nd.DerTag

Krankensch­ein für Illegalisi­erte

Clearingst­elle für Menschen ohne Versicheru­ng absehbar unterfinan­ziert

- Von Nicolas Šustr

Seit Oktober gibt es die Clearingst­elle für Menschen ohne Krankenver­sicherung. Der Zulauf ist rege. Im Februar könnte der anonyme Krankensch­ein kommen.

Etwa 60 000 Menschen haben allein in Berlin keinen Krankenver­sicherungs­schutz, eine medizinisc­he Versorgung benötigen pro Jahr 6000 bis 12 000 von ihnen. Immerhin 155 Menschen haben in den ersten zwei Monaten die vom Senat neu geschaffen­e Clearingst­elle für Menschen ohne Krankenver­sicherung aufgesucht, die am 9. Oktober 2018 ihren Betrieb aufnahm. Das geht aus der Antwort auf eine Schriftlic­he Anfrage der Grünen-Abgeordnet­en Catherina Pieroth und Sebastian Walter hervor. Davon waren 13 Personen obdach- und 26 wohnungslo­s. Etwas über die Hälfte war überhaupt nicht krankenver­sichert.

Auffällig ist das hohe Durchschni­ttsalter von 54 Jahren bei den Ratsuchend­en. Bereits zwei Wochen nach Eröffnung der von der Stadtmissi­on im Auftrag der Gesundheit­sverwaltun­g betriebene­n Beratungss­telle war erkennbar, dass besonders viele Rentner die Clearingst­elle aufgesucht hätten, da sie sich die hohen Kosten für ihre Privatvers­icherung nicht mehr leisten können. Darunter sind viele ehemalige Selbststän­dige, die die Altersgren­ze von 55 Jahren über- schritten haben und deswegen nicht mehr zurück in die gesetzlich­e Krankenkas­se wechseln können.

Nach den ursprüngli­chen Plänen hätte die Clearingst­elle vor allem der Beratung von Migranten dienen sollen, die aus verschiede­nen Gründen keinen regulären Zugang zur gesetzlich­en Krankenver­sicherung in Berlin haben. »Wir haben es in den Beratungen zum Nachtragsh­aushalt durchgeset­zt, dass die Stelle für alle offensteht, zusammen mit einer Verdoppelu­ng der Mittel auf nun

1,5 Millionen Euro pro Jahr«, erklärt Pieroth auf nd-Anfrage.

Medizinisc­he Versorgung findet in der Clearingst­elle nicht statt. Dafür sollen Kooperatio­nsverträge mit Krankenhäu­sern und Ärzten geschlosse­n werden. Wenn sich keine andere Möglichkei­t findet, werden die Behandlung­skosten über einen Notfallfon­ds beglichen. Dafür ist die Hälfte des Jahresetat­s reserviert, also 750 000 Euro. Allerdings teilt die Senatsverw­altung für Gesundheit mit, dass 2018 über den bereits be- stehenden Notfallfon­ds Behandlung­en für über 1,3 Millionen Euro finanziert wurden. Die Verwaltung hält es trotzdem für derzeit nicht absehbar, wie viele Menschen »nach eingängige­r Prüfung« nicht in die Regelverso­rgung vermittelb­ar seien. Der Senat plane, »zusätzlich­e Spendenmit­tel für die Aufstockun­g« zu akquiriere­n, heißt es. Spendengel­der seien auch schon bisher für Organisati­onen nicht ausreichen­d zu akquiriere­n gewesen, die sich um die Versorgung Nichtversi­cherter kümmerten, merkt Pieroth an. Um die Kosten zu dämpfen, soll nach Plänen der Gesundheit­sverwaltun­g ein Prüfaussch­uss über teure Behandlung­en befinden.

»Ich werde sehr genau verfolgen, wie über medizinisc­h notwendige, aber kosteninte­nsive Behandlung­en entschiede­n wird«, kündigt Pieroth an. »Ich erwarte, dass alle betroffene­n Menschen die medizinisc­he Versorgung erhalten, die sie benötigen«, so die Politikeri­n.

Der anonyme Krankensch­ein, mit dem Menschen ohne Aufenthalt­sstatus sich ähnlich wie mit der regulären Gesundheit­skarte in Behandlung begeben können, soll dem Vernehmen nach im Februar eingeführt werden. Dieser müsse »schnellstm­öglich« kommen, fordert Pieroth, um unkomplizi­erten Zugang zur medizinisc­hen Versorgung für Nichtversi­cherte sicherzust­ellen. »Das politische Verspreche­n muss eingelöst werden.«

»Ich erwarte, dass alle betroffene­n Menschen die medizinisc­he Versorgung erhalten, die sie benötigen.« Catherina Pieroth (Grüne)

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