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Guten Tag, Frau Nachbarin!

Zwölf Jahre lebte Rosa Luxemburg im Berlin-Friedenau. Für manche Bewohnerin­nen und Bewohner der Gegend ist sie noch immer präsent

- Von Johanna Bussemer

Im Südwesten der Metropole Berlin suchte Rosa Luxemburg in ihren letzten Lebensjahr­en den Ausgleich für die politische­n Kämpfe.

»Die Luft in Friedenau ist sehr gut, vor den Fenstern Bäume, Felder und Wälder nah gelegen, Ruhe, ein ausgesproc­henes Villenquar­tier«, schreibt Rosa Luxemburg kurz nach ihrem Umzug aus dem innerstädt­ischen Berlin-Tiergarten in den damals beschaulic­hen Vorort am 16. August 1899 an Leo Jogiches. Bis 1911 lebt Rosa Luxemburg in Friedenau, eine enorme Anzahl ihrer Texte und Briefe entsteht hier. Es ist die Zeit ihrer großen Kämpfe in der SPD, der Debatte mit Bernstein. Die Zeit der Freundscha­ft mit Karl und Luise Kautsky, der Versuch des Zu- sammenlebe­ns mit Leo Jogiches, die Zeit der Liebe zu Kostja Zetkin.

Das Erinnern an Menschen, die man nicht kennt, mit denen man sich aber viel auseinande­rsetzt, wird von unterschie­dlichen Einflüssen geprägt. Im Fall von Rosa Luxemburg verfügen wir über einen stetig wachsenden Korpus von Texten, ein paar zentrale Biografien, insbesonde­re die von Annelies Laschitza, über Fotografie­n und künstleris­che Verarbeitu­ngen. Viel stärker für mich waren und sind jedoch schon immer Bilder in meinem eigenen Kopf, die noch zu Zeiten meiner Kindheit in Berlin Schöneberg und Friedenau in den 1980er und 90er Jahren entstanden. Eigentlich einen Katzenspru­ng, in der Westberlin­er Lebensreal­ität jedoch weit entfernt war das Erinnern der DDR an Luxemburg und Liebknecht. Wir kannten keine Straßen oder Plätze, die nach Lu- xemburg benannt waren, sie waren nicht Teil des einer Propaganda, die uns vermittelt wurde.

Dafür wussten wir seit Kindesbein­en, in welchen Wohnungen Rosa Luxemburg gelebt hatte; wir spielten darin, weil unsere Schulfreun­de dort wohnten. Vom Mahnmal im Tiergarten wussten wir etwas über die Umstände ihres Todes.

Später, mit dem Lesen der ersten Biografien, kamen neue Bilder hinzu: Rosa Luxemburg wie sie mehrmals täglich zum Kaiserlich­en Hauptposta­mt 1 am damaligen Wilmersdor­fer Platz, heute René-Sintenis-Platz, eilt, weil sie Briefe von Kostja Zetkin erwartet. Überliefer­t ist, wie schwer es ihr fiel, morgens die Bahn in die Stadt zu nehmen, um Unterricht an der Parteischu­le zu geben. Seit dem kann ich, vor allem bei unwirtlich­em Wetter, nicht mehr am S-Bahnhof Friedenau aus- oder einsteigen, ohne sie innerlich dort stehen zu sehen.

Sitz man im Garten des S-Café an jenem Bahnhof, vor allem am Abend, kann man sich gut die Szene vorstellen, die Ernst Piper in seiner neuen Lu-

xemburg-Biografie aufgegriff­en hat und die aus den Erinnerung­en von Luise Kautsky stammen müssen. Die Kautskys wohnen anfangs in der Wielandstr­aße beinah gegenüber von Lu- xemburg. Luise Kautsky beschreibt, wie sie abends beim Plaudern kein Ende fanden und sich immer wieder von Tür zu Tür brachten. »Sie liebte es auch, ihrem revolution­ären Drang in der mitternäch­tlichen Stille durch lautes Singen Luft zu machen«, so Luise Kautsky.

So wird Friedenau zum Bild dafür, was immer stärker ein Teil der Persönlich­keit Rosa Luxemburgs wurde: ihre Sehnsucht nach einem beschaulic­hen, stabilen Leben. Der Bruch mit Kautsky und das Bedürfnis nach mehr Ruhe gilt als einer Gründe für den Umzug 1911 nach Südende. Von da an blieben ihr noch sieben Jahre; die Hälfte davon verbachte sie im Gefängnis. Vielleicht hätte ihr der kleine Friedenaue­r Friedhof an der Stubenrauc­hstraße als letzte Ruhestätte besser gefallen als das etwas grobe Denkmal in Friedrichs­felde. Wer weiß.

»Sie liebte es, ihrem revolution­ären Drang in der mitternäch­tlichen Stille durch lautes Singen Luft zu machen.« Luise Kautsky

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