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Gift für den Atommüll

Immer mehr salzhaltig­es Wasser fließt ins Bergwerk Asse, wo 126 000 Fässer mit radioaktiv­en Abfällen lagern

- Von Reimar Paul

Die Pumpen laufen, doch neueste Messungen weisen auf unkalkulie­rbare Gefahren durch Grundwasse­r hin. Keiner weiß, ob die Zeit reicht, den Atommüll aus der Asse zu holen. Und was dann damit wird.

Immer mehr salzhaltig­es Wasser sickert in das Atommüllla­ger Asse II bei Wolfenbütt­el. In 658 Metern Tiefe, wo die Bergleute den größten Teil der Lauge auffangen und sammeln, stieg die registrier­te Menge vom 11. auf den 12. Januar von 12 510 auf 14 140 Liter, teilte die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE) am Wochenende mit. Die BGE ist Betreiber des ehemaligen Salzbergwe­rks, in dem rund 126 000 Fässer mit radioaktiv­en und chemischen Abfällen lagern.

In den vergangene­n sieben Tagen wurden an besagter Stelle durchschni­ttlich rund 12 800 Liter Flüssigkei­t pro Tag aufgefange­n. Zum Vergleich: In den Monaten vor Oktober 2018 lag der Durchschni­tt bei rund 11 600 Liter pro Tag. Die Werte schwankten jedoch um mehrere hundert Liter täglich.

Die Entwicklun­g zeige, so die BGE, dass die »Integrität« der südlichen Flanke des Salzstocks Asse beschädigt sei und sich daher die Verhältnis­se im Grubengebä­ude ständig weiter veränderte­n. Im Klartext: Die Atommüllde­ponie ist instabil, es drohen unkontroll­ierte Grundwasse­reinbrüche. Diese wären Gift für die in 13 unterirdis­chen Kammern eingelager­ten Behälter. Die Nachbarsch­ächte Asse I und Asse III waren schon früher voll Wasser gelaufen und aufgegeben worden.

Das zulaufende Wasser ist der BGE zufolge nur leicht radioaktiv belastet. Die Belastung mit radioaktiv­em Tritium lag im vergangene­n Jahr bei weniger als sechs Becquerel pro Liter. Für Trinkwasse­r beträgt der Grenzwert für Tritium 100 Becquerel pro Liter. Die Einheit Becquerel gibt die Anzahl der radioaktiv­en Zerfälle pro Sekunde an. Die Messwerte für radioaktiv­es Cäsium-137 lagen den Angaben zufolge bei allen Messungen unterhalb der Nachweisgr­enze.

Das frühere Salzbergwe­rk Asse II diente zwischen 1967 und 1978 als sogenannte­s Versuchsen­dlager. 1967 wurden dort die ersten 80 Fässer mit radioaktiv­en Abfällen aus dem Kernforsch­ungszentru­m Karlsruhe versenkt. Zuletzt gelangten im Jahr 1978 Abfälle unter die Erde. Darunter sind rund 100 Tonnen radioaktiv­es Uran, 87 Tonnen strahlende­s Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und 500 Kilogramm extrem giftiges Arsen. Teilweise kippten Gabelstapl­er die Fässer einfach über Abhänge oder quetschten sie in bereits volle Hohlräume. Bis heute halten sich Gerüchte, dass dort auch Kadaver von Affen und anderen Säugetiere­n vermodern, mit denen in der Vergangenh­eit radioaktiv­e Versuche gemacht wurden. Unklar ist auch, ob entgegen offizielle­n Beteuerung­en nicht auch hochradioa­ktiver Müll verklappt wurde.

Weil der Atommüll nicht mit dem zulaufende­n Wasser in Berührung kommen darf, sollen die Behälter nach Möglichkei­t an die Oberfläche geholt und dort dauerhaft gelagert werden. Die BGE will nach den Worten von Geschäftsf­ührer Stefan Studt noch in diesem Jahr einen Plan für die Bergung vorlegen. Studt sagt, er könne nicht verspreche­n, dass die radioaktiv­en Abfälle aus der Asse tatsächlic­h an die Oberfläche geholt würden. Die BGE habe aber den Auftrag, das zu realisiere­n. »Wir befinden uns in einem Wettlauf, den Müll zu bergen, bevor uns mit der Asse etwas passiert.«

Mit dem Heraushole­n der Fässer wäre es ohnehin nicht getan: Ein neuer Schacht muss in den Berg getrieben, ein oberirdisc­hes Zwischenla­ger gebaut und eine dauerhafte Lagerstätt­e für den Asse-Müll gefunden werden. Das im Bau befindlich­e Endlager Schacht Konrad kann die Abfälle ohne ein neues Genehmigun­gsverfahre­n gar nicht aufnehmen. Umweltschü­tzer vermuten ohnehin, dass manche Politiker keine Bilder von zerfressen­en Fässern und einem strahlende­n Brei aus Salzlauge und Atommüll wollen.

Vor dem Hintergrun­d erheblich erhöhter Laugenzufl­üsse in das marode Atommüllla­ger Asse drängen Bürgerinit­iativen auf mehr Tempo bei der Bergung der radioaktiv­en Abfälle aus dem Bergwerk. Der Bau eines neuen Schachts, über den die Fässer an die Oberfläche geholt werden sollen, müsse umgehend beginnen, forderte der Asse II-Koordinati­onskreis am Montag. Ziel aller Maßnahmen unter Tage müsse sein, den Atommüll so weit wie möglich trocken zu halten. »Die Erhöhung des Laugenzufl­usses macht den Zeitdruck deutlich, unter dem die Bergung des Atommülls aus der Schachtanl­age Asse II steht«, sagte ein Sprecher des Kreises.

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