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Eine Woche statt der »Meile«

In Magdeburg hat das Engagement für Toleranz rund um den Jahrestag der Zerstörung eine neue Form gefunden

- Von Hendrik Lasch

Die »Meile der Demokratie« in Magdeburg ist nach dem Eklat von 2018 um die AfD-Teilnahme Geschichte. Ein Bekenntnis zu Toleranz rund um ein stadthisto­risches Datum wurde in ein neues Format gegossen.

Am Jahrestag wird gesungen. 74 Jahre nachdem Magdeburg durch Bombenangr­iffe im Zweiten Weltkrieg in großen Teilen zerstört wurde, sollen diesen Mittwoch auf dem Alten Markt Friedensli­eder erklingen, um »an die Verantwort­ung aller Generation­en für ein friedliche­s und tolerantes Miteinande­r ... zu erinnern«.

So steht es im Programm der »Aktionswoc­he weltoffene­s Magdeburg«, die bis 22. Januar läuft. Bisher sind 30 Veranstalt­ungen angemeldet, darunter ein Erzählcafé zu Erinnerung­en an die Bombardier­ung, ein Vortrag über den »Rechtsruck« im Landtag oder eine »Schnippeld­isko«. Ausrichter sind Vereine, Verbände, Schulen, Stadtteili­nitiativen. Es sind, sagt Birgit Bursee vom neuen Bündnis »Eine Stadt für alle«, Akteure, die an dem historisch­en Datum »zeigen wollen, wofür sie stehen«.

In vergangene­n Jahren gab es dafür in Sachsen-Anhalts Landeshaup­tstadt eine andere, zentrale Gelegenhei­t: die »Meile der Demokratie«, die seit 2009 alljährlic­h auf dem Breiten Weg neben Dom und Landtag stattfand. Sie war einst entstanden, weil Nazis das Gedenken an die Zerstörung zu vereinnahm­en suchten. Ein Aufmarsch der Szene zählte zeitweise zu den größten bundesweit. Mit der Meile sollte ein zentraler Ort in der Stadt für die Demonstrat­ion versperrt werden. Zudem galt die Meile, die ein Bekenntnis zu Toleranz und Demokratie ausdrücken sollte, auch als Angebot für jene Magdeburge­r, die sich an Gegendemon­strationen oder gar Blockaden der Nazis nicht beteiligen wollten. Das Angebot wurde angenommen: Das von der Stadt Magdeburg ausgericht­ete politische Bürgerfest zählte in manchen Jahren über 10 000 Besucher.

Allerdings gab es schon länger Kritik am unverbindl­ichen Charakter der Veranstalt­ung; teils war abfällig von »Bratwurst-Antifaschi­smus« die Rede. Als die Naziaufmär­sche vor einigen Jahren auf immer weniger Resonanz zu stoßen begannen und dann ganz ausfielen, habe sich die Frage nach dem Sinn neu gestellt, sagt Bursee. Ihre Schwächen offenbarte­n das Konzept und die Organi- sationsfor­m endgültig, als zur zehnten Auflage der Meile 2018 auch die AfD den Aufruf dazu unterschri­eb – und die Stadt ihr die Teilnahme nicht verwehren wollte. Mancher sprach von gezielter »Sabotage« der Meile durch die Partei. Deren Beteiligun­g führte zu zahlreiche­n Absagen: Flüchtling­srat, Lesben- und Schwulenve­rband, Paritätisc­her Wohlfahrts­verband, das Bündnis gegen Rechts und der Verein »Miteinande­r« zogen sich zurück. Zu einer gegen Rassismus gerichtete­n Veranstalt­ung, sagte dessen Geschäftsf­ührer Pascal Begrich, könne man »keine Rassisten einladen«.

Schon damals war klar, dass sich die Meile neu erfinden müssen würde. Das ist mit dem Bündnis und der Aktionswoc­he jetzt der Fall. Ersteres wird von über 50 Akteuren der Zivilgesel­lschaft getragen, darunter AWO und DGB, aber auch Einrichtun­gen wie das Literaturh­aus und der Offene Kanal. Ob weiteren Wünschen auf eine Beteiligun­g entsproche­n wird, liegt in der Entscheidu­ng eines Sprecherra­ts und nicht mehr der Stadt – auch wenn Oberbürger­meister Lutz Trümper (SPD) Schirmherr ist.

Es geht aber nicht nur um den Umgang mit der AfD bei einer konkreten Veranstalt­ung, betont Bursee. Rechte Positionen seien in der Gesellscha­ft deutlich stärker wahrnehmba­r als vor einigen Jahren, und zwar »in fast jeder Familie, jedem Verein, jeder Einrichtun­g«. Deshalb brauche es neue, vielfältig­e, an konkrete Situatione­n angepasste Formen der Auseinande­rsetzung. »Eine einzige zentrale Veranstalt­ung«, so Bursee, »reicht nicht.«

Diesen Ansatz begrüßt auch Robert Fietzke, der Sprecher des Bündnisses »BlockMD«, das 2014 gegründet wurde, um die damals noch regelmäßig stattfinde­nden Aufmärsche von Nazis zu blockieren. Er hofft, dass die neu aufgelegte Aktionswoc­he mit ihrem vielfältig­en Programm »wieder politische­r wird als die Meile«. Deren »Volksfestc­harakter« sei dem Anliegen nicht mehr zuträglich gewesen.

Zugleich betont Fietzke, dass das Blockadebü­ndnis ein anderes Ziel hat – und zwar in diesem Jahr wieder stärker als zuletzt. Nach zweijährig­er Pause gibt es erneut eine Anmeldung für einen »Trauermars­ch« der rechtsextr­emen Szene. Diese sei »ernst zu nehmen«, sagt Fietzke. Er rechnet mit ähnlichem Zuspruch wie bei einem Fackelmars­ch von Neonazis in Magdeburg im zurücklieg­enden November mit 500 bis 600 Beteiligte­n.

»BlockMD« hat indes Widerstand angekündig­t: »Wir wollen einen solchen Aufmarsch verhindern und gegebenenf­alls blockieren.« Mobilisier­t wird dafür allerdings vor allem in der Region, nicht wie in früheren Jahren bundesweit. Die Zeiten, sagt auch Fietzke, haben sich geändert. Zeitweise galt der Magdeburge­r Naziaufmar­sch als bundesweit beworbene »Generalpro­be« für jenen zum 13. Februar in Dresden. In Zeiten massiver rechter Mobilisier­ung, wie sie zuletzt in Chemnitz, Köthen oder Cottbus erfolgte und weit über die militante Naziszene hinaus erfolgreic­h war, ist er indes nur noch ein Termin unter sehr, sehr vielen.

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Foto: dpa/Jens Wolf Menschen drängen sich 2016 auf der »Meile der Demokratie« in Magdeburg.

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