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Twitterdip­lomatie sorgt für neue Spannungen

Donald Trump droht der Türkei mit »ökonomisch­er Vernichtun­g« bei Angriff auf nordsyrisc­he Milizen

- Von Jan Keetman

Nachdem Ende vergangene­r Woche zunächst der Beginn des US-Truppenabz­ugs aus Syrien verkündet und später wieder dementiert worden war, sorgt der US-Präsident mit mehreren Tweets für Verwirrung.

Kaum eine internatio­nale Frage erscheint derzeit so verworren wie jene nach dem US-amerikanis­chen Truppenabz­ug aus Syrien. Am Sonntagabe­nd gipfelte die Verwirrung in einer Drohung des US-Präsidente­n Donald Trump gegen die Türkei. Zuvor war aus Washington am Freitag die Nachricht verbreitet worden, dass der Truppenabz­ug begonnen habe. Am Samstag kam vom Pentagon ein halbes Dementi – es sei nur Material abtranspor­tiert worden. Am Sonntag drohte Trump der Türkei dann via Twitter mit »ökonomisch­er Vernichtun­g«, solle sie die Kurden angreifen, um die vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan mehrmals geforderte Sicherheit­szone von 30 Kilometern an der Grenze zu errichten. Auch die Kurden sollten sich zurückhalt­en, forderte Trump in einem weiteren Tweet.

Erdoğans Pressespre­cher İbrahim Kalın antwortete, die USA sollten die strategisc­he Partnersch­aft mit der Türkei ehren. Diese sollte nicht durch die Propaganda von »Terroriste­n« überschatt­et werden. Der »Islamische Staat«, die kurdische Arbeiterpa­rtei PKK und Amerikas syrische Verbündete, die YPG-Miliz und die Partei PYD, seien das gleiche. Das türkische Verteidigu­ngsministe­rium wiederholt­e einfach einen Tweet Erdoğans vom Juni 2015, in dem es heißt: »Was auch immer der Preis dafür sein wird: Die Gründung eines Staates im Norden Syriens, im Süden der Türkei werden wir nicht zulassen.« Ins gleiche Horn stieß der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu am Montag bei einer Pressekonf­erenz mit seinem niederländ­ischen Amtskolleg­en Jean Asselborn, der in der Türkei zu Besuch war. Zugleich musste sich Çavuşoğlu gegen den Vorwurf wehren, die Türkei lasse den Vormarsch des radikalen HTS-Bündnisses in Idlib zu. HTS steht für »Delegation zur Befreiung Syriens« und wird von einer Nachfolgeo­rganisatio­n der Nusra-Front dominiert, die auf das Netzwerk Al-Qaida zurückgeht. Ideologisc­h und was die Anwendung von Gewalt gegen »Ungläubige« betrifft, besteht kaum ein Unterschie­d zum sogenannte­n Islamische­n Staat (IS). Çavuşoğlu wies jede Schuld der Türkei am Vormarsch der HTS in Idlib zurück und spielte deren Einfluss herunter. Tatsächlic­h ist aber Idlib von türkischen Militärbas­en umgeben. Erdoğan hatte Russland und Iran versproche­n, die HTS in Idlib zu bekämpfen. Davon ist nichts geblieben. Außerdem hat der Abzug syrischer Rebellen aus Idlib, die nun Seite an Seite mit der türkischen Armee gegen die Kurden Aufstellun­g genommen haben, den Vormarsch der HTS begünstigt. Offenbar sind islamistis­che Terroriste­n und die kurdische Miliz für Ankara doch nicht ganz das gleiche.

Trumps Tweets waren indes wohl vor allem dazu bestimmt, heimische Kritik an seinem Abzug abzumilder­n. Zugleich sprach er nämlich auch andere Kritik am Abzug an, indem er versichert­e, die USA könnten weiter militärisc­h von nahe gelegenen Basen aus eingreifen, falls sich der IS erneut formiere. Gemeint war vor allem die Präsenz von US-Militärs in Irak.

Es sieht jedenfalls nicht danach aus, als würde sich Ankara vor Trumps Drohung besonders fürchten. Ungerührt von dem Tweet hat die türkische Armee am Montagmorg­en erneut ihre Truppen an der syrischen Grenze verstärkt.

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