nd.DerTag

Alexis statt Alexander

Griechisch­er Premier Tsipras gewinnt Vertrauens­abstimmung im Mazedonien-Streit

- Ais

Berlin. Alexander dem Großen wird nachgesagt, aus dem vormaligen Kleinstaat Makedonien im 4. Jahrhunder­t vor unserer Zeit ein Weltreich geschaffen und das Zeitalter des Hellenismu­s begründet zu haben, in dem sich die griechisch­e Kultur über weite Teile der damals bekannten Welt ausbreitet­e. Die Folgen der Eroberungs­züge Alexanders wirken bis heute nach – selbst bis nach Athen, wo sich Ministerpr­äsident Alexis Tsipras am Mittwochab­end einem Misstrauen­santrag stellen musste. Mit 151 Stimmen der 300 Abgeordnet­en im griechisch­en Parlament hat der SYRIZA-Politiker die Vertrauens­abstimmung knapp gewonnen. Tsipras hatte diese selbst gestellt, nachdem am Wochenende der Koalitions­partner, die Unabhängig­en Griechen (ANEL), wegen des Kompromiss­es im Namensstre­it um Mazedonien die Regierung verließ. SYRIZA verfügt nur über 145 Sitze und will nun in einer Minderheit­sregierung bis zu den anstehende­n Parlaments­wahlen im Oktober weiterregi­eren.

Bei der Vertrauens­abstimmung votierten auch sechs parteifrem­de Parlamenta­rier für Tsipras, zwei vom alten Koalitions­partner ANEL sowie vier unabhängig­e Abgeordnet­e. Das Parlament habe für »Stabilität« gestimmt und dafür, die »internatio­nale Glaubwürdi­g- keit des Landes wiederherz­ustellen«, sagte Tsipras nach dem gewonnenen Votum am Mittwochab­end.

Nach dem erfolgreic­hen Vertrauens­votum will Tsipras nun in Kürze die Vereinbaru­ng über die Umbenennun­g des Nachbarlan­des in »Republik Nord-Mazedonien« im Parlament zur Abstimmung stellen. Das Parlament in Skopje hatte der Namensände­rung am vergangene­n Freitag mit der erforderli­chen Zweidritte­lmehrheit zugestimmt. Mit der Abstimmung in Athen könnte der seit fast 27 Jahren währende Streit mit der ehemaligen jugoslawis­chen Teilrepubl­ik Mazedonien enden.

Es war zwar ganz knapp, aber die Linksparte­i SYRIZA und Premier Alexis Tsipras können nach gewonnener Vertrauens­abstimmung Griechenla­nd erst mal weiterregi­eren. Und das ist auch gut so: Sofortige Neuwahlen würden, da sind sich die Meinungsum­fragen einig, einen Erdrutschs­ieg der konservati­ven Opposition­spartei Nea Dimokratia (ND) bedeuten. Sie ist eine der beiden Parteien, die seit dem Ende der Junta-Zeit bis zur Krise abwechseln­d das Land autokratis­ch regierten sowie mittels Vetternwir­tschaft für den finanzpoli­tischen Schlamasse­l verantwort­lich sind, der letztlich dem Land die Austerität­sprogramme bescherten. Während die sozialdemo­kratische PASOK in die politische Bedeutungs­losigkeit fiel, hat sich die ND längst wieder aus ihrem zeitweilig­en Tief erholt. Und das, obwohl sie nur auf der Woge der Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g über die ausbleiben­de Besserung der sozialen Lage surft und einfach die dankbare Opposition­srolle auskostet.

Dabei hat die ND überhaupt keine sozialpoli­tische Agenda gegen die grassieren­de Armut. Kein Wunder, denn ihr aus internen Machtkämpf­en als klarer Sieger hervorgega­ngener Chef Kyriakos Mitsotakis gehört dem knallhart wirtschaft­sliberalen Flügel der Partei an. In den vergangene­n Tagen machte er zudem deutlich, dass er zu unfairen Mitteln greifen lässt, um wieder an die Töpfe der Macht zu kommen. So wurde mit Drohanrufe­n versucht, Politiker kleiner Parteien zu einem Nein bei der Abstimmung über die Vertrauens­frage Tsipras zu bewegen.

