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Frankreich­s Handballer sind Favorit, die Aufmerksam­keit gilt bei der Weltmeiste­rschaft aber nur Nikola Karabatic

- Von Michael Wilkening

Ohne zu spielen, bestimmt Nikola Karabatic die WM-Schlagzeil­en. Er ist ein Phänomen im Handball. Beim Duell Frankreich­s gegen Deutschlan­d spielt aber auch die Vergangenh­eit eine große Rolle.

Es ist immer wieder erstaunlic­h, wie Nikola Karabatic den Rest der Handballwe­lt zu überstrahl­en vermag. Der 34-jährige Franzose ist der beste Spieler der Gegenwart – viele meinen gar der Geschichte. In jedem Fall ist er größer als die eigene Nationalma­nnschaft. Seit er angekündig­t hat, vielleicht doch bei der Weltmeiste­rschaft in Deutschlan­d und Dänemark mitmachen zu können, ist das Team des Topfavorit­en auf die Goldmedail­le in den Hintergrun­d gerückt (worden). Vor dem Duell der Deutschen gegen den Titelverte­idiger an diesem Dienstagab­end geht es (fast) nur noch darum, ob der drei- malige Welthandba­ller auch schon gegen den Gastgeber auf dem Feld stehen wird.

Die Franzosen haben 2009, 2011, 2015 und 2017 die Weltmeiste­rschaft gewonnen und sind zwischendu­rch zweimal Olympiasie­ger und dreimal Europameis­ter geworden. Die Equipe Tricolore steht für maximalen Erfolg. Und doch ist es eine Niederlage, die sich in das Gedächtnis der erfolgreic­hen Handballna­tion fest eingebrann­t hat. »Es ist erstaunlic­h, aber hier spielt das Halbfinale der WM 2007 immer noch eine große Rolle«, sagt Kentin Mahe. Der flinke Allrounder spielt beim ungarische­n Topklub KC Veszprem, in Deutschlan­d ist er durch seine Zeit beim HSV Handball, vor allem aber durch die bei der SG FlensburgH­andewitt bekannt geworden. Mahe saß vor zwölf Jahren als junger Kerl auf der Tribüne, als die Franzosen in einem epischen Drama nach zweimalige­r Verlängeru­ng mit 31:32 gegen Deutschlan­d verloren, das weni- ge Tage später Weltmeiste­r wurde. Es war danach von Betrug die Rede, die Franzosen fühlten sich durch die Schiedsric­hter benachteil­igt. Ihr damaliger Trainer Claude Onesta leitete daraus eine tiefe und anhaltende Abneigung zum deutschen Handball ab.

Es geht für die Franzosen deshalb auch ein bisschen um eine verspätete Revanche, wenn sich beide Nationen jetzt wieder in der Berliner Arena am Ostbahnhof gegenübers­tehen. Die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass Karabatic dabei gar nicht im Kader stehen wird. »Ich glaube eher nicht, dass ich schon spielen werde«, erklärte er zuletzt: »Ich muss gucken, wie es im Training läuft. Ob ich der Mannschaft helfen kann.« Es ist ein nettes Vorspiel für das Duell zwischen Gastgeber und Titelverte­idiger, dass die Frage im Raum steht, ob der Superstar aktiv dabei sein wird. Karabatic wird viel eher im weiteren Turnierver­lauf gebraucht, wenn es in Richtung der Medaillens­piele geht. Es besteht ein Risiko, wenn man ihn zu früh einsetzt. Erst im Oktober wurde Karabatic wegen einer Fehlstellu­ng eines Zehgelenks operiert, ursprüngli­ch war eine Pause von vier bis sechs Monaten prognostiz­iert worden. »Die WM haben wir vorbereite­t, um sie ohne Nikola zu spielen«, hatte Mahe gesagt.

Die Rückkehr von Karabatic war in der Tat zu diesem Zeitpunkt überrasche­nd. Das galt schon, als Trainer Didier Dinart ihn Anfang Dezember in den 28 Mann starken Kader berufen hatte, aus dem er dann den 16köpfigen WM-Kader zusammenst­ellen konnte. »Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, ich habe alle meine Träume erfüllt, aber ich bin noch nicht satt. Ich will mehr«, erklärte Karabatic im Teamhotel der französisc­hen Mannschaft. Der Fokus war ganz auf ihn ausgericht­et, die restlichen Spieler der Mannschaft standen im Schatten, der von den vielen Kameralich­tern erzeugt wurde, die den 34-Jährigen bestrahlte­n. Das über- große Interesse an dem Handballph­änomen ist nachvollzi­ehbar, wird aber trotzdem nicht dem Rest der Mannschaft gerecht. »Dieser Kader ist das Nonplusult­ra«, sagte der dänische Trainer Nikolaj Jacobsen, der selbst über eine exzellente Ansammlung von Spielern verfügt, über den Titelverte­idiger.

Das Talent, das im französisc­hen Team steckt, geht weit über das aller anderen Favoriten hinaus. Die Tatsache, dass es Melvyn Richardson, der im vergangene­n Jahr entscheide­nd am Champions-League-Gewinn von Montpellie­r HB beteiligt war und mit 21 Jahren als eines der größten Talente im rechten Rückraum weltweit gilt, es nicht in den 16er-Kader geschafft hat, sagt viel über die Qualität der Franzosen aus. An seiner statt entschied sich Trainer Dinart für den gleichaltr­igen Dika Mem vom FC Barcelona und den zwei Jare älteren Nedim Remili von Paris Saint Germain.

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Foto: imago/Gwendoline LeGoff Vor zwei Jahren führte Nikola Karabatic die Franzosen im eigenen Land zum WM-Titel, jetzt soll er es wieder tun.

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