Pestizidfreie Kommunen gegen das Insektensterben
Rund 460 Städte und Gemeinden haben sich bereits einem vom BUND gegründeten Netzwerk angeschlossen
Immer mehr Kommunen ergreifen die Initiative und erklären sich für »pestizidfrei«. Deutschlandweit verzichten bereits 460 Städte und Gemeinden auf Glyphosat und andere Pestizide.
Pestizide machen krank, verändern Hormone und töten Bienen sowie andere Insekten. In der Bevölkerung wächst die Ablehnung gegen diese Mittel, doch in Politik und der Landwirtschaft verhallen diese Rufe weitgehend ungehört. Vielleicht gerade deshalb entscheiden sich immer mehr Städte und Gemeinden, zumindest auf öffentlichen Grünflächen, Parks und Bürgersteigen kein Gift mehr zu versprühen. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl pestizidfreier Kommunen in Deutschland von 90 auf 460 mehr als verfünffacht. Beitreten dürfen dabei dem vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegründeten Netz- werk auch Kommunen, die »nur« Glyphosat verboten haben oder schon weitgehend auf Insekten-und Pflanzenvern ich tungs mittel verzichten. »Wir wollen auch den ersten Schritt honorieren und die Kommunen damit ermuntern, weiter voranzugehen«, erklärt CorinnaHölzel, Pestizid ex pertindesB UND und Initiato rindes Projektes. Die Umwelt organisation unterstützt Kommunen mit Tipps zur Umsetzung wie etwa dem Einsatz von Wild kräuter bürsten.
Die Beweggründe mitzumachen sind verschieden. »Die Glyphosat-Debatte hat sicherlich auch dazu beigetragen«, meint Hölzel. So setzen die Berliner Stadt reinigungsbe triebe das Total herbizid nicht mehr auf Gehwegen ein, um Bürger und ihre Beschäftigten zus chützen.ImKoalit ions vertrag wurde Berlin zur pestizid freien Kommune erklärt, in Teilen der Stadt ist das schon seit Jahren Praxis.
In Kirchhain, nördlich von Marburg, stehen Blüten- und Insekten- reichtum im Fokus. 2007 rannten das ortsansässige Bieneninstitut und die BUND-Ortsgruppe bei der Stadt mit ihrer Idee offene Türen ein. Über die Jahre hat sich die Wahl der Pflanzen und die Pflege der Flächen eingespielt: Gewählt werden Arten wie Klee, Glocken- oder Flockenblumen, die nicht jedes Jahr neu gesät werden müssen, aber wertvoll für die Bestäuber sind. Gleichzeitig achtet die Stadt auf lange Blühzeitfenster. »Ein neues Mähgerät, das das Schnittgut gleich aufnimmt, ist dabei ein wichtiges Element«, erzählt Ralph Büchler vom Bieneninstitut. »Damit haben nach dem Schnitt auch lichtbedürftige Pflanzen eine Chance.«
Im ebenfalls hessischen Riedstadt war es der Wunsch, die Kosten für die Grünflächenpflege zu reduzieren und die Artenvielfalt zu steigern. So wurden seit 2010 pflegeaufwändige, nicht heimische Ziersträucher nach und nach durch Mischungen regional typischer Wildblumen ersetzt.
Während die einen die bunten Blumen am Straßenrand begrüßen, sorgte speziell nach der Blüte der ungepflegte Eindruck in Teilen der Bevölkerung zunächst für Unmut: »Es war klar, dass nicht allen das neue ›wilde‹ Grün vor der Haustür gefällt«, erzählt
Corinna Hölzel, BUND
der Landschaftsarchitekt Matthias Harnisch vom Fachbereich Stadtentwicklung und Umweltplanung. So entstand die Idee, private Pflegepatenschaften für kommunale Grünflächen zu vergeben. Auf inzwischen rund 160 Flächen können die Paten über die jeweilige Gestaltung mitent- scheiden. Diese reicht vom früheren Status Quo über aufwändige Staudenpflanzungen bis hin zu naturnahen Flächen. Die Beschwerden haben mit der Zeit abgenommen, 2015 gewann die Stadt für ihre Umgestaltung sogar einen der sieben Hauptpreise des hessischen Landeswettbewerbs »Städte sind zum Leben da«.
Auch in Karlsruhe, das schon seit über 20 Jahren Natur- und Artenvielfalt in die Stadtplanung einbezieht, gab es zunächst Kritik an dem Konzept der Stadt. Inzwischen ist die Toleranz für Wildpflanzen gewachsen. Angesichts des Artensterbens bleibe zum Verzicht auf die Giftspritze auch keine Alternative, meint Helmut Kern, der frühere, langjährige Leiter des Gartenbauamtes Karlsruhes. »Das Gebot der Stunde ist es, das Potenzial der Kommunen auf ihren Flächen zu nutzen«, sagt er in einem Interview in der BUND-Broschüre »Stadtnatur ohne Gift«. Ersetzen könne dies einen Wandel in der Landwirtschaft jedoch nicht.
»Wir wollen die Kommunen damit ermuntern, weiter voranzugehen.«