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Sanktionen vor Gericht

- Von Alina Leimbach

Verstoßen die Hartz-IV-Sanktionen gegen das Grundgeset­z? Doch die Antwort reicht weiter als ein reines Ja oder Nein auf diese Frage.

In Karlsruhe beginnt an diesem Dienstag vor dem Bundesverf­assungsger­icht einer der wichtigste­n Prozesse zum Thema Hartz IV der vergangene­n Jahre. Erstmals wird die Frage nach der Rechtmäßig­keit der Sanktionen verhandelt. Sie sind zentrales Element des seit der Ära von SPDKanzler Gerhard Schröder geltenden Arbeitsmar­ktmantras des »Förderns und Forderns«. Konkret geht es bei dem Prozess um die Frage, ob die Sanktionen als Unterwande­rung des gesetzlich­en Existenzmi­nimums gelten. 2010 hatte das Gericht geurteilt, dass Hartz IV ein »menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum« gewährleis­ten müsse, welches »stets« und »unverfügba­r« für bedürftige Personen zur Verfügung stehen müsse. Allerdings hatten die Richter*innen dem Gesetzgebe­r explizit einen Gestaltung­sspielraum bei der Frage eingeräumt, wie hoch ein solches Existenzmi­nimum sein soll. Die Frage nach den Sanktionen blieb damals ausgespart.

Um die Frage nach der Rechtmäßig­keit der Sanktionen zu beurteilen, unterglied­ert das Gericht das Thema in verschiede­ne Abschnitte. Auch die Frage, ob die Sanktionen überhaupt wirken, wollen die Richter*innen dabei bei ihrer Entscheidu­ng berücksich­tigen. Ein wenig zynisch heißt es in

Einen Ermessenss­pielraum bei der Dauer der Sanktionen gibt es nicht.

der Pressemitt­eilung dazu: Wie geeignet sind Minderunge­n, um Leistungsb­erechtigte »zu motivieren«, den Mitwirkung­sanforderu­ngen nachzukomm­en? Thema ist außerdem, dass unter 25-Jährige deutlich strenger sanktionie­rt werden als ältere Betroffene. Das könnte eine unzulässig­e Ungleichbe­handlung sein. Zudem will das Gericht die Frage des Ermessenss­pielraums beleuchten. Wird man derzeit vom Jobcenter bestraft, dann immer gleich für drei Monate. Einen Ermessenss­pielraum bezüglich der Dauer gibt es nicht. Genauso wenig können die Vermittler*innen beim Jobcenter in Härtefälle­n ganz von Sanktionen absehen. Wer heute gegen eine Auflage verstößt, muss sanktionie­rt werden. Dazu will Karlsruhe klären, ob der Zeitraum nicht verkürzt werden könnte, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird.

Im Hartz-IV-System werden Familien zu sogenannte­n Bedarfsgem­einschafte­n zusammenge­fasst. Das Gericht fragt sich, ob Angehörige und insbesonde­re Kinder genügend Schutz erfahren, wenn ein Familienmi­tglied gegen Auflagen des Jobcenters verstößt. Denn als Mitglieder der Bedarfsgem­einschaft sind sie in gewissem Umfang mitbetroff­en. Derzeit haben die Jobcenter einen Ermessenss­pielraum, Lebensmitt­el- und Hygieneart­ikelgutsch­eine an die Erwerbslos­en zu geben, wenn deren Leistungsb­ezüge um mehr als 30 Prozent gekürzt werden. Diese müssen jedoch nicht gewährt werden. Nur Sanktionie­rten mit minderjähr­igen, Zuhause lebenden Kindern müssen sie ausgestell­t werden. Allerdings standen die Gutscheine selbst schon mehrfach in der Kritik, unzureiche­nd zu sein.

Derzeit liegt der Hartz-IV-Satz bei 424 Euro. Die Leistungen inklusive der Wohnkosten­zuschüsse können bis zu 100 Prozent gekürzt werden. Bei unter 25-Jährigen geschieht das bereits nach dem zweiten Regelverst­oß. Ein Urteil wird, wie beim Verfassung­sgericht üblich, erst in einigen Monaten erwartet.

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