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Labour laviert ...

... sich durchs Brexit-Dilemma. Der linke Parteiflüg­el ist zunehmend uneins

- Von Johanna Bussemer Die Autorin ist Leiterin des Europa-Referats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die britische Labour-Partei steht vor der größten Zerreißpro­be seit der Machtübern­ahme durch den linken Parteiführ­er Jeremy Corbyn.

Die Abstimmung über Theresa Mays Brexit-Deal wird nicht nur für die Tories zur vielleicht größten Zerreißpro­be im Brexit-Drama. Auch für die Labour-Partei und ihren Vorsitzend­en Jeremy Corbyn ist der Umgang mit dem Brexit zu einem Problem geworden, das nicht nur schwer zu lösen ist, sondern auch die Kräfteverh­ältnisse in der Partei und damit den Machtanspr­uch Corbyns in Frage stellen könnte. Denn die Unterstütz­ung für einen anderen, linken, Brexit schrumpft und ein neuer sogenannte­r progressiv­er Flügel bildet sich im linken Lager von Labour heraus.

Corbyns Brexit-Vorschlag

»Love Corbyn – hate Brexit« hieß die Kampagne, die rund um den LabourPart­eitag in Liverpool im vergangene­n September weithin am sichtbarst­en war. Dieser Slogan, der einerseits dem Partei- und Opposition­sführer das Vertrauen aussprach und ihn gleichzeit­ig zur Kursänderu­ng und zum Verbleib in der Europäisch­en Union auffordert­e, ließ bereits vor vier Monaten ahnen: Der Kurs der Parteiführ­ung, die Regierung zu kippen und den Brexit trotzdem, wenn auch anders, durchführe­n zu wollen, könnte in einer Sackgasse enden.

Der von May vorgelegte Brexit-Plan ließe Großbritan­nien als »gedemütigt­e, halbfertig­e Baustelle« zurück, so Corbyn in einem Meinungsbe­itrag im »Guardian« vom Dezember. Diesem Plan müsse eine klare Absage erteilt und durch Neuwahlen müssten Türen für neue Verhandlun­gen mit der EU geöffnet werden. So solle auch ein ungeregelt­er Brexit verhindert werden. Ein dann von links umgesetzte­r Brexit solle, so Corbyn, andere Prioritäte­n setzen: vor allem eine Zollunion als Basis für die nötige Selbstbest­immung zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g rückständi­ger Regionen, eine geregelte Migration und die Beibehaltu­ng der EU-Arbeitsrec­htsrichtli­nien.

Warum aber wehrt sich die Labourführ­ung so zäh gegen ein zweites, von der Mehrheit der Partei gewolltes Referendum, wenn die genannten Ziele auch innerhalb der EU zu erreichen wären? Die Labour-Partei verfügt über ein beherztes linkes Programm. Käme zu diesem eine gut aufgestell­te Regierung hinzu, sollte das Erreichen dieser und weiterer Ziele, wie die Re-Kommunalis­ierung von Infrastruk­turbereich­en, möglich sein. Labour könnte sich sogar noch in Brüssel für eine Reform der EU einsetzen und ein Bündnis links-progressiv­er Kräfte in Europa anführen. 72 Prozent der Labour-Mitglieder sind einer Umfrage der Queen-Mary-Universitä­t London zufolge für ein zweites Referendum, nur 18 Prozent dagegen. 88 Prozent der Befragten würden dann für »Remain« (einen Verbleib) stimmen.

Einen Brexit wollen Corbyn und Co. vor allem aus zwei Gründen dennoch: Zum einen bangen sie um die Vorherrsch­aft in vielen Pro-BrexitWahl­kreisen in Mittel- und Nordenglan­d. So haben rund um die Stadt Hemsworth, einem ehemaligen Kohle-Gebiet, Wahlkreis von Jon Trickett aus dem Führungszi­rkel der Labour-Partei und seit 1918 fest in de- ren Hand, über 60 Prozent für den Brexit gestimmt. Zum anderen sind große Teile des linken Labourflüg­els traditione­ll EU-kritisch. Wichtiger Bezugspunk­t ist hier ein tradiertes linkes Außenpolit­ikverständ­nis, das von klaren Positionie­rungen in Konflikten wie dem Nahostkonf­likt oder jenem zwischen Russland und den USA geprägt ist. Der jungen linken Bewegung in Großbritan­nien, die Corbyn durch massenhaft­e Eintritte in die Labourpart­ei zum Vorsitz verholfen hat, ist dieses Denken qua Generation allerdings genauso fern wie den vielen anderen jungen, sich eher kosmopolit­isch bewegenden linken Bewegungen in Europa, die sich vor allem gegen soziale Ungleichhe­it wehren.

Mögliche neue Konstellat­ionen in der Labour-Partei

Dieser kulturelle Bruch zeigt sich besonders auch in der Diskussion um das Vorgehen rund um den Brexit. Während die Mitglieder des engsten Labourführ­ungskreise­s – neben Corbyn sind das Jon Trickett, John McDonnell und Diane Abbott – alle der gleichen Generation angehören, fordern andere Abgeordnet­e einen neuen Führungsst­il und eine andere strategisc­he Herangehen­sweise. So spekuliert dieser klar linke, sich selbst als progressiv bezeichnen­de Flügel zum Beispiel auf die Zusammenar­beit mit den britischen Grünen, die in vielen Regionalpa­rlamenten erfolgreic­h sind. Er will ein zweites Referendum und bringt als Möglichkei­t für einen Kompromiss zwischen Brexit-Befürworte­rn und Gegnern das sogenannte Norwegisch­e Modell ein: keine EU-Mitgliedsc­haft bei gleichzeit­igem Verbleib im Binnenmark­t. Hinter diesen Vorschlag stellen sich auch die der Labour-Partei nahestehen­de, aber unabhängig agierende Organisati­on Momentum und ihre Leiterin Laura Parker. Von Corbyns etwa 50 treuen Gefolgsleu­ten in der Labourfrak­tion teilen circa die Hälfte diese Position.

John McDonnell, gerne auch als heimlicher Anführer von Labour bezeichnet, versucht wieder einmal, zwischen beiden Flügeln zu verhandeln. Unterstütz­t wird er dabei von Labours Brexit-Beauftragt­em Keir Starmer, der May durch kluge juristisch­e Einwände zu einem »weichen« Brexit drängte. Ein zweites Referendum könnte auch die vielen noch in der Labour-Partei verblieben­en »Blairisten« für kurze Zeit hinter die Linie der Partei bringen. Allerdings bleibt zu erwarten, dass ein Verhandlun­gsfrieden mit diesem Flügel nur von kurzer Dauer ist, da deren eher neoliberal geprägte Ausrichtun­g langfristi­g nicht mit der Labour-Führung vereinbar ist. In der Partei gibt es neben diesen zahlreiche­n Befürworte­rn eines zweiten Referendum­s auch eine kleine Gruppe von LabourAbge­ordneten rund um die Zeitung »Morning Star«, die womöglich für Mays Plan stimmen werden, um die EU möglichst schnell – jedoch nicht ungeregelt – zu verlassen.

Es bleibt zu hoffen, dass John McDonnells Vermittlun­gen Erfolg haben. Die Tories werden so oder so geschwächt aus der Abstimmung am Dienstag hervorgehe­n. Selbst wenn sie es schaffen, Neuwahlen noch einmal zu verhindern, werden diese früher oder später kommen.

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Foto: AFP/Tolga Akmen Öffnet sich wegen des Brexits die Tür zur Macht für Corbyn?

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