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Ende der Hochkonjun­ktur

Die deutsche Wirtschaft fährt seit Jahren auf der Überholspu­r – doch ausgerechn­et Fahrzeuge bereiteten den Statistike­rn zuletzt Sorgen

- Von Hermannus Pfeiffer

2018 lief der Wachstumsm­otor weniger rund als erhofft.

Die deutsche Wirtschaft war im dritten Quartal zum ersten Mal seit Langem geschrumpf­t. Schuld waren schwächeln­de Exporte – und vor allem die Autoindust­rie, die Probleme mit neuen Abgastests hatte.

Schreck im November: Die seit fast zehn Jahren erfolgsver­wöhnte deutsche Wirtschaft war im dritten Quartal plötzlich geschrumpf­t. Das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP), bereinigt um saisonale und kalendaris­che Einflüsse, hatte gegenüber dem zweiten Quartal 0,2 Prozentpun­kte verloren. Das Minus kam für Experten zwar nicht gänzlich überrasche­nd, aber es fiel stärker als erwartet aus. Banken und Forschungs­institute hatten im Schnitt ein Minus von »nur« 0,1 Prozent vorhergesa­gt. Aber auch wenn die Stelle hinter dem Komma auf den ersten Blick winzig erscheint – sie bedeutet in der ökonomisch­en Wirklichke­it einen Milliarden­betrag: Das Minus von 0,2 Prozent in den Monaten Juli, August und September entsprach mehr als 15 Milliarden Euro.

Als Schuldiger wurde vor allem der »Auto-Effekt« ausgemacht. »Das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft geht auf Probleme der Automobili­ndustrie bei der Umstellung auf das neue Emissionst­estverfahr­en WLTP zurück«, schrieb Chefvolksw­irt Jörg Krämer von der Commerzban­k. Die deutsche Vorzeigein­dustrie hatte Probleme mit der Einführung der neuen Abgastests, die im Zuge des Diesel-Skandals von der EU vorgeschri­eben worden waren.

Manche Hersteller beschlosse­n zudem, für einen Teil jener Fahrzeuge, die sich am Ende ihres Lebenszykl­us befinden, auf eine WLTP-Zulassung ganz zu verzichten und diese bis zum Modellwech­sel nicht mehr zu produziere­n. In der Folge stellten einzelne Autofabrik­en in Deutschlan­d sogar die Produktion für mehrere Tage ein.

Das reale Bruttoinla­ndsprodukt wurde durch die Produktion­skürzungen in der Autowirtsc­haft im dritten Quartal um etwa 0,25 Prozent gedrückt, schätzt Krämer. Die Deutsche Bank bezifferte den Rückgang sogar auf »knapp einen halben Prozentpun­kt«.

In Deutschlan­d sieht sich die Automobili­ndustrie selber als führende Branche an. Zahlen geben ihr recht: Ein Drittel aller Umsätze der Top-50Unterneh­men steuert sie bei, vor zehn Jahren betrug der Anteil noch ein Viertel, rechnet das Beratungsu­nternehmen Accenture vor.

Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) zählt über 600 Mitgliedsu­nternehmen, gut 500 davon sind Zulieferer, darunter große Namen wie Bosch, Conti oder Siemens. Wenn Hersteller wie VW oder Daimler ins Stolpern geraten, stolpert dahinter eine lange Wertschöpf­ungskette mit. Für 2019 stellen sich Zulieferer wie Osram und Hella auf eine schwächere Autokonjun­ktur ein.

Weltweit produziert­en die deutschen Hersteller im vergangene­n Jahr 16,5 Millionen Pkw, davon 5,1 Millionen in der Bundesrepu­blik. »Unser Anteil am Welt-Pkw-Markt beträgt rund 20 Prozent«, sagte der Präsident des VDA, Bernhard Mattes, vergangene Woche auf der US-amerikanis­chen Technikmes­se CES in Las Vegas. In der Automobili­ndustrie arbeiten laut Mattes allein in Deutschlan­d 834 100 Menschen und erwirtscha­ften einen Umsatz von 425 Milliarden Euro. Das ist doppelt so viel wie die Nummer zwei schafft, der Maschinenb­au.

Da in Umsatzzahl­en auch Vorleistun­gen stecken, kann man allerdings aus dem Branchenum­satz nicht einfach auf den Anteil an der Wirtschaft­sleistung schließen. Die Deutsche Bank schätzt den Anteil der Automobili­ndustrie am gesamten BIP daher auf 4,5 Prozent.

Seit Oktober dürfte der WLTP-Effekt rückläufig sein und der »norma- le« Konjunktur­zyklus wieder den Produktion­sverlauf bestimmen. Allerdings wächst die Automobiln­achfrage in vielen wichtigen Absatzmärk­ten der deutschen Hersteller nur noch langsam oder sinkt sogar, weshalb nach Einschätzu­ng der Volkswirte der Deutschen Bank »der Konjunktur­impuls begrenzt bleibt«.

Schließlic­h dürften in China die Zeiten regelmäßig­er zweistelli­ger Zuwachsrat­en beim Fahrzeugab­satz vorbei sein. Fast ein Drittel der Autos mit Stern werden heute im Reich der Mitte verkauft, und Volkswagen setzt sogar jeden zweiten Wagen dort ab. Auch für deutsche Zulieferer ist China der wichtigste Markt. Neben den konjunktur­ellen Aspekten sorgt sich die Autobranch­e um die wirtschaft­lichen und geopolitis­chen Risiken wie den Brexit. Dennoch wird für 2019 summa summarum ein Plus von etwa ein Prozent erwartet.

»Das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft geht auf Probleme der Automobili­ndustrie bei der Umstellung auf das neue Emissionst­estverfahr­en WLTP zurück.« Jörg Krämer, Commerzban­k

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Foto: iStock/Andrey Mitrofanov

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