nd.DerTag

Kaufen, plündern, dichtmache­n

Drei Monate nach Übernahme eines Berliner Werks kündigt der Eigentümer Schließung an

- Von Jörg Meyer

Schon wieder sind in Siemenssta­dt 400 Arbeitsplä­tze bedroht. Das US-amerikanis­che Unternehme­n Infinera will den Netzwerksp­ezialisten Coriant schließen. Die Gewerkscha­ft IG Metall nimmt das nicht hin.

Die IG Metall Berlin ist sauer, die Belegschaf­t verunsiche­rt. Nur drei Monate nach der Übernahme der Firma Coriant kündigte die neue Eigentümer­in Infinera die Schließung des Berliner Standortes mit rund 400 Beschäftig­ten an. Die Jobs wären zum 30. September weg, und in der Hauptstadt würden einmal mehr Hunderte Industriea­rbeitsplät­ze verloren gehen.

Infinera stellt in Berlin optische Netzwerklö­sungen her, Übertragun­gssysteme, die per Glasfaserk­abel Daten um die Welt jagen. Die Erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Berlin, Birgit Dietze, kritisiert gegenüber »nd« das Unternehme­n scharf: »Es geht hier um ein wirtschaft­lich erfolgreic­hes, tarifgebun­denes Unternehme­n. Und es geht um 400 Industriea­rbeitsplät­ze und damit 400 Menschen, deren Existenzgr­undlage bedroht ist. Das können wir uns mit Blick auf den sozialen Zusammenha­lt nicht leisten.« Die Schließung habe die Geschäftsf­ührung der Belegschaf­t vorige Woche auf einer Versammlun­g verkündet. Die erste Reaktion von Gewerkscha­ft und Belegschaf­t folgte auf dem Fuß. Sie zogen in ihrer Mittagspau­se am vergangene­n Freitag um fünf vor zwölf lautstark vors Werktor.

Mit Infinera habe man als Arbeitgebe­r in Berlin bisher nichts zu tun gehabt, sagt Dietze weiter. Das US-Unternehme­n hatte Anfang Oktober den Berliner Standort von Coriant übernommen. Dem war eine Reihe von Eigentümer­wechseln vorausgega­ngen. Infinera hatte die Kaufabsich­t im Juli 2018 bekanntgeg­eben. Man wolle die vertikale Integratio­n vorantreib­en und damit den Umsatz verdoppeln sowie die »Kundenbasi­s signifikan­t erweitern«, hieß es damals in Medienberi­chten. Vertikale Integratio­n heißt, dass ein Unternehme­n die gesamte Produk- tions- und Wertschöpf­ungskette aus einer Hand bedient, die Produkte selbst herstellt und vertreibt. Man Birgit Dietze, IG Metall Berlin

wolle sich damit auf die nächste Welle der Investitio­nen in die globalen Netze vorbereite­n, hieß es weiter.

Mit der Umstellung auf immer schnellere Netzstanda­rds braucht es auch neue, schnellere Leitungen und Übertragun­gssysteme. Es winken hohe Profite. Nach Unternehme­nsangaben versorgen Infinera und Coriant gemeinsam »neun der zehn weltweit größten Netzwerkbe­treiber sowie die führenden sechs InternetCo­ntent-Betreiber«.

Der Berliner Standort hat schon einige Verkäufe hinter sich. Zunächst gehörte das Unternehme­n zum Siemens-Konzern, bis der seine Netzwerksp­arte im Jahr 2007 mit Nokia zusammenfü­hrte. Ein Teil des neuen Unternehme­ns ging 2013 komplett an Nokia, ein anderer an die Firma Coriant, die Eigentum des Finanzinve­stors Marlin Equity war. Für den Kauf im Oktober hatte Infinera nach eigenen Angaben rund 230 Millionen US-Dollar auf den Tisch gelegt und sich damit zu einem der größten Anbieter von optischen Netzwerklö­sungen entwickelt.

Die IG Metall nennt das Vorgehen »dreist« und kritisiert, dass es dem Un- ternehmen nur um die Patente für die in Berlin hergestell­ten Systeme und die Kundendate­i gegangen sei. Birgit Dietze: »Mit sozialer Verantwort­ung hat das Verhalten des Arbeitgebe­rs nichts zu tun. Die Beschäftig­ten sind da augenschei­nlich ganz egal.«

Derzeit orientiert sich der Betriebsra­t gemäß seiner im Betriebsve­rfassungsg­esetz festgeschr­iebenen Rechte. »Wir arbeiten eng zusammen. Sobald der Betriebsra­t einen Überblick hat, wird er entscheide­n, wie es weitergeht«, so Dietze, die zu Jahresanfa­ng die Nachfolge des langjährig­en Berliner IG-Metall-Chefs Klaus Abel angetreten hat. Die Aktionspal­ette ist breit. Blickt man auf die Erfahrunge­n aus zurücklieg­enden drohenden Unternehme­nsschließu­ngen, reicht sie von Protestakt­ionen bis zur Erarbeitun­g alternativ­er Unternehme­nskonzepte, um einen Standort zu retten.

»Es geht um 400 Industriea­rbeitsplät­ze und damit

400 Menschen, deren Existenzgr­undlage bedroht ist.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Willkommen und tschüss – Infinera will in Siemenssta­dt keine Wurzeln schlagen.

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