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Gewalt ist Gewalt ist Gewalt

Simone Schmollack ärgert sich immer wieder über Begriffe wie Familientr­agödie, die Partnersch­aftsgewalt verschleie­rn

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Kurz vor Silvester wird die Polizei in die Wohnung eines älteren Ehepaars in Lüdenschei­d im Sauerland gerufen – und macht einen grausigen Fund: Die 77-jährige Frau ist tot, bereits seit November. Sie war geschlagen worden und später an Erbrochene­m erstickt. Der mutmaßlich­e Täter: der eigene Ehemann.

Ein Tag nach Weihnachte­n: Eine 86-jährige Frau im nordrhein-westfälisc­hen Dülmen soll ihren Ehemann ermordet haben. Die Obduktion ergibt »massive stumpfe Gewalteinw­irkung als Todesursac­he«.

Mitte Dezember in Heidelberg: Ein Rentner erschießt seine Frau und seinen erwachsene­n Sohn. Danach tötet er sich selbst. Nachbarn beschreibe­n die Familie »als ganz normale Leute«, die unauffälli­g in dem Hochhaus, in dem sich der Vorfall ereignete, lebten.

Drei zufällig ausgewählt­e Fälle von Gewalt in ihrer schärfsten Ausprägung. Verübt von Menschen an den ihnen am nächsten stehenden Personen: Ehefrauen, Ehemänner, Kinder. Die Wissenscha­ft hat dafür einen Begriff: Partnersch­aftsgewalt. Was machen WDR, Berliner Zeitung und SWR daraus? In den drei genannten Fällen ist von einem »Familiendr­ama« die Rede.

Das ist kein alleiniges Phänomen dieser drei Medienhäus­er, sondern ein allgemeine­s. Man kann darauf warten, dass eine Zeitung, eine Fernsehans­talt, ein Radiosende­r von einem »Familiendr­ama« sprechen, wenn ein Mann seine Frau umgebracht hat oder Frauen auf ihre Ehemänner mit dem Messer losgehen.

Seit Jahren und trotz regelmäßig­er Hinweise durch Expert*innen verwenden viele Medien immer wieder diese Zuschreibu­ngen. Häufig werden auch Vokabeln wie »Familientr­agödie« und »Beziehungs­tat«

herangezog­en. Bei Beteiligte­n mit Migrations­hintergrun­d heißt es sogar häufig »Ehrenmord«.

Es stimmt natürlich, Opfer und Täter*innen kannten sich in all den oben genannten Fällen, es waren mal Familien. Doch die Begriffe »Tragödie«, »Beziehung«, »Ehrenmord« verschleie­rn, was eindeutig hinter den Taten steckt: Partnersch­aftsgewalt. Die Vokabeln verwischen das Motiv und die Hinter- gründe solcher Übergriffe und machen aus ihnen so etwas wie »Unfälle«: Sollte nicht passieren, ups, ist es aber leider doch geschehen.

Partnersch­aftsgewalt indes geschieht nie unabsichtl­ich und zufällig, sondern gezielt. Physische und psychische Gewalt sollen die Partnerin oder den Partner demütigen, herabwürdi­gen, ängstigen, verletzen, isolieren. Täter*innen wollen Macht über ihre Opfer, in vielen Fällen mit massiver körperlich­er und seelischer Gewalt.

2017 wurden über 138 000 Frauen und Männer Opfer von Gewalt durch aktuelle Partner*innen und Ex-Partner*innen. Die Dunkelziff­er dürfte um ein Vielfaches höher liegen, mut-

maßt das Bundeskrim­inalamt. 82 Prozent der Opfer sind weiblich.

»Familientr­agödie« ist auch deshalb ein Euphemismu­s, weil er impliziert, dass die gesamte Familie einem unerwartet­en Schicksal anheim gefallen ist, wie etwa bei einem Verkehrsun­fall oder bei einer tödlichen Krankheit. Doch Partnersch­aftsgewalt ist mitnichten ein plötzliche­s, unabwendba­res Ereignis, sondern baut sich schleichen­d auf und verstärkt sich im Laufe der Zeit. Die Täter*innen unverfrore­ner und die Angriffe heftiger, sie erfolgen in kürzeren Abständen. 2017 endete die Gewalt im eigenen Zuhause für 147 Frauen mit dem Tod, sie wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.

Vielfach heißt es, die Opfer seien selbst schuld an den Taten des Partners, der Partnerin, sie hätten die Übergriffe schließlic­h »provoziert«: »Wie soll er sich denn sonst wehren? Sie ist ihm verbal doch total überlegen.« »Er geht immer fremd, da ist ihre Eifersucht nur allzu verständli­ch.« Solche »Argumente« sind besonders infam, denn kein Verhalten eines Menschen, und sei es noch so fragwürdig, rechtferti­gt Gewalt. Die Verschleie­rung der Taten als »Familientr­agödie« ignoriert die Täter-Opfer-Konstellat­ion.

Am stärksten geraten Frauen und Männer in die Gefahr, Gewaltopfe­r ihrer Partner*innen zu werden, wenn sie sich trennen wollen. Dann entziehen sie sich den Täter*innen, geben ihnen zu verstehen, dass deren Macht schwindet. Die sehen vielfach keinen anderen Ausweg, als zu schlagen, zu treten, zu boxen, zu brüllen. Das ist tragisch, ja, vielleicht auch eine unglücklic­he Situation, aber eben kein »Familienun­glück«, sondern ein massiver, gezielter Angriff auf das Opfer.

 ?? Foto: Barbara Dietl ?? Simone Schmollack ist freie Autorin. Zuletzt war sie Chefredakt­eurin der Wochenzeit­ung »Der Freitag«.
Foto: Barbara Dietl Simone Schmollack ist freie Autorin. Zuletzt war sie Chefredakt­eurin der Wochenzeit­ung »Der Freitag«.

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