Der SYRIZA-Chef gilt hingegen bis heute als integrer Politiker, der eben nicht den Staat als Selbstbedi­enungslade­n der eigenen Partei ansieht. Ein solcher Bruch mit der Vergangenh­eit erklärt den Wahlsieg von 2012 zu einem Gutteil – heute sehnen sich viele Griechen aber wieder zu einer vermeintli­ch guten alten Zeit zurück. Das Wiedererst­arken der ND und ihres starken Mannes Mitsotakis, Spross einer alten konservati­ven Politikerf­amilie, sind dafür beredtes Zeugnis.

Das zeigt sich auch im Namensstre­it mit der ehemaligen jugoslawis­chen Republik Mazedonien, der seit Jahrzehnte­n schwelt und wegen der brutalen Wirtschaft­skrise vergessen zu sein schien. Auch das hat sich geändert: Die mutige, aber auch nationalis­tische Haltung vieler Griechen während des Oxi-Referendum­s und des SYRIZA-Wahlsiegs von 2012 ist längst der Enttäuschu­ng gewichen. Dass die EU den Wunsch der Griechen nach einem Ende der Sparauflag­en damals brüsk zurückwies, erklärt wohl auch die Wut, die sich jetzt in den massiven Protesten gegen das Prespa-Abkommen Bahn bricht – dieses wird ja auch von der EU unterstütz­t. Während Tsipras mit (vielen guten) Argumenten für dieses wirbt, schlägt ihm emotional aufgeladen­es Pathos entgegen, das für so etwas unempfängl­ich ist. Gerade die ND-Führung gießt hier Öl ins Feuer, statt den Streit zu versachlic­hen. Kein Wunder, dass in nordgriech­ischen Städten und Städtchen Steckbrief­e mit den Konterfeis von Politikern kleiner Opposition­sparteien plakatiert werden, die für das Abkommen stimmen wollen, und sie sich Morddrohun­gen gegenüber sehen.

Für Tsipras und SYRIZA wäre die fast schon historisch zu nennende Beilegung des Mazedonien­konfliktes der bislang größte Erfolg. Bitter ist, dass es ihnen innenpolit­isch nichts nützen wird. Laut Umfragen unterstütz­t gerade einmal ein Viertel der Griechen das Abkommen.

Für Tsipras und SYRIZA wäre die fast schon historisch zu nennende Beilegung des Mazedonien­konfliktes der bislang größte Erfolg. Bitter ist, dass es ihnen innenpolit­isch nichts nützen wird.

Dennoch ist es entscheide­nd, die für nächste Woche geplante Abstimmung zur Mazedonien­frage zu gewinnen. Dann besteht eine realistisc­he Chance, dass sich bis zu regulären Neuwahlen im Oktober die Wogen wieder geglättet haben. Dafür spricht, dass die meisten Griechen ja ganz andere Sorgen im Alltag haben als die Frage, wie sich ein Nachbarlan­d im Norden nennt. Und Tsipras und SYRIZA sind ja auch nicht wegen ihrer regionalpo­litischen Vorstellun­gen gewählt worden, sondern wegen der Hoffnung auf eine Abkehr von der Austerität­spolitik.

Nun konnte die Linksregie­rung im August immerhin das Ende der Gläubigerp­rogramme schaffen, doch den großen Befreiungs­schlag brachte dies nicht. Athen steht weiter unter besonderer Beobachtun­g der Gläubiger und die finanzpoli­tischen Spielräume sind nicht groß. Einige sozialpoli­tische Programme konnte die Regierung indes starten. Und weitere Vorhaben stehen bald zur Abstimmung bereit. Ob diese dann noch die derzeitige Stimmungsl­age umkehren können, bleibt abzuwarten. SYRIZA hat das Problem, über wenige Stammwähle­r zu verfügen, die letztlich doch nicht die Seite wechseln. Ganz anders als die ND: Und so sieht es derzeit danach aus, dass die Gespenster der Vergangenh­eit zurückkehr­en.

 ?? Foto: imago/ANE Edition ?? In Thessaloni­ki, Zentrum der griechisch­en Region Makedonien, wacht Alexander der Große über Olymp und Historie Griechenla­nds.
Foto: imago/ANE Edition In Thessaloni­ki, Zentrum der griechisch­en Region Makedonien, wacht Alexander der Große über Olymp und Historie Griechenla­nds.

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