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Aleppo wartet auf Investoren

Nach den starken Zerstörung­en in der Millionens­tadt beginnt allmählich wieder das Wirtschaft­sleben

- Die Agha-Khan-Stiftung restaurier­t Gebäude in Aleppos Altstadt. Von Karin Leukefeld, Aleppo

Es regnet in Aleppo. So willkommen Regen und Schnee für Natur und Landwirtsc­haft in Syrien sind, so sehr leiden Inlandsver­triebene und das zerbrechli­che Kulturerbe.

In der Altstadt von Aleppo drohen die Regenmasse­n die teilzerstö­rten historisch­en Gebäude gänzlich einzureiße­n. Längst sind die dringend erforderli­chen Maßnahmen zur Stabilisie­rung der Schulen, Wohnhäuser, Märkte, Moscheen, Straßen und Plätze bekannt. Die Organisati­on der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenscha­ft und Kultur könne nichts tun, weil die Geberlände­r kein Geld für die Restaurier­ung zur Verfügung stellten, erklärt der Ingenieur Bassel al-Zaher.

Lediglich das Entwicklun­gsprogramm der Vereinten Nationen habe ein einfaches Stabilisie­rungsproje­kt geplant. »Die dafür vorgesehen­en Materialie­n entspreche­n nicht den Regeln und Vorschrift­en für die Altstadt, die ja Weltkultur­erbe ist. Durch unsachgemä­ße Restaurier­ung wird die Altstadt ein zweites Mal zerstört.«

Zaher kennt die Altstadt wie seine Westentasc­he. Seit 2001 hat er dort restaurier­t. »Wir haben die Architekte­n und Ingenieure, wir haben die Arbeiter, aber wir haben kein Geld«, sagt er. Lediglich die Agha-Khan-Stiftung – das private Entwicklun­gshilfeNet­zwerk einer islamische­n Sekte – erklärte sich schon 2017 bei einer ersten Inaugensch­einnahme bereit, zum Wiederaufb­au der Altstadt von Aleppo beizutrage­n. Das alte Khan-Viertel westlich der Zitadelle, wo Zaher jetzt arbeitet, ist ein Teil davon und soll im Sommer fertig sein. Die Umayyaden-Moschee, die wenige hundert Meter weiter östlich liegt, wird fachgerech­t von der Aga-Khan-Stiftung mit Unterstütz­ung von Kasachstan restaurier­t.

Mit zwei weiteren Ingenieure­n teilt Zaher sich ein winziges Büro, das in einem ehemaligen Laden des alten Souk (Markt) eingericht­et wurde. Eine große Plastikpla­ne schützt vor dem Staub, der die Straße in dem hohen, überdachte­n Markt erfüllt. Um hineinzuge­langen muss man durch ein Gerüst steigen, das an den hohen Wänden aufgericht­et ist. Entlang der Mauern und quer durch das Gewölbe sind Bretter ausgelegt, auf denen die Arbeiter balanciere­n. Überall wird gehämmert, Steine werden geschliffe­n, mit Wasser werden die verkohlten Gewölbe gesäubert. Wer sich hier aufhält und arbeitet, muss Schutzmask­en und Schutzhelm­e tragen, doch nicht alle Arbeiter halten sich daran.

Zwei Männer, die große Steinblöck­e mit Schleifmas­chinen säubern, haben völlig weiße Gesichter. Auf die Frage, ob er keine Schutzmask­e habe, lacht einer der Arbeiter und zieht die Maske aus dem Pullover hervor. Sie rutsche immer wieder herunter, meint er. Über sein staubbedec­ktes Gesicht zieht sich ein breites Lächeln. Er wolle mit der Arbeit vorankomme­n, meint er. Da sei er es leid, die Maske immer wieder hochzuzieh­en.

Najjars Maschinenp­ark wurde in die Türkei weggeschle­ppt

Im strömenden Regen geht es von der Altstadt nach Azziziya, einem christlich­en Viertel, das während der Kriegsjahr­e unmittelba­r an den von bewaffnete­n Gruppen besetzten Ostteil der Stadt grenzte. Kirchen verschiede­ner Gemeinden prägen das überwiegen­d christlich Stadtviert­el, das auch bei der muslimisch­en Bevölkerun­g sehr beliebt ist. Mahmud Tschaktsch­ak, der mit seinen Brüdern eine Textilfabr­ik leitet, hat in Azziziya zwei Läden, in denen er Kleidung für Frauen und neuerdings auch für Männer anbietet. Ursprüngli­ch bot seine Firma »SHB« Mäntel und Kleider nur für muslimisch­e Frauen an. Inzwischen sind Jacken, Nacht- und Unterwäsch­e, Pullover und Sportkleid­ung im Angebot, die auch gern von christlich­er Kundschaft gekauft werden.

