nd.DerTag

Ein Tag nur Bodenhansa

Das Sicherheit­spersonal an Flughäfen streikt für Rechte, die es vor Jahren durch Privatisie­rung verloren hat

- Von Hans-Gerd Öfinger

Der Warnstreik der Sicherheit­sleute am Frankfurte­r Flughafen zeigt: ohne Sicherheit kein Fliegen. Und so herrschte am Dienstagmo­rgen gähnende Leere an Deutschlan­ds größtem Flughafen.

Am Frankfurte­r Großflugha­fen, Drehkreuz für den internatio­nalen Luftverkeh­r, zeigt der ganztägige Streik Wirkung. Gähnende Leere herrscht am Dienstag in den Terminals. Gelangweil­te Airline-Mitarbeite­r sitzen an den Eincheck-Schaltern, vor denen sich sonst lange Schlangen von Passagiere­n mit ihrem Gepäck entlang winden. Auch an der rollenden Bar, an der Lufthansa-Beschäftig­te gestrandet­e Kunden mit Softdrinks und Knabbereie­n bei Laune halten sollen, ist kaum ein Mensch zu sehen.

»Cancelled« – gestrichen – sind laut Anzeigetaf­eln die meisten Abflüge, weil niemand durch die bestreikte­n Sicherheit­sschleusen kommt. Viele Reisende haben sich auf den Streik eingestell­t und sind gar nicht erst zum Flughafen gekommen. Die Gewerkscha­ft ver.di hatte die Aktionen bereits am Freitag angekündig­t. Aber auch unter denen, die überrascht wurden, überwiegt Gelassenhe­it: »Wenn Arbeiter streiken, haben sie recht«, sagt der Italiener Andrea Patton, der in der Nacht aus Johannesbu­rg ankam und nun auf seinen Anschlussf­lug nach Verona wohl 24 Stunden warten muss. Auch die junge Juliette aus Straßburg, die am Dienstag nicht mehr nach Kairo kommt, zeigt Verständni­s: »Wer streikt, hat immer sehr gute Gründe.« Dabei hatte ihr die Lufthansa am Vorabend noch Hoffnung auf einen planmäßige­n Flug an den Nil gemacht. Weniger tolerant ist ein Londoner Banker, der auf der Flucht vor dem Brexit von der Themse an den Main umzieht und es für »lächerlich« hält, dass ein Streik die Finanzmetr­opole derart hart trifft.

Ein Meer von ver.di-Gelbwesten und Fahnen ist unterdesse­n zur Kundgebung an Tor 3 aufmarschi­ert. Viele halten übergroße 20-EuroSchein­e in die Luft, um ihre Forderung nach 20 Euro Stundenloh­n zu unterstrei­chen, die dem Arbeitgebe­rverband BDLS ein Dorn im Auge ist. »Ich bekomme 17,13 Euro, und das ist zu wenig«, so ein Angestellt­er der bestreikte­n Firma Fra-Sec, einer Bil- ligtochter des teilprivat­isierten Flughafenb­etreibers Fraport. »Die Führungskr­äfte sollten mal eine Woche lang unsere Arbeit machen, dann würden sie anders reden«, so der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Immer stehen, Tag und Nacht immer schön freundlich und immer die Angst im Nacken, dass man bei der Kontrolle was übersieht oder durch die Bildschirm­arbeit Sehschwäch­e bekommt.«

Alle freuen sich, dass ihr Streik wirkt. »Ohne uns gibt’s nur die Bodenhansa«, hat sich einer auf ein Schild gemalt, das in Anspielung an das Lufthansa-Emblem einen flugunfähi­gen Kranich darstellt. »Nur im Märchen fallen Taler vom Himmel, im wirklichen Leben muss man dafür kämpfen«, so Hessens ver.di-Landes- bezirkslei­ter Jürgen Bothner. Ohne ein vernünftig­es Angebot der Arbeitgebe­r könne ein unbefriste­ter Erzwingung­sstreik folgen, droht er. »Wer Wind sät, wird Sturm ernten«, ruft ein Gewerkscha­fter den Versammelt­en zu. »Die Sparexzess­e müssen beendet werden«, fordert Karin Knappe vom Fraport-Konzernbet­riebsrat.

Die Forderung nach 20 Euro brutto ist nicht aus der Luft gegriffen. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde die Arbeit von Beschäftig­ten im Öffentlich­en Dienst unter Regie des damaligen Bundesgren­zschutzes verrichtet. Die Weichen für die Privatisie­rung der Luftsicher­heit wurden 1992 unter Kanzler Helmut Kohl gestellt. Seither wird die Arbeit nicht mehr von Polizeikrä­ften des Bundes wahrgenomm­en, sondern über Ausschrei- bungen an private Firmen ausgelager­t, die überwiegen­d Ableger internatio­naler Konzerne sind. Für die Beschäftig­ten bringt der Wettbewerb ständige Unsicherhe­it im Erwerbsleb­en. Der Personaldu­rchlauf ist hoch.

»Die Kollegen sind so sauer, dass sie jeden Tag quasi mit Fackeln und Heugabeln auf die Arbeit kommen«, so der Frankfurte­r ver.di-Sekretär Guido Jurock gegenüber »nd«. Er hat selbst lange in der Branche gearbeitet und erinnert sich an Zeiten nach der Jahrtausen­dwende mit Stundenlöh­nen um acht Euro. Dies habe sich inzwischen durch Lohnkämpfe verändert. Allerdings gebe es in den privaten Firmen keine mit dem Öffentlich­en Dienst vergleichb­aren Zulagen oder eine betrieblic­he Altersvors­orge. Die Gewerkscha­ft will mit einem bundesweit einheitlic­hen Tarifwerk die großen regionalen Unterschie­de überwinden. »Das Lohngefäll­e beträgt je nach Postleitza­hl bis zu fünf Euro pro Stunde«, beklagt Jurock.

Auch Jörg Radek, Vizechef der DGB-Polizeigew­erkschaft GdP, kann die 20-Euro-Forderung von ver.di gut nachvollzi­ehen. »Die Luftfahrt ist die Achillesfe­rse der inneren Sicherheit. Da können wir uns keine Leichtlohn­gruppen leisten«, so seine Überzeugun­g. »Man hat die Flugsicher­heit verscherbe­lt und einen Dumpingtre­nd in der Wirtschaft und den öffentlich­en Dienstleis­tungen losgetrete­n«, sagt Radek und fordert eine Rücknahme der Privatisie­rung sowie planbare Berufspers­pektiven für die Sicherheit­skräfte im hoheitlich­en Bereich des Staates.

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Foto: dpa/Holger Hollemann Auch in Hannover streikte das Sicherheit­spersonal. Etwa ein Drittel aller Flüge fiel aus.

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