Der Ausgestoßene
Enes Kanter legt sich oft mit Recep Tayyip Erdogan an. Seinem NBA-Team wird er auf einer Europareise fehlen
Basketballer Enes Kanter warnt, er könnte wegen seiner Kritik am türkischen Präsidenten getötet werden. Daher verzichtet er auf eine Reise mit seinem NBA-Team nach Europa.
Auf dem NBA-Parkett scheut Enes Kanter keinen Konflikt, auch abseits der Arenen legte sich der Basketballstar aus der Türkei lange furchtlos mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan an. Doch nun warnt der 2,11-Meter-Riese: »Es besteht die Möglichkeit, dass ich getötet werde«, sagt der 26-Jährige. Kanter verzichtet deswegen auf eine Reise aus den USA nach London. In der englischen Metropole treffen seine New York Knicks am Donnerstagabend in einem Pflichtspiel auf die Washington Wizzards.
Medienberichten zufolge fordert die Generalstaatsanwaltschaft in Istanbul die Auslieferung Kanters. Zudem soll er auf die internationale Fahndungsliste von Interpol gesetzt werden, berichtete die regierungsnahe Zeitung »Sabah« am Dienstag. Grund sei ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Kanter teilte den Bericht auf Twitter und schrieb: »Ich habe keine Angst vor Euch.« Ein Gericht muss den Antrag der Staatsanwaltschaft noch annehmen.
Seine Oppositionshaltung zu Erdogan bereitet Kanter schon lange Probleme. »Traurigerweise kann ich nicht dorthin reisen wegen diesem verdammten Wahnsinnigen, dem türkischen Präsidenten«, sagte Kanter. Seit 2017 ist er nach Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit staatenlos. Auch Visaprobleme verhindern daher den Trip nach London, teilten die Knicks mit. »Es ist traurig, dass all das Zeug meine Karriere und den Basketball beeinflusst, weil ich da draußen sein und meinem Team zum Sieg verhelfen will.« Mit durchschnittlich fast 15 Punkten und elf Rebounds ist der Center ein Leistungsträger New Yorks.
Kanter nannte Erdogan einen »Diktator«. Er selbst ist Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den die türkische Regierung für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich macht. Die Gülen-Bewegung gilt in der Türkei als Terrororganisation. Bis zum öffentlichen Bruch 2013 waren Gülen und Erdogan Verbündete.
»Für den Willen Gülens würde ich meine Mutter, meinen Vater und meine ganze Familie opfern. Meine Liebe für Gülen ist größer als die Liebe für meine Eltern und meine Geschwister«, schrieb Kanter 2016. Zuvor hatte ihn seine Familie verstoßen. »Ich habe Enes gewarnt, aber er hat einfach nicht aufgehört, Tweets gegen den Präsidenten zu schreiben«, teilte Vater Mehmet Kanter einst in einem Brief mit.
Von einer »politischen Diffamierungskampagne gegen die Türkei« durch Kanter schreibt indes Hidayet Türkoglu, 15 Jahre lang selbst Profi in der NBA. Türkoglu gilt als Freund Erdogans, sein Angriff überrascht wenig. Türkoglu und Kanter gehörten einst gemeinsam zum Kader der Nationalmannschaft. Seit 2015 wird Kanter allerdings nicht mehr eingeladen. Offizieller Grund: Er soll 2015 Anrufe des damaligen Trainers nicht beantwortet haben. Kanter sieht das ganz anders und sagte: »Es gibt nur einen einzigen Grund: Ich wurde wegen meines Glaubens und meiner politischen Ansichten ausgeschlossen.«
Aufgrund seiner Äußerungen über die politischen Verhältnisse in der Türkei und Erdogan persönlich soll Kanter, der seit 2011 in der NBA mehr als 550 Spiele absolviert hat, nach eigenen Angaben schon Morddrohungen erhalten haben. Nachprüfen ließ sich das bislang nicht. So bleibt auch fraglich, ob die Furcht vor einem Anschlag wirklich gerechtfertigt ist. Auf Mordkampagnen gegen Regierungskritiker im Ausland gibt es jedenfalls keine konkreten Hinweise.
Der türkische Geheimdienst MIT hat allerdings 2016 damit begonnen, angebliche Gülen-Anhänger in die Türkei zurückzubringen – bisher vor allem aus Ländern mit wackligen Rechtssystemen oder aus befreundeten Staaten in der Region. Die Umstände blieben oft im Dunkeln, auch wenn die Türkei die »Rückkehr« mancher Betroffener mitunter vermeldet. Von Deutschland und anderen Ländern fordert die Türkei die Auslieferung von angeblichen Gülenisten über die regulären Kanäle. So nun offenbar auch bei Kanter.