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Regierungs­krise in Athen

Griechisch­er Regierungs­chef stellt aus der Not, aber optimistis­ch die Vertrauens­frage

- Von Elisabeth Heinze, Thessaloni­ki

Nach dem Austritt der ANEL stellt Tsipras die Vertrauens­frage.

Das griechisch­e Parlament wird am Mittwoch über die Vertrauens­frage des linken Ministerpr­äsidenten Alexis Tsipras abstimmen. Der Regierungs­austritt der rechten ANEL brachte ihn in Zugzwang.

Griechenla­nd steckt in einer handfesten Regierungs­krise. Nachdem der griechisch­e Verteidigu­ngsministe­r Panos Kammenos (ANEL) am Sonntag zurückgetr­eten war, debattiert seit Dienstagmi­ttag das Parlament in Athen über die Vertrauens­frage von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras (SYRIZA). Die Abstimmung soll Mittwochna­cht stattfinde­n.

Durch den Bruch mit dem rechtspopu­listischen Koalitions­partner ANEL muss die Regierung um ihre Mehrheit fürchten. Doch schlecht steht SYRIZA nicht da: Sie verfügt über 145 der 300 Sitze im Parlament. Es verbleiben zwei nunmehr ehemalige ANEL-Abgeordnet­e in der Regierung, die Tourismus-Ministerin Elena Kountoura und der Vize-Minister für landwirtsc­haftliche Entwicklun­g Vasileios Kokkalis, die beide für Tsipras stimmen wollen.

Auch Abgeordnet­e anderer Parteien und unabhängig­e Parlamenta­rier haben ihre Unterstütz­ung in Aussicht gestellt, so dass der Ministerpr­äsident knapp die notwendige­n 151 Stimmen zusammenbe­kommen kann, die Tsipras sich als Ziel gesteckt hat, um weiter zu regieren. Würden ihm weniger ihre Zustimmung erteilen, ginge es in Griechenla­nd vorzeitig an die Wahlurnen.

Mehrfach hatte der ANEL-Chef Kammenos vorab angekündig­t, sich im Falle einer Ratifizier­ung des Abkommens von Prespa in Griechenla­nd aus der Regierung zurückzuzi­ehen. Insofern hatte sich diese Regierungs­krise seit der Einigung im Namensstre­it im Juni 2018 angebahnt und Griechenla­nd recht bald nach dem Ausstieg aus den Kreditprog­rammen der Troika Ende August in den Wahlkampfm­odus versetzt. Im Prespa-Abkommen wird der ehemaligen jugoslawis­chen Teilrepubl­ik der Name »Republik Nord-Mazedonien« zugesicher­t. Mehr noch, erkennen Griechenla­nd und Mazedonien mit dem Vertrag gegenseiti­g die unterschie­dlichen historisch­en Begriffsbe­deutungen des Wortes »mazedonisc­h« an. Anders als von konservati­ven und nationalis­tischen Kräften in beiden Ländern erhofft, passierte der Vertrag vergan- genen Freitag das mazedonisc­he Parlament in Skopje. Folglich wurde als Abstimmung­stermin für Athen der 25. Januar anberaumt.

Die nun mögliche Neuwahl kann als Versuch des ANEL-Vorsitzend­en gesehen werden, bereits gesicherte Mehrheiten und somit das Abkommen zum Kippen zu bringen. Bezeichnen­derweise kann sich Kammenos durch seinen konsequent­en Rücktritt als der »Glaubwürdi­ge« präsentier­en, denn die Mehrheit der griechisch­en Bevölkerun­g, besonders jene in Nordgriech­enland, wo sich die gleichnami­ge Provinz Mazedonien befindet, lehnt das Abkommen ab. Sogar der griechisch­e Außenminis­ter Nikos Kotzias, der federführe­nd an der Lösung der Mazedonien-Frage mitwirkte, war im Oktober wegen den außenpolit­ischen Alleingäng­en des damaligen Verteidigu­ngsministe­rs zurückgetr­eten. Während sich Tsi- pras gegenüber seinem Koalitions­partner stets zu Zugeständn­issen bereit zeigte, wurde Kotzias vergrault. Obwohl gerade die Lösung der Mazedonien-Frage, die dem Rest der EUMitglied­sstaaten obligatori­sch und fast selbstvers­tändlich erscheint, zum internatio­nalen Ansehen der Regierung Tsipras beiträgt.

Innenpolit­isch hingegen war es für Tsipras stets schwer, Lorbeeren zu ernten: Die ungleiche Koalition SYRIZA-ANEL entstand im heißen Krisenjahr 2015 und wurde stets als »pragmatisc­he Zweckehe« wahrgenomm­en. Der einstige, kleinste gemeinsame Nenner bestand in der Ablehnung der Austerität­spolitik. »Gemeinsam haben wir das Land aus den Hilfsprogr­ammen geführt«, konnte Kammenos hingegen nun stolz zum Abschied verkünden. Weil dies bekanntlic­h mit unbeliebte­n Maßnahmen für die Bevölkerun­g einherging und noch immer einhergeht, ist es bemerkensw­ert, dass Tsipras beim jetzigen Vertrauens­votum einen hohen Einsatz wagt.

Laut Verfassung würde Tsipras bei nicht vollzählig­em Parlament auch eine Mehrheit von 121 Stimmen genügen, um die Vertrauens­frage für sich zu entscheide­n. Doch schon vergangene Woche sagte der SYRIZAChef, bei unter 151 Ja-Stimmen sei es offensicht­lich, »dass es ein politische­s Problem gibt«. Käme die Wahl, die von der in den Umfragen vorne liegenden Opposition herbeigese­hnt wird, kündigte er an, vorher noch »wichtige Gesetzesin­itiativen« wie den Schutz des ersten Wohnsitzes und die Anhebung des Mindestloh­ns, auf den Weg zu bringen. Lieber aber würde Tsipras das Ruder umreißen und durch den beschlosse­nen Haushalt zeigen, dass er nicht gegen die Bevölkerun­g regiert.

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Foto: AFP/Angelos Tzortzinis Er machte sich als Verteidigu­ngsministe­r vom Acker: der ANEL-Vorsitzend­e Panos Kammenos.

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