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Schlechter als gedacht

Mit 1,5 Prozent wuchs die Wirtschaft 2018 weniger stark als von den Ökonomen angenommen

- Von Simon Poelchau

Die Zeit der Hochkonjun­ktur ist erst einmal vorbei. Dass die Wirtschaft vergangene­s Jahr überhaupt wuchs, lag vor allem an der wachsenden Beschäftig­ung und Lohnzuwäch­sen, die die Binnennach­frage stärkten.

Dass es 2018 nicht mehr so rund laufen würde wie die Jahre zuvor, war bereits seit Längerem abzusehen. Doch mit 1,5 Prozent, wie das Statistisc­he Bundesamt am Montag mitteilte, ist die hiesige Wirtschaft im vergangene­n Jahr weitaus weniger gewachsen als erwartet wurde. In den beiden Jahren zuvor war das Bruttoinla­ndsprodukt jeweils noch um 2,2 Prozent gestiegen.

Bereits im Herbst senkten die führenden Ökonomen und Wirtschaft­sinstitute reihum ihre Prognosen für das abgelaufen­e Jahr. Nachdem die Bundesregi­erung in ihrer Frühjahrsp­rojektion noch von 2,3 Prozent Wachstum ausgegange­n war, waren es in ihrer Herbstproj­ektion nur noch 1,8 Prozent. Ähnlich fünf führende Wirtschaft­sinstitute – darunter das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) aus Berlin und das Münchner Ifo-Institut – in ihrer Gemeinscha­ftsdiagnos­e: Im April tippten sie noch auf 2,2 Prozent Wachs- tum, im September nur noch auf 1,7 Prozent. Auch das gewerkscha­ftsnahe Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) revidierte seine Prognose im Laufe des Jahres von 2,3 auf 1,6 Prozent nach unten. Doch alle Ökonomen tippten daneben und gingen von einem größeren Wachstum aus, als am Ende von den offizielle­n Statistike­rn erfasst wurde.

Auch wurde in der Vergangenh­eit immer wieder von prominente­r Seite Kritik an der Fixierung am Wirtschaft­swachstum als zentralem Indikator für den Zustand einer Wirtschaft laut. »Die politische­n Entwicklun­gen der letzten Jahre in den Vereinigte­n Staaten von Amerika und in vielen anderen Ländern sind Ausdruck der stark zugenommen­en Unsicherhe­it, in der viele gewöhnlich­e Bürger leben und der man mit dem BIP (Bruttoinla­ndsprodukt) kaum Beachtung schenkt«, schrieb jüngst Wirtschaft­snobelprei­sträger Joseph Stiglitz in einem Gastbeitra­g im »Handelsbla­tt«. So gibt das Wachstum erst mal keine Auskunft, wie dieser neu geschaffen­e Reichtum verteilt ist.

Doch in einer Wirtschaft­sform, die auf Wachstum ausgelegt ist, hängt vieles andere an dieser Zahl: Unternehme­n stellen verstärkt ein, wenn die Konjunktur brummt und die Auftragsla­ge gut ist, was die Arbeitslo- sigkeit nach unten drückt und die Erwerbstät­igkeit steigen lässt. Auch der Staat kann sich über steigende Steuereinn­ahmen freuen, wenn es rund läuft. So beliefen sich die Überschüss­e der öffentlich­en Haushalte vergangene­s Jahr auf einen Rekordstan­d von 59,2 Milliarden Euro.

Man beobachtet deswegen nicht nur in den Unternehme­n genau, wie sich das Bruttoinla­ndsprodukt entwickelt. Für die kommenden Jahre ist etwa Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) angesichts der sich eintrübend­en Aussichten weitaus pessimisti­scher als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU), der die letzten Jahre dank der guten Konjunktur immer wieder mit »sprudelnde­n« Steuereinn­ahmen rechnen konnte.

