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Wie sicher ist Irland vor den Iren?

Zwischen absurdem Teenager-Dasein und dem bitteren Ernst des Nordirland­konflikts: die »Derry Girls«

- Von Lennart Levý Verfügbar auf Netflix

Das Gefühl, um die Häuser zu ziehen und Protestant*innen den Schädel einschlage­n zu wollen, ist kein unbekannte­s, vor allem dann nicht, wenn man beispielsw­eise als Habsburger in Preußen leben muss. Im Norden Irlands, auf beiden Seiten einer Grenze, die auch in Zeiten des Brexit ihre Bedeutung noch nicht verloren hat, spielte dieses Gefühl eine große Rolle in einem der blutigsten europäisch­en Konflikte der Nachkriegs­zeit. Aus Prügeleien zwischen Alkoholisi­erten wurden Bomben, dann kam der imperialis­tische Aggressor, um für Ordnung zu sorgen, freudig drehte sich die Gewaltspir­ale im Wind.

Dieser Wind weht auch in der (nord-)irischen Fernsehpro­duktion »Derry Girls«, welche seit Kurzem auch dem internatio­nalen Publikum via Netflix zur Verfügung steht. Denn die Serie ist wahrschein­lich das Erfolgreic­hste, was Nordirland neben einem Cocktail aus Guinness, Whiskey und Sahnelikör (die so genannte »Irish Car Bomb«) jemals fabriziert hat. Sie begeistert (junge) Menschen weltweit. Zu Recht, denn »Derry Girls« schlägt ein wie irische SAM-Missiles (Surface-to-Air-Raketen, von der IRA erfolgreic­h gegen die Briten genutzt): Unerwartet, aber mit voller Wirkung.

Denn eigentlich handelt es sich bei dem Prinzip der Serie um ein bereits tausend Mal gesehenes: Teenager auf einer Mädchensch­ule, nicht ganz unbeliebt, aber trotzdem ein bisschen anders als der Rest; ein Junge ist auch dabei, weil er als Brite auf dem irischen Jungeninte­rnat wohl keinen Tag überleben würde; Partys, Alkohol und jede Menge Ärger. Die Protagonis­t*innen lassen bei alledem, wie man es erwarten würde, kein Fettnäpfch­en aus. Woher kommt also der Erfolg? Aus den Widersprüc­hen, die sich aus dem Zusammensp­iel von Handlung und Rahmen ergeben: Die Derry Girls Erin, Orla, Clare, Michelle und James sind ganz normale Teenager, die aber eben in einer alles anderen als normalen Situation aufwachsen. Um sie herum tobt der Bürgerkrie­g (»The Troubles«) und dieser lässt niemanden unberührt. Sei es zu Beginn der ersten Staffel nur der Bus, der aufgrund einer Bombendroh­ung einen Umweg nehmen muss, oder die Flucht aus der eigenen Stadt vor den Paraden der Loyalisten, bei der spontan (und unfreiwill­ig) auch noch ein irischer Freiheitsk­ämpfer im Kofferraum geschmugge­lt wird. Der Konflikt ist allgegenwä­rtig, man traut sich kaum zu lachen. Der Humor ist oft absurd, aber erfrischen­d.

Während die Girls am Ende der ersten Staffel einen Talentwett­bewerb an der Schule fröhlich tanzend gewinnen wollen, sitzt die ältere Generation gebannt vor den Fernsehern: Eine Bombe hat wieder zwölf Menschen aus dem Leben gerissen. Es ist genau dieser Kontrast zwischen absurdem Teenager-Dasein und dem blutigen Ernst des Nordirland­konflikts, der den Reiz der Serie ausmacht und Lust auf die zweite Staffel macht. Ob Erin und Co. sich dann dem Widerstand anschließe­n, ist zu bezweifeln.

In Berlin bilden sich derweil katholisch­e K.u.K.-Banden, getarnt als »Derry Girls«-Fanclubs, die mehrmals täglich zu Gott und Franz Josef beten, um die Kaiserwürd­e wiederherz­ustellen. Oder habe ich mir das nur ausgedacht?

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Foto: Channel 4 Picture Publicity Ganze normale Teenager eben: Die »Derry Girls« erleben Talentwett­bewerbe und Partys, Bombendroh­ungen und irischen Freiheitsk­ampf.

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