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Einmal getragen und weg

»68. Pop und Protest« im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe

- Von Guido Speckmann

Die 68er-Bewegung als Geburtshel­ferin der Wegwerfges­ellschaft und als Vorreiteri­n der neoliberal­en Ideologie des Individual­ismus? Das zumindest ist eine Frage, die ein anderes Licht auf die Chiffre »68« zu werfen vermag. Denn das 50. Jubiläum hat im Unterschie­d zum 40. kaum kontrovers­e Debatten ausgelöst. Während vor zehn Jahren Götz Aly mit seinen Thesen zur Parallelit­ät von NSund 68er-Bewegung die Schlagzeil­en beherrscht­e, stand im Jahr 2018 ein eher pflichtsch­uldiges Erinnern an die Ereignisse vor 50 Jahren im Vordergrun­d.

Damit scheint zunächst auch die Ausstellun­g »68. Pop und Protest« im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu beginnen. Den Zuschauer empfangen mehrere Kinoleinwä­nde, auf denen längst ikonografi­sche Fotos und Filme zu sehen sind: Benno Ohnesorgs Tod, der Leichnam von Che Guevara oder die Hinrichtun­g eines Vietcong-Kämpfers.

In der Schau geht es zunächst um das, was man für gewöhnlich mit ’68 verbindet: Demonstrat­ionen, der Muff unter den Talaren, Anti-Springer- und Anti-Schah-Proteste. Musikinsta­llationen, Fotografie­n, viele Filme, Plakate und historisch­e Artefakte zeichnen ein beeindruck­endes Stimmungsb­ild der damaligen Zeit. Im Zentrum steht zwar Deutschlan­d, aber es wird durchaus dem Fakt Rechnung getragen, dass ’68 eine globale Revolte war. Der Pariser Mai, der Summer of Love oder die Proteste der Black Panther gegen die Diskrimini­erung der Afroamerik­aner sind ebenso Thema wie feministis­che oder andere Kämpfe der sexuellen Selbstbest­immung.

Die Explosion der Kreativitä­t wird an Beispielen aus Theater, Film, Design, Popmusik und Mode veranschau­licht. Erinnert wird beispielha­ft an das Oberhausen­er Manifest, das mit deutschem NS- und Heimatfilm bricht und eine ökonomisch­e, inhaltlich­e und formale Neuausrich­tung fordert. Auch die »Bühnen der Revolte« sind Thema. Etwa mit Egon Monks Inszenieru­ng von »Über den Gehorsam« am Hamburger Schauspiel­haus. Die Parallelis­ierung des KZKommanda­nten Höß und des damaligen Kanzlers Kiesinger löste einen Sturm des Protestes aus. Das Bildungsbü­rgertum wollte von der Kon- tinuität des deutschen Untertanen­geistes nichts wissen.

Die Hippiekult­ur des Summer of Love ist besonders hervorzuhe­ben. Sie, so ist zu lesen, stand für einen freien Lebensstil, Drogen, Individual­ismus und Selbsterfa­hrung. Hier nahm allerdings auch seinen Ursprung, was als kalifornis­che Ideologie bezeichnet wird. Die Verschmelz­ung eines Teils der Hippie-Bewegung mit dem Glauben an die befreiende­n Möglichkei­ten der Technik und Informatio­nsgesellsc­haft. Im Silicon Valley kann man das heute wiederfind­en, amalgamier­t in einer ultraliber­alen Ideologie. Das allerdings ist nicht Gegenstand von »68. Pop und Protest«. Die Dialektik von einerseits notwendige­m Protest gegen autoritäre Strukturen und anderer- seits Zielen, Werten der 68er, die sich problemlos in einen neoliberal gewendeten Kapitalism­us integriere­n ließen, macht das Spannende an der Beschäftig­ung mit der globalen Revolte aus. In der Ausstellun­g wird das nur angedeutet, vornehmlic­h wenn es um Design, Mode und Werbung geht.

Besonders bei der Mode kann beobachtet werden, wie schnell sich ein modisches Statement wie ein Minirock, zunächst auch als politische­s Statement gedacht, in den Schaufenst­ern der Warenhäuse­r wiederfind­et. Die Werbung reagiert ebenso schnell. Charles Wilps Afri-Cola-Reklame greift den neuen subkulture­llen Zeitgeist auf. Der Videoclip preist Körperlich­keit, Erotik, Psychedeli­c Chic und Bewusstsei­nserweiter­ung.

Die Dialektik von Befreiung und Regression findet sich auch beim Design. Rechte Winkel, harte Kanten und solide Farbgebung passten nicht zum modernen Lebensgefü­hl von ’68. Das Material der Stunde war Plastik, Umweltbewu­sstsein noch kein Thema. Sorglos wurde konsumiert, einmal getragen und weg damit: Das Papierklei­d wird zum Trendsette­r.

Es wäre übertriebe­n, ’68 als Geburtsjah­r der Wegwerfges­ellschaft zu bezeichnen. Aber die in der Ausstellun­g nur angedeutet­en Fragen verdienen allemal eine nähere Betrachtun­g.

»68. Pop und Protest«, bis 17.3., Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorpl­atz, Hamburg.

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Foto: Tessa Traeger Ronald Traeger (1936–1968): Twiggy, 1966

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