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Spahn will Debatte über Pflegefina­nzen

Gesetzlich­e Kassen fordern Steuerzusc­huss vom Bund

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Berlin. Der große Geldbedarf in der Pflege hat eine Debatte über die Finanzieru­ng ausgelöst: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sprach sich in der »Bild«-Zeitung vom Donnerstag dafür aus, dabei neue Wege zu beschreite­n. Die zu Jahresbegi­nn in Kraft getretenen Beitragsst­eigerungen reichten noch bis 2022. SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach plädierte dafür, Beamte und Privatvers­icherte in die gesetzlich­e Pflege miteinzube­ziehen.

Spahn öffnete damit die Tür für eine Debatte über eine Steuerfina­nzierung der bisher beitragsfi­nanzierten Pflegevers­icherung. So hat sich der GKV-Spitzenver­band bereits für einen Steuerzusc­huss in der Pflege ausgesproc­hen. Dafür plädierten auch die Grünen. LINKE-Chef Bernd Riexinger setzte sich für ein »Gewinnverb­ot« in der Pflege ein. Diese dürfe nicht der »Geldmacher­ei« dienen, erklärte er. Demnach sollten alle Bürger in eine solidarisc­he Versicheru­ng einzahlen. Dabei würden alle Einkommens­arten berücksich­tigt und die Beitragsbe­messungsgr­enze abgeschaff­t.

Die »Alternativ­e für Deutschlan­d« (AfD) ist eine nationalis­tische, marktradik­ale und rassistisc­he Partei. Zu faschistis­chen Bewegungen und Personen verhält sie sich wie der Hehler zum Stehler. Ob sie populistis­ch ist, ließe sich erst sagen, wenn jemand endlich einmal erklärte, was das – bezogen auf die Bundesrepu­blik – denn sein soll: Populismus. Definiert man ihn als Mobilisier­ung von Volksmasse­n durch rechte oder linke Führer gegen irgendwelc­he Eliten, ist schlecht ersichtlic­h, was daran verfassung­swidrig sein soll. Identifizi­ert man dagegen Populismus mit übler Demagogie, sollte man sich an Äußerungen von Franz Josef Strauß (CSU) und Gerhard Schröder (SPD) erinnern. Der eine beschimpft­e 1978 Opposition­elle als »Ratten und Schmeißfli­egen«, der andere nannte 1995 Lehrer »faule Säcke« und forderte 1997: »Kriminelle Ausländer müssen raus, aber schnell.«

Artikel 3 des Grundgeset­zes verbietet Rassismus. Und Alexander Gauland, der eine sozialdemo­kratische Politikeri­n türkischer Abkunft in Anatolien »entsorgen« will, ist ein Rassist. Um das festzustel­len, braucht man keinen Geheimdien­st. Es genügt ein Blick in die Zeitung.

Dennoch erklärt nun das Bundesamt für Verfassung­sschutz die AfD als Ganzes zum »Prüf-«, Teile der Partei zum »Verdachts-Fall«. Warum?

Gauland, der fast immer Unrecht hat, liegt jetzt einmal ausnahmswe­ise richtig: Es handelt sich um einen Fall von Wettbewerb­sverzerrun­g.

Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, ist, wie sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen, Mitglied der CDU. Er hat den Prüf- und Verdachtsb­eschluss verkündet, und fand dafür den Beifall des Innenminis­ters Horst Seehofer(CSU). Andrea Nah-

les, Vorsitzend­e der SPD, begrüßte die Nachricht ebenfalls und erzählte das Übliche von der »wehrhaften Demokratie«.

Nicht nur ein Prüf-, sondern ein Verdachtsf­all ist für Thomas Haldenwang die AfD-Nachwuchso­rganisatio­n »Junge Alternativ­e« (JA). Schon früher, als sich ankündigte, dass eine geheimdien­stliche Beobachtun­g drohen könnte, gab es dort Austrittsb­ewegungen. Offensicht­lich haben einige Scheiteltr­äger die JA als eine Karrierele­iter verstanden – wie die Jugendorga­nisationen anderer Parteien ebenfalls. Auch hier gilt: Wettbewerb­sverzerrun­g. Andere, von der härteren Art, mögen sich stattdesse­n in den Untergrund verabschie­den, woran sich wieder einmal zeigen ließe: Wo der Verfassung­sschutz hinfasst, wird es immer nur schlimmer.

Von Christian Lindner (FDP) gilt ohne Ansehen der Person dasselbe wie für Gauland – wo er Recht hat, hat er Recht. Nämlich: »Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Parteien sich einer lästigen Konkurrenz über den Umweg über die Sicherheit­sbehörden entledigen.« Auch diese Vernunft lässt sich durch

Wettbewerb­skalkül erklären: Zwischen dem Klientel der AfD und dem der FDP gibt es – anders als bei Union und SPD – keine relevante Schnittmen­ge.

Das hätten sich auch die Grünen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sagen können, die dem Verfassung­sschutz ebenfalls applaudier­ten. Ihnen ging es wohl um ein allgemeine­s antifaschi­stisches Signal wie dem Internatio­nalen Auschwitzk­omitee und dem Präsidente­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster. Sie sind auch für die Überwachun­g.

Hier könnte der Irrtum eine Rolle spielen, der Inlandsgeh­eimdienst diene der Verteidigu­ng der Demokratie. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz wurde 1950 ebenso wie die entspreche­nden Landesämte­r nicht zur Bekämpfung des Faschismus gegründet, sondern des Kommunismu­s, stand also auf diesem Teilgebiet in der Tradition der Gestapo. Sein von 1950 bis 1954 amtierende­r erster Präsident, der Widerstand­skämpfer Otto John, war insofern eine Fehlbesetz­ung. Eine große Zeit hatten Bundesamt und Landesämte­r bei ihrer Schnüffela­rbeit zwecks Berufsverb­oten gegen kommunisti­sche Lehrer(innen), Lokomotivf­ührer und Briefträge­r. Seine V-Leute taten der NPD gute Dienste. Deren Handgelder dürften teilweise in die Parteikass­e geflossen sein. Im Umfeld der NSU-Morde waren staatlich installier­te Maulwürfe ebenfalls tätig. Maaßen sah keine Hetzjagd in Chemnitz.

Auch wenn die AfD jetzt ein wenig jammert: Vielleicht nützt ihr die gegenwärti­ge Überprüfun­g irgendwann – falls sie einmal Persilsche­ine benötigen sollte. Für einen Kampf gegen Rechts ist das Bundesamt für Verfassung­sschutz die falsche Firma.

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Foto: nd/Camay Sungu Georg Fülberthha­t von 1972 bis 2004 Politikwis­senschafte­n an der Universitä­t Marburg gelehrt.

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