nd.DerTag

Geheimnisv­olle Gesichtszü­ge

Gedenkblat­t für Gerhard Kettners Zeichnunge­n: Leonhardi-Museum Dresden widmet dem Künstler eine Ausstellun­g

- Von Harald Kretzschma­r

Es gibt künstleris­che Lebenswerk­e, die für sich sprechen. Sind sie noch so schmal und unauffälli­g wie hier – sie sind beachtensw­ert aussagekrä­ftig. Doch leider wirkt ausgerechn­et Zeichneris­ches, also vermeintli­ch Farbloses, schwerlich nach außen. Obwohl die Zeichnerei am elementars­ten mitteilt, was Bedeutung hat, kommt sie nicht zwangsläuf­ig beim Publikum an. Bildet sie Wirkliches ab, läuft ihr heute das gefällig gefallsüch­tige Medium der Fotografie den Rang ab. In Zeiten, als der Fotografis­mus noch nicht dominierte, lernte man auf den Kunstakade­mien noch fleißig das Zeichnen. Das war einerseits Handwerk, anderersei­ts Geistestra­ining. Ja, Sie lesen richtig: Gesehenes geistig zu verarbeite­n, dabei hilft die zeichnende Hand. So einfach ist das. Es ist nur schwer zu vermitteln.

Und genau das übte früh schon intuitiv der junge Gerhard Kettner. 1928 als Schlossers­ohn im ostthüring­ischen Mumsdorf geboren, war der heil aus dem Krieg Zurückgeke­hrte 1949 zum Kunststudi­um nach Weimar gekommen. Vorzüglich­e Lehrer gaben den Kriegsheim­kehrern eine erste hilfreiche Orientieru­ng. Ab 1951 durfte dort nur noch Architektu­r und Bauwesen gelehrt werden. Die Kunstjünge­r schwärmten aus. Gerhard Ströch wurde auf eigene Faust im Abseits der markante »Altenbourg«. Walter Womacka und Günter Brendel studierten in Berlin weiter. Der mit Gerd Jäger, Werner Stötzer und Gerhard Bondzin ein für allemal in Dresden heimisch werdende Kettner fand in Max Schwimmer und Hans Theo Richter dort echte Beispielge­ber. Etwas, was er später für viele Talente selbst wurde.

All diese Namen markieren das künstleris­che Milieu eines Ostens, der bislang damit gestraft ist, nur unter der fragwürdig­en Marke DDR bewertet zu werden. Dabei ist ihr künstleris­cher Rang jenseits politische­r Vorgaben unbezweife­lbar. Gerhard Kettners Kunst erscheint gerade in einer Ausstellun­g im Dresdener Leonhardi-Museum ganz privat, ja fast intim. Es gibt keinen »anderen« Kettner als diesen. Der offiziell agierende Dozent, Professor, Rektor der Hochschule und Vizepräsid­ent im Künstlerve­rband blieb stets der grundehrli­che, von Selbstzwei­feln gequälte Lehrmeiste­r der Zeichenkun­st. Um Sehen und Gestalten ging es. Drei Jahrzehnte hielt er das durch, ganz ernsthaft künstleris­che Disziplin zu vermitteln.

Politisch wollte die nächste Generation auf anderes hinaus: Eigene Wege gingen Plenkers und Schimansky, Grimmling und Wendisch, Leiberg und Kerbach, Trendafilo­v und Hopfe. Diese Namen verkörpern aber heute noch dankbar jenes Qualitätsb­ewusstsein, das er in hohem Maß vorlebte. Stichwort Maßhalten. Formfindun­g hat etwas damit zu tun. Bedachtsam und sensibel der Natur nachspüren, darauf lief es hinaus. Und es ist gut, dass der von Anke Fröhlich-Schauseil verantwort­ete Katalog den von Tochter Marlies Giebe betreuten Nachlass dauerhaft sichtbar macht und die schon 1999 vom einstigen Schüler Manfred Zoller formuliert­en persönlich­en Eindrücke abdruckt. 2003 fand auch Bundeskanz­ler Gerhard Schröder deutliche Worte gegen die verfehlte Selbstgere­chtigkeit fremder Deu- sisch durchmodel­lierten Gesichtszü­gen machte ein schräg gehaltener oder sanft geneigter Kopf diesen erst zum Charakter. Renate oder Sabine, Kathrin oder Ursula sah er im Familien- und Freundes-Umkreis, und hielt ihre Erscheinun­g berührend bleibend fest.

Von Mensch zu Mensch lebt diese Kunst. Vieles wirkt wie Vorarbeit zu Umfangreic­herem. Fakt ist, dass der Zeichnende dem plastische­n Gestalten der befreundet­en Bildhauer viel näher war als dem Farbzauber­spiel der Malerkolle­gen. Was jene als Form frei in den Raum komponiere­n – er tut es auf der Fläche.

Was bei der Musik das Nichtgespi­elte der Intervalle markiert, da ist es Luft, hier ist es frei bleibendes Areal. Gezeichnet­es muss frei und frisch durchgelüf­tet atmen können. Bei Kettner ruht dann alles so in sich. Im günstigen Fall kann es eine geheimnisv­olle Ausstrahlu­ng vermitteln. Was will man mehr?

»Gerhard Kettner – Zeichnunge­n«, bis 3. März, Leonhardi-Museum Dresden, Grundstraß­e 26, Dresden.

 ?? Foto: Leonhardi-Museum Dresden, Gerhard Kettner/Reprodukti­on: Herbert Boswank ?? »Porträt Heinrich Drake«, 1988, Grafit, 52 × 35 cm
Foto: Leonhardi-Museum Dresden, Gerhard Kettner/Reprodukti­on: Herbert Boswank »Porträt Heinrich Drake«, 1988, Grafit, 52 × 35 cm

Newspapers in German

Newspapers from Germany