Regierungskrise in Athen
Griechischer Regierungschef stellt aus der Not, aber optimistisch die Vertrauensfrage
Nach dem Austritt der ANEL stellt Tsipras die Vertrauensfrage.
Das griechische Parlament wird am Mittwoch über die Vertrauensfrage des linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras abstimmen. Der Regierungsaustritt der rechten ANEL brachte ihn in Zugzwang.
Griechenland steckt in einer handfesten Regierungskrise. Nachdem der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos (ANEL) am Sonntag zurückgetreten war, debattiert seit Dienstagmittag das Parlament in Athen über die Vertrauensfrage von Ministerpräsident Alexis Tsipras (SYRIZA). Die Abstimmung soll Mittwochnacht stattfinden.
Durch den Bruch mit dem rechtspopulistischen Koalitionspartner ANEL muss die Regierung um ihre Mehrheit fürchten. Doch schlecht steht SYRIZA nicht da: Sie verfügt über 145 der 300 Sitze im Parlament. Es verbleiben zwei nunmehr ehemalige ANEL-Abgeordnete in der Regierung, die Tourismus-Ministerin Elena Kountoura und der Vize-Minister für landwirtschaftliche Entwicklung Vasileios Kokkalis, die beide für Tsipras stimmen wollen.
Auch Abgeordnete anderer Parteien und unabhängige Parlamentarier haben ihre Unterstützung in Aussicht gestellt, so dass der Ministerpräsident knapp die notwendigen 151 Stimmen zusammenbekommen kann, die Tsipras sich als Ziel gesteckt hat, um weiter zu regieren. Würden ihm weniger ihre Zustimmung erteilen, ginge es in Griechenland vorzeitig an die Wahlurnen.
Mehrfach hatte der ANEL-Chef Kammenos vorab angekündigt, sich im Falle einer Ratifizierung des Abkommens von Prespa in Griechenland aus der Regierung zurückzuziehen. Insofern hatte sich diese Regierungskrise seit der Einigung im Namensstreit im Juni 2018 angebahnt und Griechenland recht bald nach dem Ausstieg aus den Kreditprogrammen der Troika Ende August in den Wahlkampfmodus versetzt. Im Prespa-Abkommen wird der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik der Name »Republik Nord-Mazedonien« zugesichert. Mehr noch, erkennen Griechenland und Mazedonien mit dem Vertrag gegenseitig die unterschiedlichen historischen Begriffsbedeutungen des Wortes »mazedonisch« an. Anders als von konservativen und nationalistischen Kräften in beiden Ländern erhofft, passierte der Vertrag vergan- genen Freitag das mazedonische Parlament in Skopje. Folglich wurde als Abstimmungstermin für Athen der 25. Januar anberaumt.
Die nun mögliche Neuwahl kann als Versuch des ANEL-Vorsitzenden gesehen werden, bereits gesicherte Mehrheiten und somit das Abkommen zum Kippen zu bringen. Bezeichnenderweise kann sich Kammenos durch seinen konsequenten Rücktritt als der »Glaubwürdige« präsentieren, denn die Mehrheit der griechischen Bevölkerung, besonders jene in Nordgriechenland, wo sich die gleichnamige Provinz Mazedonien befindet, lehnt das Abkommen ab. Sogar der griechische Außenminister Nikos Kotzias, der federführend an der Lösung der Mazedonien-Frage mitwirkte, war im Oktober wegen den außenpolitischen Alleingängen des damaligen Verteidigungsministers zurückgetreten. Während sich Tsi- pras gegenüber seinem Koalitionspartner stets zu Zugeständnissen bereit zeigte, wurde Kotzias vergrault. Obwohl gerade die Lösung der Mazedonien-Frage, die dem Rest der EUMitgliedsstaaten obligatorisch und fast selbstverständlich erscheint, zum internationalen Ansehen der Regierung Tsipras beiträgt.
Innenpolitisch hingegen war es für Tsipras stets schwer, Lorbeeren zu ernten: Die ungleiche Koalition SYRIZA-ANEL entstand im heißen Krisenjahr 2015 und wurde stets als »pragmatische Zweckehe« wahrgenommen. Der einstige, kleinste gemeinsame Nenner bestand in der Ablehnung der Austeritätspolitik. »Gemeinsam haben wir das Land aus den Hilfsprogrammen geführt«, konnte Kammenos hingegen nun stolz zum Abschied verkünden. Weil dies bekanntlich mit unbeliebten Maßnahmen für die Bevölkerung einherging und noch immer einhergeht, ist es bemerkenswert, dass Tsipras beim jetzigen Vertrauensvotum einen hohen Einsatz wagt.
Laut Verfassung würde Tsipras bei nicht vollzähligem Parlament auch eine Mehrheit von 121 Stimmen genügen, um die Vertrauensfrage für sich zu entscheiden. Doch schon vergangene Woche sagte der SYRIZAChef, bei unter 151 Ja-Stimmen sei es offensichtlich, »dass es ein politisches Problem gibt«. Käme die Wahl, die von der in den Umfragen vorne liegenden Opposition herbeigesehnt wird, kündigte er an, vorher noch »wichtige Gesetzesinitiativen« wie den Schutz des ersten Wohnsitzes und die Anhebung des Mindestlohns, auf den Weg zu bringen. Lieber aber würde Tsipras das Ruder umreißen und durch den beschlossenen Haushalt zeigen, dass er nicht gegen die Bevölkerung regiert.