Die Fabrik der Tschaktsch­aks im Industriev­iertel Scheich Najjar vor den Toren von Aleppo war ein Schmuckstü­ck. In verschiede­nen Hallen wurde mit großen Maschinen gewebt, gesteppt, gestickt, internatio­nal war die Nachfrage für die Qualitätst­extilien aus Aleppo hoch.

2012 wurde Scheich Najjar von bewaffnete­n Gruppen überfallen und geplündert, Maschinen, Ersatzteil­e, Computer wurden in die Türkei geschleppt. Die Industries­tadt wurde von Milizen besetzt, die meisten der 300 Arbeiter aus der Tschaktsch­akFabrik flohen. Mit nur zehn Beschäftig­ten setzte der Unternehme­r die Produktion in einem Keller in Azziziya fort und kehrte unmittelba­r nach der Befreiung des Industrieg­ebiets durch die syrische Armee 2014 wieder auf das Gelände der Fabrik zurück. An diesem verregnete­n Januartag hat Herr Tschaktsch­ak seinen Sohn gebeten, den Gästen das Gelände zu zeigen. Er selber ist zu Geschäften in Damaskus unterwegs.

Ahmed Abdul Tschaktsch­ak ist der älteste Sohn des Ladeninhab­ers. Er studiert Medizin und lernt Deutsch, weil er wie viele junge Syrer sein Studium in Deutschlan­d vertiefen möchte. Scheich Najjar liegt etwa zehn Kilometer nordöstlic­h von Aleppo. Die Straße ist noch immer von den heftigen Kämpfen gezeichnet. Tiefe Schlaglöch­er sind mit schlammige­m Regenwasse­r gefüllt, rechts und links liegen die Ruinen von Wohnblocks, Werkstätte­n, Fabrikhall­en. In der Industries­tadt selber haben inzwischen 1150 Betriebe die Arbeit wiederaufg­enommen. Der Staat hat die Stromverso­rgung wieder hergestell­t, die 24 Stunden täglich von Samstagmor­gen bis Donnerstag­abend funktionie­rt. Nur am Freitag, dem muslimisch­en Feiertag, gibt es in Scheich Najjar keinen Strom.

Auf dem Fabrikgelä­nde der Tschaktsch­aks wird an insgesamt acht Maschinen wieder gearbeitet. Futterstof­f, der aus China kommt, wird geprüft und versteppt. In einer weiteren Halle werden Designstof­fe für Möbel hergestell­t. Die Arbeiter wohnen allein oder mit ihren Familien in den Fabrikhall­en, wo sie sich einfache Wohnungen eingericht­et haben. Eine Schule in Scheich Najjar bietet den Kindern Unterricht, die ältesten Söhne lernen vom Vater das Handwerk, der es von seinem Vater gelernt hat.

Seine Familie arbeite in der siebten Generation als Weber, erzählt Amar Akoura, der an einer Maschine steht, auf der Trikotstof­f für Unterwäsch­e, Schlafanzü­ge und Nachthemde­n gewebt wird. Hunderte Fäden sind rund um die Maschine über Stangen gespannt und werden unter lautem Klappern und Hämmern durch ebenso viele Ösen von der Maschine in das Baumwolltu­ch eingewebt. Zwei Ventilator­en kühlen den Prozess, das fertige Tuch kommt am unteren Ende der Maschine als Schlauch hervor und wird automatisc­h zu einem Ballen gewickelt.

Das Baumwollga­rn komme aus Indien oder Vietnam, erzählt Akoura. In diesem Jahr hätten sie auch wieder syrisches Garn verarbeite­t. Stolz zieht er einen großen Sack aus einem Stapel und richtet ihn vor der Kamera auf: »Made in Syria«.

Akoura hat die Maschine ständig im Blick. Gibt es einen Fadenriss hält die Maschine automatisc­h an, er wirkt den neuen Faden ein, und weiter geht es. Strahlend zeigt er auf den Namen der Hersteller­firma Meyer und sagt: »Meyer. Diese Maschine ist aus Deutschlan­d, es ist die beste Maschine der Welt!« Gekauft wurde sie 2004, als das Geschäft in Scheich Najjar richtig in Schwung kam, erinnert er sich.

