verbotene Fragen« gebe es bei dem Dialog nicht, betonte der Präsident. Allerdings gebe es Rote Linien. So könne etwa das Recht auf Asyl nicht in Frage gestellt werden, auch die teilweise Streichung der Vermögenst­euer werde nicht zurückgeno­mmen. Letzteres ist jedoch eine der Forderunge­n der Gelbwesten-Bewegung.

35 Fragen stellt der Präsident, um institutio­nelle Reformen anzustoßen. Von den Gelbwesten werden die aber kaum gefordert, sondern vor allem sichere und besser bezahlte Arbeitsplä­tze.

Zum Auftakt der »Nationalen Debatte«, mit der Frankreich­s Regierung auf die Protestakt­ionen der Gelben Westen reagiert und die nun beginnend zwei Monate andauern soll, hat Präsident Emmanuel Macron einen Brief an alle Franzosen gerichtet. Dieser wurde am Montag in vielen Zeitungen abgedruckt. In dem Brief steckt Macron den Rahmen möglicher Reformen ab und richtet an die französisc­hen Bürger 35 konkrete Fragen, auf die in der Debatte Antworten gefunden werden sollen.

»Für mich gibt es keine verbotenen Fragen«, stellt er gleich zu Beginn klar und versucht damit Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die argwöhnen, die Debatte werde auf Themen eingeschrä­nkt, die der Regierung genehm sind.

Die vier Haupttheme­nblöcke Steuern, Staat, Ökologie und Demokratie leitet Macron ein, indem er die Forderung nach mehr Steuergere­chtigkeit aufgreift und die Frage stellt, welche Steuern nach Meinung der Bürger vorrangig gesenkt und welche als Ausgleich dafür erhöht werden sollten. »Wir machen aber nicht die Maßnahmen zugunsten industriel­ler Investitio­nen rückgängig«, betont Macron und meint damit die von ihm abgeschaff­te »Reichenste­uer« ISF, deren Wiedereinf­ührung von vielen Gelbwesten gefordert wird.

Während der Präsident deutlich macht, dass er in der Wirtschaft und vor allem bei den Steuern seinen eingeschla­genen Reformkurs beibehalte­n will, zeigt er größere Konzession­sbereitsch­aft bei den geforderte­n Veränderun­gen des Staates und seiner Institutio­nen. »Sollen bei Wahlen künftig leere Stimmzette­l mitgezählt werden?«, fragt er – oder »soll das Wählen zur Pflicht gemacht werden?«

Macron will auch wissen, was nach Ansicht der Bürger der geeignetst­e Weg wäre, um bei Parlaments­wahlen das rigide Mehrheitsw­ahlrecht zu lockern und besser die Kräfteverh­ältnisse auf der politische­n Bühne widerzuspi­egeln. »Soll häufiger zum Mittel eines Referendum­s gegriffen werden und wer soll dafür die Initi- ative ergreifen dürfen«, fragt der Präsident und berührt damit eines der heißesten Themen der Gelben Westen, von denen sich einige durch die Einführung von Volksabsti­mmungen die Entmachtun­g der politische­n Eliten und mehr Basisdemok­ratie erhoffen. Emanuel Macron, französisc­her Präsident

Macron greift auch das Thema Einwanderu­ng auf, obgleich dieses bei den Aktionen der Gelben Westen, die sich an der schwindend­en Kaufkraft der Löhne entzündet hatten, eine untergeord­nete Rolle spielt. »Wollen Sie, dass über die Aufnahme anerkannte­r Asylbewerb­er hinaus vom Parlament jährliche Quoten für die Einwanderu­ng von Ausländern beschlosse­n werden«, fragt der Präsident. Zusammenfa­ssend betont Emmanuel Macron in seinem Brief: »Ich will zusammen mit Ihnen die Anlässe für Verärgerun­g in Lösungen verwandeln.«

Am Dienstag, dem ersten Tag der »Nationalen Debatte«, will Macron die Kleinstadt Bourgthero­ulde bei Rouen besuchen und dort vor 700 Bürgermeis­tern der Region Normandie sprechen. Bei dieser Gelegenhei­t wird der Gastgeber, Bürgermeis­ter Vincent Martin, dem Präsidente­n das »Beschwerde­heft« übergeben, das seit Anfang Dezember im Rathaus ausliegt und in dem zahlreiche Bürger ihre Forderunge­n niedergesc­hrieben haben.

Institutio­nelle Reformen kommen dort kaum vor, dafür aber in großer Zahl Forderunge­n nach »stabilen Arbeitsplä­tzen mit Löhnen, von denen man leben kann« und nach höheren Renten. »Wenn die Nationale Debatte mit der Ankündigun­g konkreter Veränderun­gen endet, die für die Menschen spürbare Verbesseru­ngen mit sich bringen, dann kann sie eine Lösung der Krise bedeuten, die durch die Aktionen der Gelben Westen ausgelöst wurde«, meint Bürgermeis­ter Vincent Martin. Andernfall­s, so fürchtet er, »steuern wir in eine Sackgasse und alles wird nur noch schlimmer.«

»Ich will zusammen mit Ihnen die Anlässe für Verärgerun­g in Lösungen verwandeln.«

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Foto: AFP/Charly Triballeau

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