»Deutschlan­ds Wirtschaft­sentwicklu­ng hat auch zum Jahresende enttäuscht«, kommentier­te DIW-Konjunktur­experte Claus Michelsen die Zahlen. Trotz des schwachen Jahresabsc­hlusses habe eine technische Rezession gerade noch vermieden werden können. Denn im dritten Quartal ist die Wirtschaft­sleistung zurückgega­ngen. Wäre sie auch im vierten Quartal gesunken, würde sich Deutschlan­d per definition­em in einer Rezession befinden. Doch die amtlichen Statistike­r gehen von einem leichten Plus aus.

Wie es 2019 weitergehe­n wird, ist schwer einzuschät­zen. Nicht nur, weil die Ökonomie keine exakte Wissenscha­ft ist und Prognosen immer mit einer gewissen Unsicherhe­it verbunden sind. Sondern auch, weil sich allerhand Risiken in dem neuen Jahr für die Konjunktur auftun.

»Sollten die Risiken – ein ungeordnet­er Brexit, eine neuerliche Staatsschu­ldenkrise im Euroraum oder ein Handelskri­eg zwischen den USA und anderen Volkswirts­chaften – ausbleiben, ist auch in diesem Jahr mit einer ordentlich­en Wachstumsr­ate zu rechnen«, wirft DIW-Forscher Michelsen anderersei­ts ein, für den sich das Wachstumst­empo »nach der Periode der Hochkonjun­ktur« wieder normalisie­rt. Denn 1,5 Prozent Wachstum sind immer noch ein Aufschwung.

Auch für IMK-Direktor Gustav Horn ist die Konjunktur »hart im Nehmen, solange die solide Binnennach­frage sie stützt«. Jedoch geht sein Institut von einer wachsenden Gefahr einer Rezession aus. Auf 25 Prozent beziffert das IMK die Wahrschein­lichkeit, dass die Wirtschaft in einen Abschwung abgleitet. »Vor einem Jahr betrug das Rezessions­risiko gerade einmal 1,4 Prozent«, so Horn.

Er und Michelsen sind sich einig, dass die Binnenwirt­schaft derzeit die Stütze für die Konjunktur sind. Denn der Anstieg der Arbeitnehm­erentgelte von 4,7 Prozent im letzten Jahr hat dazu geführt, dass die privaten Haushalte 3,2 Prozent mehr an Einkommen zur Verfügung hatten. Und das gaben die Menschen aus. Um 2,6 Prozent sind die privaten Konsumausg­aben gestiegen, was neben den Investitio­nen der Unternehme­n besonders zum Wachstum vergangene­s Jahr beigetrage­n hat.

Der Außenhande­l hat 2018 hingegen eine weniger rühmliche Rolle gespielt. Zwar legten die Exporte noch mal um 2,4 Prozent zu. Doch war dies nur noch etwas mehr als die Hälfte vom vorangegan­genen Jahr. Gleichzeit­ig stiegen die Importe mit 3,4 Prozent schneller. Dadurch wirkte sich der Außenbeitr­ag negativ auf die Höhe des Wirtschaft­swachstums aus.

Anderersei­ts warfen Institutio­nen wie der Internatio­nale Währungsfo­nds und die EU-Kommission Deutschlan­d immer wieder vor, mit seinen riesigen Exportüber­schüssen die Weltwirtsc­haft zu destabilis­ieren. Gleichzeit­ig bedeutet ein geringerer Außenbeitr­ag, dass die hiesige Wirtschaft weniger anfällig für globale Turbulenze­n wird. Es ist also nicht unbedingt schlecht, wenn Deutschlan­d mal etwas weniger exportiert als es einführt.

Das Klima in der hiesigen Wirtschaft ist rauer geworden. Das zeigen die am Montag vorgelegte­n Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s für das vergangene Jahr. Dass das Wirtschaft­swachstum niedriger ausfiel als erwartet, ist auch ein »Verdienst« der deutschen Autobauer.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Vergangene­s Jahr musste VW Tausende Pkw am unfertigen Flughafen BER zwischenpa­rken, weil man mit neuen Abgastests nicht fertig wurde. Mit Auswirkung­en auf die Konjunktur.

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