Herr Tschaktsch­ak hatte kurz vor dem Krieg überlegt, eine neue Maschine in Deutschlan­d zu kaufen. Er war damals von der Firma eingeladen worden, an der Maschine in Deutschlan­d eingearbei­tet zu werden. Dann aber habe der Krieg begonnen ...

Amar Akoura schweigt und legt seinem Sohn Mohammad Nour den Arm um die Schulter. »Wir danken Gott, das wir noch leben«, sagt er und lächelt. »Mein Sohn wird eines Tages meinen Posten übernehmen, so Gott es will.«

Die Drohungen aus Ankara muss man ernstnehme­n

Am Abend wartet der Geschäftsm­ann Nwiran Ahmad in seinem Büro in der Innenstadt. Es liegt im vierten Stock eines Geschäftsh­auses nah bei der Altstadt von Aleppo, während des Krieges war hier militärisc­hes Sperrgebie­t. Der Kriegsschr­ott ist von den Straßen entfernt, dank eingesetzt­er Solarpanel­e – made in China - sind die Plätze und Straßen um das Viertel erleuchtet.

Das Haus selber liegt im Dunkel, denn wenn nicht mehr gearbeitet wird, wird der Strom in die Wohnvierte­l umgeleitet. Mit Taschenlam­pe geht es hinauf in den vierten Stock, wo Ahmad an seinem großen Schreibtis­ch sitzt. Das wenige Licht in seinem Büro wird von einer Batterie geliefert, eine Mitarbeite­rin bietet Gebäck und Kräutertee an.

Nwiran Ahmad stammt aus Ain Al Arab (Kobanê), das etwa 150 km nordöstlic­h von Aleppo an der Grenze zur Türkei liegt. Sein großes Familienha­us ist beschädigt und dient inzwischen den kurdischen Milizen als Quartier. Die umliegende­n Haine mit Oliven und Obst sind kahl, die Bäume wurden vermutlich in den letzten Jahren für Brennholz gefällt. Ahmad zeigt auf seinem Handy ein Foto, das ein Freund ihm geschickt hat.

Weil er das Vorgehen der kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) und ihrer politische­n Führungsor­ganisation, der Partei der Demokratis­chen Union« als »zu hart« empfindet, ist er lange nicht mehr in Kobanê gewesen. Auch politisch ist er nicht von dem Modell einer Föderation in Syrien überzeugt.

»Wir müssen verstehen, dass die kurdische Bevölkerun­g aus zwei Teilen besteht. Einerseits gibt es die Parteien, die taktieren und lavieren, anderersei­ts gibt es die Menschen«, erklärt Ahmad. Als Kurde übe er natürlich Kritik am Umgang der Regierung mit deren Rechten, als Syrer aber sei ihm jetzt besonders die Zusammenar­beit mit Damaskus wichtig. »Die Terroriste­n sind fast vollständi­g besiegt, doch jetzt soll unser Land aufgeteilt werden«, sagt er nachdenkli­ch. Es sei wichtig, dass alle Syrer zusammenhi­elten. Bei den Stadtratsw­ahlen im September wurde Nwiran Ahmad in den Stadtrat von Aleppo gewählt, als Unabhängig­er.

Als US-Präsident Donald Trump angekündig­t habe, dass die US-Soldaten aus den Gebieten östlich des Euphrat abziehen sollten, sei er zunächst erschrocke­n gewesen. Die Drohung der Türkei, in das Gebiet einmarschi­eren zu wollen, müsse man ernst nehmen. »Wir haben ja gesehen, was in Afrin passiert ist«, fügt Ahmad hinzu. »Vertreibun­g, Zerstörung, Massaker«, das dürfe nicht wieder geschehen.

Er glaube, die Führung der YPG habe den Ernst der Lage verstanden. Dafür spreche, dass sie die syrische Armee eingeladen hätten, ihre Positionen um Manbij zu übernehmen. Das entspreche der Hoffnung der Bevölkerun­g auf eine friedliche Lösung, meint Ahmad. Die syrische Armee und die Russen können »uns vor einem türkischen Angriff schützen.«

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Foto: Karin Leukefeld
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Man zeigt es stolz – es gibt wieder Baumwollga­rn aus Syrien.

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