Sanktionen vor Gericht
Verstoßen die Hartz-IV-Sanktionen gegen das Grundgesetz? Doch die Antwort reicht weiter als ein reines Ja oder Nein auf diese Frage.
In Karlsruhe beginnt an diesem Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht einer der wichtigsten Prozesse zum Thema Hartz IV der vergangenen Jahre. Erstmals wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Sanktionen verhandelt. Sie sind zentrales Element des seit der Ära von SPDKanzler Gerhard Schröder geltenden Arbeitsmarktmantras des »Förderns und Forderns«. Konkret geht es bei dem Prozess um die Frage, ob die Sanktionen als Unterwanderung des gesetzlichen Existenzminimums gelten. 2010 hatte das Gericht geurteilt, dass Hartz IV ein »menschenwürdiges Existenzminimum« gewährleisten müsse, welches »stets« und »unverfügbar« für bedürftige Personen zur Verfügung stehen müsse. Allerdings hatten die Richter*innen dem Gesetzgeber explizit einen Gestaltungsspielraum bei der Frage eingeräumt, wie hoch ein solches Existenzminimum sein soll. Die Frage nach den Sanktionen blieb damals ausgespart.
Um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Sanktionen zu beurteilen, untergliedert das Gericht das Thema in verschiedene Abschnitte. Auch die Frage, ob die Sanktionen überhaupt wirken, wollen die Richter*innen dabei bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Ein wenig zynisch heißt es in
Einen Ermessensspielraum bei der Dauer der Sanktionen gibt es nicht.
der Pressemitteilung dazu: Wie geeignet sind Minderungen, um Leistungsberechtigte »zu motivieren«, den Mitwirkungsanforderungen nachzukommen? Thema ist außerdem, dass unter 25-Jährige deutlich strenger sanktioniert werden als ältere Betroffene. Das könnte eine unzulässige Ungleichbehandlung sein. Zudem will das Gericht die Frage des Ermessensspielraums beleuchten. Wird man derzeit vom Jobcenter bestraft, dann immer gleich für drei Monate. Einen Ermessensspielraum bezüglich der Dauer gibt es nicht. Genauso wenig können die Vermittler*innen beim Jobcenter in Härtefällen ganz von Sanktionen absehen. Wer heute gegen eine Auflage verstößt, muss sanktioniert werden. Dazu will Karlsruhe klären, ob der Zeitraum nicht verkürzt werden könnte, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird.
Im Hartz-IV-System werden Familien zu sogenannten Bedarfsgemeinschaften zusammengefasst. Das Gericht fragt sich, ob Angehörige und insbesondere Kinder genügend Schutz erfahren, wenn ein Familienmitglied gegen Auflagen des Jobcenters verstößt. Denn als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind sie in gewissem Umfang mitbetroffen. Derzeit haben die Jobcenter einen Ermessensspielraum, Lebensmittel- und Hygieneartikelgutscheine an die Erwerbslosen zu geben, wenn deren Leistungsbezüge um mehr als 30 Prozent gekürzt werden. Diese müssen jedoch nicht gewährt werden. Nur Sanktionierten mit minderjährigen, Zuhause lebenden Kindern müssen sie ausgestellt werden. Allerdings standen die Gutscheine selbst schon mehrfach in der Kritik, unzureichend zu sein.
Derzeit liegt der Hartz-IV-Satz bei 424 Euro. Die Leistungen inklusive der Wohnkostenzuschüsse können bis zu 100 Prozent gekürzt werden. Bei unter 25-Jährigen geschieht das bereits nach dem zweiten Regelverstoß. Ein Urteil wird, wie beim Verfassungsgericht üblich, erst in einigen Monaten erwartet.